Der Bundestag hat sich für das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe entschieden. Die Vorratsdatenspeicherung ist wieder da, der Routerzwang ist weg, der "Palandt" wird 75 und ein bisschen absurde Rechtsrealität.
Thema des Tages
Suizidhilfe: Der Bundestag hat am vergangenen Freitag den Gesetzentwurf zur Suizidhilfe angenommen, nach dem geschäftsmäßige Suizidhilfe in einem neuen § 217 Strafgesetzbuch mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sein soll. Für die Strafbarkeit ist damit die (geplante) Wiederholung der Suizidhilfe maßgeblich – nicht eine Gewinnerzielung. Kriminalisiert wird, wie beabsichtigt, die Arbeit von Sterbehilfevereinen, Beihilfe im Einzelfall bleibt weiterhin straffrei. Es berichten unter anderen Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof/Rainer Woratschka), Samstags-FAZ (Heike Schmoll) und lto.de. Gegner befürchten insbesondere die Kriminalisierung von Ärzten, berichtet etwa die Samstags-Welt (Thomas Vitzthum).
Henning Ernst Müller (beck-blog.de) sieht Betroffene ins Ausland oder den unsicheren Suizid gedrängt. Ulrich Clauß (WamS) kritisiert die "Schweigegemeinschaft", in die Ärzte, Patienten und Angehörige aufgrund der Rechtsunsicherheit für Ärzte getrieben seien. Christian Geyer (Samstags-FAZ) hält die Regelung für inkonsequent weil sich nicht ergebe, warum die Wiederholung eines Akts ihn verwerflicher mache. Harald Staun (FAS) sieht die echte Selbstbestimmung durch das Gesetz gefördert, denn es verlange einen autonomen Entschluss, der gegen Widerstände durchzusetzen sei und mache den Suizid nicht zur Routine. Daniel Deckers (Samstags-FAZ) meint, Ärzte seien gerade nicht von Strafbarkeit bedroht, wobei er jedoch die bei Ärzten fehlende – aber vom Gesetz mit dem Begriff der Geschäftsmäßigkeit anstelle der Gewerbsmäßigkeit gerade nicht geforderte – Gewinnerzielungsabsicht als Argument anführt.
Die deutsche Sektion von "Dignitas" und der Verein "Sterbehilfe Deutschland" kündigten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an, wie sich aus dem Artikel in der Samstags-FAZ (Heike Schmoll) und einer Meldung der Samstags-SZ (Kim Björn Becker) ergibt.
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Das Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung hat am Freitag nun auch den Bundesrat passiert. Die Berliner Anwaltskanzlei MMR hat als betroffene Berufsgeheimnisträger bereits Eilantrag zum Bundesverfassungsgericht gestellt und Klage angekündigt, meldet lto.de. Mit ihnen zusammen will eine Gruppe Berliner Abgeordneter klagen.
Routerzwang: Der Bundestag hat ein Gesetz zur Abschaffung des Routerzwangs beschlossen. Der Internetanbieter kann danach nicht mehr vorschreiben, mit welchem Gerät der Kunde sein Angebot empfangen kann, meldet lto.de. Johannes Boie (Samstags-SZ) meint, dieser Eingriff in den freien Markt helfe letztlich dem Wettbewerb und werde das Angebot vergrößern.
Anti-Doping-Gesetz: In dieser Woche will der Bundestag das Anti-Doping-Gesetz verabschieden, meldet die Samstags-SZ. Neben der Straffreiheit des versuchten Erwerbs geringer Mengen Dopingmittel soll straffrei sein, wer ohne äußeren Druck bereits erworbene Mittel vor deren Benutzung entsorgt. Der Bundesrat soll über die Zustimmung Ende des Monats abstimmen.
WLAN-Gesetz: Der Bundesrat hat am Freitag dafür gestimmt, auch die im Gesetzentwurf zum WLAN-Gesetz verbleibenden Reste der Störerhaftung der Betreiber zu beseitigen, meldet lto.de.
"Safe Harbor" / Datenschutz: Die EU-Kommission hat am Freitag in Leitlinien klargestellt, wie bis zu einer neuen Vereinbarung mit den USA Datentransfer dorthin erfolgen kann. Datenschutzbehörden hätten bereits angedroht, gegen Unternehmen vorzugehen, wenn bis Januar keine neue Vereinbarung getroffen sei, meldet die Samstags-FAZ (Michael Stabenow).
EU-VO Netzneutralität: Die Samstags-taz (Svenja Bergt) geht den Hauptargumenten für die Beschränkung der Netzneutralität nach, die das EU-Parlament letzte Woche beschloss. Im Ergebnis zieht allenfalls eines der Argumente und das auch nur, soweit Internetkapazitäten knapp werden. Dann könnten die Anbieter für Aufstockung zahlen, oder sich dank der beschränkten Netzneutralität für Überholspuren bezahlen lassen.
