LTO liegt Durchsuchungsbeschluss zur Letzten Generation vor: Wie das Gericht die "kri­mi­nelle Ver­ei­ni­gung" begründet

von Dr. Markus Sehl

25.05.2023

Eine professionelle, aber lose Struktur, ein eigenes Finanzierungssystem und eine lange Liste von Straftaten. Ein Gerichtsbeschluss zeigt die Begründung, mit der die Letzte Generation als "kriminelle Vereinigung" einzustufen sein soll.

Mit einer seitenlangen Begründung, warum von der Aktivisten-Gruppierung Letzten Generation, eine "erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" ausgehe, hat das Amtsgericht München am Mittwoch für bundesweit fünfzehn Durchsuchungen gesorgt, eine Website der Gruppe beschlagnahmen lassen und auch mit Warnmeldungen für Chaos gesorgt. Das Gerichtsdokument liegt LTO vor.* Darin wird aufwendig begründet, warum die Gruppierung eine kriminelle Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch (StGB) darstellt. Die Passagen zu ihrer Struktur und ihren Aktionen klingen nach gefestigter Überzeugung.

Die gerichtliche Formulierung zur erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit findet sich so eins zu eins auch in der Gesetzesbegründung, mit der im Jahr 2017 der § 129 StGB geändert wurde. Der Beschluss aus München unterfüttert vor allem den Aspekt der "Erheblichkeit", der nach umstrittener Auffassung ungeschriebenes Kriterium des Straftatbestands ist. Seit Wochen gibt es eine breite Diskussion unter Strafrechtlern: Bis wann handelt es sich nur um Straftaten einer Gruppierung, wann um eine Gruppierung, deren Bildung an sich bereits eine Straftat darstellt?

Der Strafvorwurf aus § 129 StGB hat nach Auffassung von Strafrechtlern auch deshalb besondere Bedeutung, weil er den Weg ebnet für Polizeimaßnahmen von Durchsuchung bis Telekommunikationsüberwachung, mit denen eine Gruppierung in alle Richtungen ausgeleuchtet werden kann. Manche sprechen von einem "Dosenöffner". 

Dass eine Staatsanwaltschaft das verfolgt und ein Gericht die Maßnahmen absegnet, bedeutet rechtlich einen weitreichenden Schritt, der sehr wahrscheinlich weitere Folgenmaßnahmen auslösen dürfte. Politisch bedeutet er eine weitere Zuspitzung in der Auseinandersetzung zwischen den Aktivisten der Letzten Generation und der Strafjustiz. Nicht zuletzt ist er auch ein Signal aus Bayern, wo Wahlkampf geführt wird, an die Justiz in anderen Bundesländern, die ihren Umgang mit den Aktivisten noch auslotet. Was in dem Münchner Beschluss steht, könnten über den Fall hinaus bedeutsam für weitere Verfahren werden.

Konspirative Struktur, gefährliche Eigendynamik?

Die Generalstaatsanwaltschaft München, die die Maßnahmen beim zuständigen Amtsgericht München beantragt hat, und der Ermittlungsrichter gehen davon aus, dass die Aktivisten regelmäßig und "zielgerichtet" Straftaten begehen, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Die "Letzte Generation" soll über eine strenge Organisationsstruktur verfügen, die von vornherein auf "konspirative Absicherung" der Gruppenspitze angelegt gewesen sei. Der Ansatz: dezentrale, regionale Aktionen, auf eigene Faust, bei denen die Aktivisten nichts von einem Führungsteam wissen und auch nicht zu wissen brauchen, das allgemein bekannte sogenannte "Need to know"-Prinzip, bei dem jeder nur das unbedingt Nötige mitgeteilt bekommt. Die einzelnen Aktionen leiteten lokale Führungspersonen an.

Die Ausführungen sind maßgeblich für die Einstufung der Organisation. Der lose Zusammenschluss einer größeren Personengruppe stellt gerade einen Gesichtspunkt dar, mit dem Strafrechtler die Gefährlichkeit einer "kriminellen Vereinigung" verbinden, denn so könne sich eine nicht mehr beherrschbare Eigendynamik in der Struktur entwickeln.

Für Ermittler und Richter ist der angenommene konspirative Charakter sowie die professionell organisierte, aber lose Struktur Hinweis auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Eine Juristin der Letzten Generation hält diese Erwägungen gegenüber LTO für abwegig und betont, man habe auf der Website Ansprechpartner und Aufbau der Letzten Generation transparent gemacht, von konspirativer Struktur könne keine Rede sein. "Letzte Generation"-Sprecherin Aimée van Baalen sagte am Mittwoch: "Wir haben keine Angst vor einem Prozess. Wir glauben an den Rechtsstaat."

