Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. Juni 2014: Gauck gegen Diätenerhöhung – Umgang mit Justizirrtümern – Österreich kippt Vorratsdatenspeicherung

30.06.2014

Die Juristen im Präsidialamt sorgen sich um die Verfassungsmäßigkeit der Diätenerhöhungen und Gauck unterzeichnet nicht. Außerdem in der Presseschau: Ethikregeln für Anwälte, Umgang mit Justizirrtümern, Österreich kippt Vorratsdatenspeicherung, Maas im Interview, Wiederaufnahmeverfahren im Fall Mollath, Bernhard Schlink wird 70 und wer gestressten WG-Bewohnern in Heidelberg hilft.

Tagesthema

Gauck "blockiert" Diätenerhöhung: Wie Bild.de (Peter Tiede/Anne Merholz) berichtet, habe Bundespräsident Gauck das ihm seit dem 19. Mai vorliegende Gesetz zur Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten bislang nicht unterzeichnet. Der Grund seien verfassungsrechtliche Bedenken "seiner" Juristen: Das Gesetz sieht eine Koppelung der Diäten ab 2016 an die Lohn- und Gehaltsentwicklung in Deutschland vor. Diätenerhöhungen müsste aber öffentlich beschlossen werden, auch sei die Regelung wohl nicht mit der grundgesetzlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten vereinbar.

spiegel.de spricht mit dem Staatsrechtler und Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim. Laut Arnim sei neben dem Automatismus bei der Diätenerhöhung verfassungsrechtlich auch kritisch, dass das Gesetz eine zusätzliche Funktionszulage für Ausschussvorsitzende vorsehe, was nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber unzulässig sei. Gauck habe das Recht und die Pflicht, das Gesetz nicht zu unterzeichnen. Die Montags-taz (Christian Rath) erläutert, welche Wege es zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht gäbe sowie deren Erfolgsaussichten. Die Zulage für Ausschussvorsitzende widerspreche einem Karlsruher Urteil aus 2000, wonach Funktionszulagen etwa auf Fraktionsvorsitzende begrenzt werden müssten. Der Automatismus zur Diätenerhöhung könnte einem Urteil aus 1975 widersprechen – allerdings sähen heute schon viele Landesgesetze eine Indexierung der Diäten vor, auch mache das Grundgesetz diesbezüglich keine ausdrücklichen Vorgaben.

Laut Montags-SZ (Christoph Hickmann) hielten Vertreter der Großen Koalition der verlautbarten Kritik entgegen, dass der Entwurf vorsehe, die Koppelung zu Beginn jeder Wahlperiode neu zu beschließen. Der Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer, so die Welt am Sonntag, meint, Gauck könne die Unterzeichnung nur ablehnen, wenn das Gesetz "ganz offenkundig verfassungswidrig" sei, wofür es keine Anhaltspunkte gebe.

Rechtspolitik

NSA I - Interview mit Snowden-Anwältin: Der Spiegel (S. Becker/M. Rosenbach/J. Schindler, Zusammenfassung) spricht mit der US-amerikanischen Snowden-Anwältin Jesselyn Radack und dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter und Whistleblower Thomas Drake über die Ermittlungen des Generalbundesanwaltes in der Geheimdienste-Affäre, warum Deutschland seit dem 11. September 2001 die Überwachungsplattform und das Ausspähziel Nummer eins der USA ist, die engen Beziehungen zwischen NSA und Bundesnachrichtendienst, Datensammlung als Kontrolle der Bevölkerung und Mittel der Wirtschaftsspionage, wie und wann Drake zum Whistleblower wurde, seine bevorstehende Aussage vor dem NSA-Untersuchungsausschuss und ob Deutschland ein gutes Aufnahmeland für Edward Snowden wäre.

NSA II -Untersuchungsausschuss: Die Welt am Sonntag widmet der für diesen Donnerstag geplanten Aussage des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Thomas Drake im NSA-Untersuchungsausschuss einen Beitrag (St. Aust/Th. Ammann/M. Bewarder/CC. Malzahn) auf dem Titel und im Politik-Teil (St. Aust/Th. Ammann/CC. Malzahn).

"Der Untersuchungsausschuss untersucht nichts" - so kommentiert Kai Biermann (zeit.de) die Arbeit des Ausschusses. Echte Aufklärung kommt nur aus den Medien, die Parlamentarier aber ließen die Regierung gewähren, die vertusche, wo sie nur kann.

Cyber-Dialog: Nicht "geringzuachten" sei die Versicherung von Vertretern der US-Regierung, keine normalen Bürger auszuspionieren und ihnen bei Verletzung ihrer Privatsphäre ein Klagerecht in den USA zu gewähren, kommentiert Joachim Jahn (Samstags-FAZ). Über den "Cyber-Dialog" in Berlin, anlässlich dessen die Aussagen getroffen wurden, berichtet die Samstags-FAZ (Majid Sattar).

