Die juristische Presseschau vom 7.-9. November 2015: Geschäfts­mä­ßige Sui­zid­hilfe / VDS die Zweite / "Palandt" umbe­nennen?

09.11.2015

Der Bundestag hat sich für das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe entschieden. Die Vorratsdatenspeicherung ist wieder da, der Routerzwang ist weg, der "Palandt" wird 75 und ein bisschen absurde Rechtsrealität.

Thema des Tages

Suizidhilfe: Der Bundestag hat am vergangenen Freitag den Gesetzentwurf zur Suizidhilfe angenommen, nach dem geschäftsmäßige Suizidhilfe in einem neuen § 217 Strafgesetzbuch mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sein soll. Für die Strafbarkeit ist damit die (geplante) Wiederholung der Suizidhilfe maßgeblich – nicht eine Gewinnerzielung. Kriminalisiert wird, wie beabsichtigt, die Arbeit von Sterbehilfevereinen, Beihilfe im Einzelfall bleibt weiterhin straffrei. Es berichten unter anderen Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof/Rainer Woratschka), Samstags-FAZ (Heike Schmoll) und lto.de. Gegner befürchten insbesondere die Kriminalisierung von Ärzten, berichtet etwa die Samstags-Welt (Thomas Vitzthum). 

Henning Ernst Müller (beck-blog.de) sieht Betroffene ins Ausland oder den unsicheren Suizid gedrängt. Ulrich Clauß (WamS) kritisiert die "Schweigegemeinschaft", in die Ärzte, Patienten und Angehörige aufgrund der Rechtsunsicherheit für Ärzte getrieben seien. Christian Geyer (Samstags-FAZ) hält die Regelung für inkonsequent weil sich nicht ergebe, warum die Wiederholung eines Akts ihn verwerflicher mache. Harald Staun (FAS) sieht die echte Selbstbestimmung durch das Gesetz gefördert, denn es verlange einen autonomen Entschluss, der gegen Widerstände durchzusetzen sei und mache den Suizid nicht zur Routine. Daniel Deckers (Samstags-FAZ) meint, Ärzte seien gerade nicht von Strafbarkeit bedroht, wobei er jedoch die bei Ärzten fehlende – aber vom Gesetz mit dem Begriff der Geschäftsmäßigkeit anstelle der Gewerbsmäßigkeit gerade nicht geforderte – Gewinnerzielungsabsicht als Argument anführt.

Die deutsche Sektion von "Dignitas" und der Verein "Sterbehilfe Deutschland" kündigten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an, wie sich aus dem Artikel in der Samstags-FAZ (Heike Schmoll) und einer Meldung der Samstags-SZ (Kim Björn Becker) ergibt.

Rechtspolitik

Vorratsdatenspeicherung: Das Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung hat am Freitag nun auch den Bundesrat passiert. Die Berliner Anwaltskanzlei MMR hat als betroffene Berufsgeheimnisträger bereits Eilantrag zum Bundesverfassungsgericht gestellt und Klage angekündigt, meldet lto.de. Mit ihnen zusammen will eine Gruppe Berliner Abgeordneter klagen.

Routerzwang: Der Bundestag hat ein Gesetz zur Abschaffung des Routerzwangs beschlossen. Der Internetanbieter kann danach nicht mehr vorschreiben, mit welchem Gerät der Kunde sein Angebot empfangen kann, meldet lto.de. Johannes Boie (Samstags-SZ) meint, dieser Eingriff in den freien Markt helfe letztlich dem Wettbewerb und werde das Angebot vergrößern.

Anti-Doping-Gesetz: In dieser Woche will der Bundestag das Anti-Doping-Gesetz verabschieden, meldet die Samstags-SZ. Neben der Straffreiheit des versuchten Erwerbs geringer Mengen Dopingmittel soll straffrei sein, wer ohne äußeren Druck bereits erworbene Mittel vor deren Benutzung entsorgt. Der Bundesrat soll über die Zustimmung Ende des Monats abstimmen.

WLAN-Gesetz: Der Bundesrat hat am Freitag dafür gestimmt, auch die im Gesetzentwurf zum WLAN-Gesetz verbleibenden Reste der Störerhaftung der Betreiber zu beseitigen, meldet lto.de.

"Safe Harbor" / Datenschutz: Die EU-Kommission hat am Freitag in Leitlinien klargestellt, wie bis zu einer neuen Vereinbarung mit den USA Datentransfer dorthin erfolgen kann. Datenschutzbehörden hätten bereits angedroht, gegen Unternehmen vorzugehen, wenn bis Januar keine neue Vereinbarung getroffen sei, meldet die Samstags-FAZ (Michael Stabenow).

EU-VO Netzneutralität: Die Samstags-taz (Svenja Bergt) geht den Hauptargumenten für die Beschränkung der Netzneutralität nach, die das EU-Parlament letzte Woche beschloss. Im Ergebnis zieht allenfalls eines der Argumente und das auch nur, soweit Internetkapazitäten knapp werden. Dann könnten die Anbieter für Aufstockung zahlen, oder sich dank der beschränkten Netzneutralität für Überholspuren bezahlen lassen.

Flüchtlingspolitik: Der Vorstoß von Bundesinnenminister de Maizière, syrischen Flüchtlingen, die sich zuvor in der Türkei aufhielten, einen geringeren Status zu verleihen und Familiennachzug zu verweigern, verstoße gegen das Völkerrecht, meint Heribert Prantl (Montags-SZ). Die Türkei gewähre mangels Ratifikation der Genfer Flüchtlingskonvention für diese Flüchtlinge keinen hinreichenden Schutz. Bezüglich der Verstärkung der zeitlichen Begrenzung des Schutzes warnt Christian Rath (Montags-taz) vor einer Neuauflage der "Gastarbeiter".

Verteilung unbegleiteter Minderjähriger: Die Jurastudentin Melina Lehrian bezweifelt auf verfassungsblog.de sowohl, dass das Kindeswohl der Grund war, nunmehr auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf die Länder zu verteilen, als auch, dass die am vorvergangenen Sonntag in Kraft getretene Regelung dem Kindeswohl überhaupt dienlich sein kann.

Kulturgutschutzgesetz: Rechtsanwalt Bertolt Schmidt-Thomé setzt sich in der WamS mit dem Entwurf zum Kulturgutschutzgesetz auseinander und weist auf einen Aufsatz der Rechtsprofessorin Sophie Lenski hin, der Grundlagen für Verfassungsklagen gegen das Gesetz aufzeigt, so es denn erlassen wird: etwa die Kompetenzzuweisung an den Apparat der Staatsministerin für Kultur, die weder Ministerium noch Behörde ist, und die Frage, ob eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Ausfuhrverbots dem Gesetz überhaupt gelingen kann.

EU-Urheberrechtsschutz: Netzpolitik.org (Leonhard Dobusch) fasst die Pläne der EU-Kommission zur Reform des Urheberrechtsschutzes zusammen, wie sie sich aus einer geleakten Mitteilung der Kommission ergeben.

Mietpreisregulierung: Die FAS (Corinna Budras) setzt sich mit den Auswirkungen der Mietpreisbremse und der Kappungsgrenze auseinander, die eine künstlich günstige Miete für alle erzeugten. Das begünstige Kinderlose, Besserverdienende und Singles, die von Vermietern grundsätzlich bevorzugt würden. Eine Erhöhung des Wohngeldes sei eine effektivere Unterstützung für die, die einer solchen tatsächlich bedürften.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7.-9. November 2015: Geschäftsßige Suizidhilfe / VDS die Zweite / "Palandt" umbenennen? . In: Legal Tribune Online, 09.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17475/ (abgerufen am: 29.04.2024 )

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