Eigenes Finanzierungssystem aufgesetzt

Der Beschluss schlüsselt auch die Finanzstruktur auf, offenbar für die Ermittler und das Gericht ein weiteres Mosaikstück für die Annahme einer "kriminellen Vereinigung". Über 1.400.000 Euro Spendengelder sollt die Gruppe seit Anfang 2022 eingesammelt haben, organisiert über Vereine. Geld, dass die Aktivisten laut Beschluss für Fahrten und Übernachtungen einsetzten, mit dem Ziel Straftaten zu begehen, aber auch um Anwalts- und Gerichtskosten begleichen zu können.

Lange Liste von bundesweiten Straftaten

Am Ende kommt es für den Tatvorwurf "kriminelle Vereinigung" auch auf die Straftaten an, die man der Gruppe zurechnet. Sie nehmen in dem Beschluss zwei Seiten ein. Es geht um öffentlich bekannte Fälle, bundesweite Klebeaktionen auf der Autobahn von Stuttgart bis Berlin, in Museen an Gemälden wie der "Sixtinischen Madonna" in Dresden, Blockaden vor Flughäfen, Manipulation an Ölanlagen. Es geht um festgestellte und mutmaßliche Straftaten von Sachbeschädigung, über Nötigung bis hin zum gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr (§ 315 StGB). Die Generalstaatsanwaltschaft und der Ermittlungsrichter gehen davon aus, dass durch die Aktionen ein erheblicher Schaden entstanden ist.

Gewahrsam, Geldstrafen – Durchsuchungen?

Der Beschluss geht auch auf bisherige Reaktionen von Polizei und Justiz auf die Aktionen ein, Gewahrsam und Geldstrafen hätten die Aktivisten nicht von immer neuen Straftaten abhalten können, es sei vielmehr eine "Art Märtyrerhaltung" entstanden. Die Passage klingt so als zünde die Strafverfolgung nun die nächste Stufe. 

Zugleich schwingt auch die Sorge mit, dass die Durchsuchungen und Beschlagnahmen eine weitere Radikalisierung herausfordern könnten. Eine solche Gefahr sieht der Extremismusforscher Matthias Quent, das Vorgehen der Ermittler könnte zu einer Radikalisierung einzelner Mitglieder führen, wie er am Donnerstag der dpa sagte.

Die Entscheidung aus Bayern hat die Diskussion angefeuert, es gab erwartbar Lob und Kritik, hier die Polizeigewerkschaft, da die Klimaaktivisten. Am Mittwochabend äußerte sich die neue Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg in einem ARD-Tagesthemeninterview, das für einige Aufregung sorgte. Auf die Frage, ob die "Letzte Generation" die Kriterien einer kriminellen Vereinigung erfülle, sagte Badenberg, dass man das "so pauschal" nicht behaupten könne. "Da kommt es immer auf den konkreten Einzelfall an, welche Gruppe man da in Betracht zieht." In ihrer Gesamtheit sei die "Letzte Generation" nicht als kriminelle Vereinigung einzustufen, sagte sie. Und setzte dann noch schnell nach: Das sei eine Frage, die allein die Gerichte zu entscheiden hätten. Badenberg hat ihrer Behörde aber aufgegeben, zeitnah eine entsprechende Prüfung abzuschließen. 

Der Beschluss aus Bayern steht nun als eine weitere gerichtliche Einschätzung in der Welt, andere Staatsanwaltschaften, Gerichte und Justizbehörden prüfen noch, andere wollten die Letzte Generation bislang nicht als kriminelle Vereinigung einstufen. 

Angesichts der bundesweiten Maßnahmen von Mittwoch darf nicht vergessen werden, dass es sich um die Einschätzung eines einzelnen Richters handelt. Ob diese Entscheidung in den Wochen des Wahlkampfes auch in einen politisierten Kontext eingebettet ist, darüber kann nur spekuliert werden. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft antwortete auf Nachfragen dazu von LTO knapp: "Es gab in dem Gesamtkomplex keinerlei Weisungen".

 

* Anm. d. Red.: Angesichts der Strafnorm des § 353d Strafgesetzbuch sieht sich LTO daran gehindert, wesentliche Teile des Beschlusses im Wortlaut wiederzugeben. Daher unterblieben teilweise Zitierungen. In diesem Fall werden die Aussagen von LTO vollständig sinnerhaltend wiedergegeben. 

Zitiervorschlag

LTO liegt Durchsuchungsbeschluss zur Letzten Generation vor: Wie das Gericht die "kriminelle Vereinigung" begründet . In: Legal Tribune Online, 25.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51861/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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