Feedback-Kultur in Kanzleien

Reso­nanz in alle Rich­tungen

von Sabine OlschnerLesedauer: 4 Minuten
Dass Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten Feedback bekommen, ist selbstverständlich. Aber wie sollten Anwälte reagieren, wenn ihr Chef auch von ihnen bewertet werden will? Schadet ein offenes Wort der Karriere?

Nur jede fünfte Führungskraft holt sich bei ihren Mitarbeitern Feedback zu ihren Leistungen und ihrem Führungsstil ein, so das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Karriereberaters von Rundstedt unter mehr als 1000 Teilnehmern. In Kanzleien ist die Bewertung in beide Richtungen sicher noch weniger verbreitet als in Wirtschaftsunternehmen – aber sie holen auf. Vor allem junge Kanzleien legen Wert auf Offenheit und regen zu gegenseitigem Feedback an. So zum Beispiel die Frankfurter Wirtschaftskanzlei Wendelstein: Dr. Daniel Müller-Etienne hat sich vor fünf Jahren zusammen mit sechs weiteren Partnern aus der Großkanzlei Hengeler Mueller selbstständig gemacht und beschäftigt nun 15 Mitarbeiter, davon sechs Associates. "Bei uns herrscht ein familiäres Klima", erklärt Müller-Etienne. "Wir duzen uns alle, es gibt keine großen Altersunterschiede, und wir erwarten, dass jeder sich unternehmerisch in der Kanzlei einbringt." Das bedeutet auch: Wenn etwas nicht rundläuft, wird es sofort angesprochen.

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Rezept gegen Betriebsblindheit

Am häufigsten erfolgen Rückmeldungen während der laufenden Arbeit: "Nach dem Abschluss von Meilensteinen oder am Ende eines Projekts tauschen wir uns darüber aus, was gut und auch weniger gut geklappt hat. Dabei lege ich Wert darauf, dass auch der Associate dem Partner Verbesserungsvorschläge mit auf den Weg gibt", sagt Daniel Müller-Etienne. "Denn wenn ich mich zu lange nur aus meiner Sicht mit meinen eigenen Prozessen beschäftige, werde ich irgendwann betriebsblind." Hinzu kommt: Keiner der Gründungspartner von Wendelstein hat vorher eine Kanzlei geleitet. "Daher hinterfragen wir uns selber noch oft und sind dankbar für jedes Feedback auf unseren Führungsstil." Vor allem am Anfang hatte Daniel Müller-Etienne die Befürchtung, dass solch eine offene Kritikkultur in der Kanzlei ein Problem sein könnte. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt: „Wird Kritik vernünftig vorgetragen, wird sie auch von allen positiv angenommen." Seine Tipps für eine sinnvolle Vorgehensweise: "Wenn einem Associate etwas missfällt, sollte er zunächst die Beweggründe herausfinden: Warum musste eine Arbeit doppelt erledigt werden? Warum musste er im Projekt so lange auf eine Antwort warten? Wenn er weiß, warum etwas so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, braucht er sich vielleicht nicht mehr darüber zu ärgern." Sein zweiter Tipp: Wenn etwas schiefläuft, so früh wie möglich darüber reden, um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. "Ansonsten läuft man Gefahr, dass sich die Situation verhärtet."

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2/2: Verständnis füreinander zeigen

Ähnlich sieht es Dr. Ernst Georg Berger, Partner von Clarius Legal: "Wir führen zweimal in der Woche Gespräche über unsere Projekte und unsere Zusammenarbeit. Damit stellen wir sicher, dass sich erst gar keine negativen Schwingungen einstellen." Der regelmäßige Austausch ist besonders wichtig, weil die fünf Juristen der noch jungen Telekommunikations-, Medien- und IT-Kanzlei viel im Home Office und beim Kunden vor Ort arbeiten und sich daher nicht täglich sehen. Daher wählt Ernst Georg Berger seine Mitarbeiter schon bei der Einstellung danach aus, ob sie mit Kritik umgehen und sie selber auch äußern können. "Ich will eine Kultur prägen, in der der Umgang mit Kritik positiv besetzt ist. Bei uns darf und soll jeder jeden auf Fehler und Verbesserungen hinweisen – auch mich", betont der alleinige Partner, der beim Thema Feedback auch selber an sich arbeiten musste: "Als junger Associate wollte ich oft mit dem Kopf durch die Wand und meine Ansichten unbedingt durchsetzen. Heute weiß ich, dass es besser ist, sich in die Situation des anderen hineinzuversetzen und Verständnis füreinander zu haben." Nur mit Kommunikation und Vertrauen sei es möglich, so Berger, inhaltlich und emotional bei dem anderen Akzeptanz zu schaffen.

Sachliche Rückmeldungen

Auch Thorsten Ashoff, Personalchef für Kontinentaleuropa bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Hogan Lovells, spricht sich für eine offene Kommunikation aus. "Practice Straight Talk" lautet deshalb auch ein Motto der Kanzlei – und das gilt in alle Richtungen: vom Partner zum Associate genauso wie umgekehrt. Ashoffs Rat für eine guten Umgang miteinander: "Kritik sollte sachlich und immer aus eigener Perspektive vorgetragen werden. Man sollte sich stets bewusst sein: Ich muss auch nach meiner Kritik weiter mit dem anderen zusammenarbeiten." Die rund 80 Partner der Kanzlei führen mit ihren 260 angestellten Anwälten einmal im Jahr ein Feedbackgespräch, in dem die Associates anhand von 13 Kriterien bewertet und weitere Entwicklungsschritte besprochen werden. Alle drei Jahre erhalten die Partner ein 360-Grad-Feedback, in dem unter anderem ihre Führungsqualitäten beurteilt werden – sowohl von den global zuständigen Partnern als auch von ihren Mitarbeitern. "In einem Online-Fragebogen vergeben die Associates Punkte für verschiedene Aspekte, und sie haben die Möglichkeit, in Freitextfeldern konkrete Verbesserungsvorschläge für die Zusammenarbeit mit ihrem Partner zu geben", erläutert Thorsten Ashoff. Die Antworten erfolgten anonym und würden von einer externen Personalberatung für die Partner zusammengestellt, so der Personalchef. "Ich habe noch nie gehört, dass sich ein Mitarbeiter dabei im Ton vergriffen hat." Die drei Vertreter der Kanzleien sind sich einig: Konstruktives Feedback nach unten sowie nach oben ist wichtig für eine gesunde Unternehmenskultur. Wer auf Augenhöhe miteinander kommuniziert, kann dem anderen auch mal sagen, wenn etwas weniger gut gelaufen ist – ohne dass sich dieser angegriffen fühlt. Einsteigern, denen solch eine offene Kommunikation wichtig ist, sollten also schon bei der Bewerbungsphase darauf achten, ob die Wunschkanzlei den eigenen Wertevorstellungen entspricht. Angst, seine Meinung zu äußern, ist jedenfalls keine gute Grundlage für eine fruchtbare Zusammenarbeit.

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