Interview Maas: Mit der Samstags-FAZ (J. Jahn/E. Lohse/R. Müller) spricht der Bundesjustizminister Maas (SPD) über die Juristenherrschaft in den Ministerien, die Unabhängigkeit der Gerichte, Verbraucherschutz und Mietpreisbremsen, wann eine "Entflechtung" von Google angezeigt ist, warum es eines "Völkerrechts des Netzes" bedarf, die geplante EU-Datenschutzgrundverordnung, warum erst einmal Schluss ist mit der Vorratsdatenspeicherung, dass vermeintliche Sicherheitsinteressen kein Freibrief für Überwachung sind und warum die geplante Frauenquote für Börsenunternehmen der geringst-mögliche Eingriff sei, um endlich mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen.

Neues Verbraucherinsolvenzrecht: Heribert Prantl (Montags-SZ) kommentiert das ab dem morgigen Dienstag geltende neue Insolvenzrecht für Verbraucher, das sein Versprechen nicht halten könne, bankrotte Privatmenschen leichter zu entschulden. Zwar sei die sogenannte Wohlverhaltensperiode von sechs auf drei Jahre gekürzt worden, die aufzubringenden Beträge seien aber einfach noch zu hoch: Einen Erlass gibt es, wenn innerhalb von 36 Monaten 35 Prozent der Schulden sowie Gerichtskosten und Gebühren aus dem Insolvenzverfahren beglichen wurden. Hauptgrund für eine Verschuldung seien Arbeitslosigkeit, Scheidung und Krankheit.

Gesetzlicher Mindestlohn: Wie die Samstags-taz (Barbara Dribbusch) berichtet, habe sich die Regierungskoalition über Änderung am geplanten Mindestlohn-Gesetz, über das an diesem Freitag im Bundestag abgestimmt werden solle, geeinigt. "Extrawürste" gäbe es für Zusteller, Saisonkräfte und Praktikanten. Dazu auch spiegel.de.

EEG-Reform: Am vergangenen Freitag hat der Bundestag die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen. Wie die große Koalition, insbesondere aber Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) darauf hingearbeitet hat, erzählt die Samstags-taz (Malte Kreuzfeldt) und erläutert separat, was im einzelnen beschlossen wurde. Dazu auch spiegel.de.

Sexualstrafrecht – "Nein heißt nein": Die Badische Zeitung (Christian Rath) spricht mit dem Strafrechtsprofessor Joachim Renzikowski über die ausstehende Umsetzung des Europarat-Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – der sogenannten Istanbul-Konvention – durch Deutschland. Bisher sei es nach deutscher Rechtslage keine Vergewaltigung, wenn bei vaginaler, analer oder oraler Penetration "einfach der Wille der Frau missachtet" werde. Selbst bei opferfreundlicher Auslegung blieben noch Schutzlücken: So könne es etwa sein, dass eine bewusst auf einen Hilferuf verzichte, damit die Kinder nichts mitbekommen – Vergewaltigungen seien typischerweise Beziehungstaten.

Verschärfungen Prostitutionsgesetz: Die Samstags-FR (Mira Gajevic) berichtet über Unstimmigkeiten zwischen Union und den SPD-Ministerien Justiz und Familie bezüglich der geplanten Verschärfungen des Prostitutionsgesetzes. Die Union dränge auf die schnelle Einführung behördlicher Erlaubnispflichten für Bordelle, einem Recht der Polizei, auch verdachtsunabhängig Kontrollen durchzuführen, auf einer Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten sowie Regelungen zu Mindestalter, Anmeldepflichten, Gesundheitsuntersuchungen und Kondompflicht für Prostituierte. Das Familienministerium wolle zunächst einen Referentenentwurf erarbeiten lassen, kritisch sehe man beispielsweise die zwangsweisen Gesundheitstests.

"Sachsensumpf": Nach siebenjähriger Arbeit zweier Untersuchungsausschüsse zum sogenannten "Sachsensumpf" haben die Oppositionsfraktionen im Landtag laut Spiegel einen internen Schlussbericht vorgelegt, der schwere Vorwürfe gegenüber der CDU-geführten Regierung erhebe. Eine rechtsstaatliche Aufklärung der Vorwürfe sei nie ernsthaft in Angriff genommen worden.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. Juni 2014: Gauck gegen Diätenerhöhung – Umgang mit Justizirrtümern – Österreich kippt Vorratsdatenspeicherung . In: Legal Tribune Online, 30.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12388/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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