Flüchtlingspolitik: Der Vorstoß von Bundesinnenminister de Maizière, syrischen Flüchtlingen, die sich zuvor in der Türkei aufhielten, einen geringeren Status zu verleihen und Familiennachzug zu verweigern, verstoße gegen das Völkerrecht, meint Heribert Prantl (Montags-SZ). Die Türkei gewähre mangels Ratifikation der Genfer Flüchtlingskonvention für diese Flüchtlinge keinen hinreichenden Schutz. Bezüglich der Verstärkung der zeitlichen Begrenzung des Schutzes warnt Christian Rath (Montags-taz) vor einer Neuauflage der "Gastarbeiter".
Verteilung unbegleiteter Minderjähriger: Die Jurastudentin Melina Lehrian bezweifelt auf verfassungsblog.de sowohl, dass das Kindeswohl der Grund war, nunmehr auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf die Länder zu verteilen, als auch, dass die am vorvergangenen Sonntag in Kraft getretene Regelung dem Kindeswohl überhaupt dienlich sein kann.
Kulturgutschutzgesetz: Rechtsanwalt Bertolt Schmidt-Thomé setzt sich in der WamS mit dem Entwurf zum Kulturgutschutzgesetz auseinander und weist auf einen Aufsatz der Rechtsprofessorin Sophie Lenski hin, der Grundlagen für Verfassungsklagen gegen das Gesetz aufzeigt, so es denn erlassen wird: etwa die Kompetenzzuweisung an den Apparat der Staatsministerin für Kultur, die weder Ministerium noch Behörde ist, und die Frage, ob eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Ausfuhrverbots dem Gesetz überhaupt gelingen kann.
EU-Urheberrechtsschutz: Netzpolitik.org (Leonhard Dobusch) fasst die Pläne der EU-Kommission zur Reform des Urheberrechtsschutzes zusammen, wie sie sich aus einer geleakten Mitteilung der Kommission ergeben.
Mietpreisregulierung: Die FAS (Corinna Budras) setzt sich mit den Auswirkungen der Mietpreisbremse und der Kappungsgrenze auseinander, die eine künstlich günstige Miete für alle erzeugten. Das begünstige Kinderlose, Besserverdienende und Singles, die von Vermietern grundsätzlich bevorzugt würden. Eine Erhöhung des Wohngeldes sei eine effektivere Unterstützung für die, die einer solchen tatsächlich bedürften.
Justiz
BVerfG/EGMR – Transitzonen: Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum sog. Flughafenverfahren zeigt die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) auf, dass Transitzonen durchaus rechtskonform eingerichtet werden könnten. Wenn entgegen dem BVerfG überhaupt eine Freiheitsentziehung im Sinne des Grundgesetzes angenommen werde, dann könne diese nach dem EGMR jedenfalls so ausgestaltet werden, dass sie gerechtfertigt sei. Wenn Abweisung an der Grenze nicht gelinge, dürfe unerlaubte Einreise mit Haft verhindert werden.
BGH zu Replikatewerbung: In Deutschland für Replikate von Designermöbeln zu werben, die gegen deutsches Urheberrecht verstoßen ist auch dann untersagt, wenn die Stücke im Ausland wegen dort geringerem Urheberrechtsschutz legal hergestellt werden dürfen. Das entschied der Bundesgerichtshof, wie Rechtsanwalt Robert Heine auf lto.de berichtet.
BGH – Reparaturkostenersatz: Im Fall fiktiver Reparaturkosten: muss der Versicherer die Kosten einer Marken-Fachwerkstatt ersetzen oder nur die geringeren einer nicht markenspezifischen Fachwerkstatt? Darüber hat der Bundesgerichtshof im Fall eines bis zum Unfall stets in einer Markenwerkstatt betreuten Fahrzeugs zu entscheiden. Verhandlung ist am morgigen Dienstag, meldet der Focus (Göran Schattauer).
VGH Hessen zu Sportwetten: Mit einer Eilentscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Oktober zu Sportwettenkonzessionen befasst sich blog.beck.de (Mark Liesching). Die Entscheidung führe zu einer faktischen Legalisierung des Sportwettenmarktes, da weder die direkt betroffenen noch die im Vergabeverfahren zuvor ausgeschiedenen Anbieter bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache oder einer neuen Regelung des Vergabeverfahrens ordnungsrechtliches Eingreifen zu befürchten hätten.
OLG Koblenz – Spionage: Der Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz gegen drei Männer, die wegen des Vorwurfs der Spionage für den türkischen Staats angeklagt sind, soll gegen Geldauflage bzw. Weisung zur Ableistung von Sozialstunden eingestellt werden. Die Beweislage sei schwierig. Dass der Generalbundesanwalt einer Einstellung nach Anklage zustimme, sei äußerst selten, berichtet spiegel.de (Jörg Diehl).
OLG Hamm zu Tankanzeige "leer": Die Tankanzeige darf bereits "leer" anzeigen, wenn sich noch Benzin im Tank befindet. Wenn die Anzeige daran ausgerichtet ist, dass nur bis zu diesem Füllstand das Fahren ohne Motorschaden sichergestellt ist, liege kein Mangel vor, entschied das Oberlandesgericht Hamm im Juni laut lawblog.de (Udo Vetter).
LG Stuttgart – Porsche-Prozess: Im Prozess gegen Wiedeking und Härter wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation vor dem Landgericht Stuttgart wurde der Sachverständige Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistung, gehört, berichtet die Samstags-FAZ (Susanne Preuß). Die Pressemitteilungen vor dem Ausbruch der Finanzkrise hätten keinen Einfluss auf den VW-Kurs gehabt, eine Aussage hinsichtlich der Pressemitteilung nach der Lehmann-Pleite sei wissenschaftlich fundiert nicht möglich.
LG Dresden zu Khaled B: Für die Tötung seines Landsmanns Khaled B verurteilte das Landgericht Dresden den Angeklagten zu fünf Jahren Haft wegen Totschlags. Dem Vortrag der Notwehr folgte es nicht, meldet spiegel.de.
LG Düsseldorf: Die Ehefrau des Verstorbenen Helge Achenbach ist vor dem Landgericht Düsseldorf im Streit um die durch die Aldi-Erben gepfändeten Bilder unterlegen. Sie konnte ihr Eigentum an den Bildern nicht beweisen, meldet spiegel.de.
Schlepper: Der Spiegel (Dialika Neufeld) begleitet einen Strafverteidiger bei dessen Besuchen seiner Mandanten in bayerischen Justizvollzugsanstalten. Beschrieben werden dabei die Situationen der Männer, die wegen des Vorwurfs der Schleuserei in Untersuchungshaft sitzen, und wie sie dazu kamen, die Fahrten zu unternehmen.
LG Berlin zu Fluggastrechten: Airlines müssen korrekt über Fluggastrechte bei Verspätungen und Überbuchungen informieren, entschied das Landgericht Berlin im Oktober. Informationen dürfen nicht ausgelassen werden. Das meldet lawblog.de (Udo Vetter).
Recht in der Welt
Universal Declaration of the Rights of Humankind: Die Jurastudentin Ibtissem Guenfoud befasst sich auf verfassungsblog.de in englischer Sprache mit der Universal Declaration of the Rights of Humankind.
Sonstiges
Rechtskunde für Flüchtlinge: In Bayern sollen ab Januar Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger Rechtskunde in Flüchtlingsheimen lehren, meldet der Spiegel.
Wanderungs- und Ausschlussfreiheit: Die WamS (Rainer Hank) schreibt über die Freiheit, das eigene Land zu verlassen und zu wandern und deren Kollision mit der Freiheit, andere aus dem eigenen Land fernzuhalten.
Biblis-U-Ausschuss: Kanzlerin Merkel ist vom Biblis-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags befragt worden. Die Samstags-taz (Ingo Arzt) legt dar, worauf der Streit um die Verantwortung von Bund bzw. Ländern für die Schadensersatzforderungen der Energiekonzerne und speziell RWE basiert. Jasper von Altenbockum (Samstags-FAZ) meint, dass die Länder sich gegen die Stilllegungsentscheidung des Bundes hätten sperren können und dies aus ebenfalls politischen Gründen nicht taten. Sie könnten den Bund daher nicht wegen politischer Verantwortung allein für rechtlich verantwortlich erklären.
Karsten Schmidt: Rechtsprofessor Karsten Schmidt ist mit dem Carl Heymann Preis geehrt worden und lto.de (Tanja Posolski) porträtiert den Preisträger.
75. "Palandt": Zur 75. Auflage des "Palandt" gibt es eine Festschrift für jeden Käufer. Die Montags-FAZ (Jochen Zenthöfer) rezensiert und zeigt auf, wie unrühmlich der Namensgeber in diese Rolle stolperte. Er schlägt eine Umbenennung des Kommentars vor, eine "noble, womöglich überfällige Geste": etwa "Liebmann", nach dem wahren Erfinder der "Beck'schen" Kurzkommentare oder "Artmaier" nach der den "Palandt" von 1957 bis 2012 betreuenden Lektorin.
Das Letzte zum Schluss
Allzurechtliches: Wenn eine Geldstrafe in einer Gesamtfreiheitsstrafe aufgeht, dann ist die Höhe der Tagessätze doch irrelevant, dachte sich das Landgericht und lies sie einfach weg. Nein, sagte der BGH im August, die muss festgesetzt werden, und hob die Entscheidung des LG auf. Dann entschied der BGH und bestimmte die Höhe auf 1,- Euro pro Tag. Warum? Im Ergebnis kam es auf die Höhe eben nicht an. Das meldet blog.beck.de (Carsten Krumm).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7.-9. November 2015: Geschäftsmäßige Suizidhilfe / VDS die Zweite / "Palandt" umbenennen? . In: Legal Tribune Online, 09.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17475/ (abgerufen am: 21.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag