Die juristische Presseschau vom 27. bis 29. April 2013: Hoeneß und Oberschichtenkriminalität – Platzauslosung für NSU-Prozess – "Golden Ager" in Großkanzleien

29.04.2013

Weitere Themen – Justiz

NSU-Prozess/ Platzauslosung: Die an diesem Montag stattfindende Auslosung der Presseplätze im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München erläutert die Montags-FAZ (Peter Carstens). Nach einer Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts habe sich das OLG zu einer vollständigen Neuverteilung der noch immer 50 Presseplätze entschieden und diese in Kontingente aufgeteilt. So stünden nun jedenfalls vier Plätze für türkischsprachige Medien zur Verfügung. Ausgelost werde unter notarieller Aufsicht und in Anwesenheit von Hans-Jochen Vogel, ehemals Bundesjustizminister und SPD-Vorsitzender.

Möglichkeiten im "Fall Wulff": Die Möglichkeiten der Zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover, welcher der "Fall Wulff" zugeteilt wurde, erläutert die Samstags-FAZ (Robert von Lucius): Sie könne die Anklage wegen Bestechlichkeit zulassen oder ablehnen. Auch könnte sie die Anklage mit einem anderen, als dem vorgelegten Tatbestand zulassen oder den Ermittlern einen "zweiten Versuch vorgeben", mit einem "neuerlichen Angebot" an Wulff das Verfahren einzustellen. Ginge es "nur" noch um den Vorwurf der Vorteilsannahme, würde der Ex-Bundespräsident das Angebot vielleicht erneut bedenken und einem langwierigen Prozess vorziehen. Laut FAZ spricht der Ruf des Vorsitzenden Richters Frank Rosenow für ein flexibles Vorgehen der Kammer.

Groenewold fordert Unterlassungserklärung von Generalstaatsanwalt: Wie die Montags-SZ (Hans Leyendecker) berichtet, fordern die Anwälte des Filmproduzenten David Groenewold im Zusammenhang mit dem Fall Wulff eine "strafbewehrte Unterlassungserklärung" des Celler Generalstaatsanwaltes Frank Lüttig. Dieser habe behauptet, Groenewold habe versucht "Beweise aus der Welt zu schaffen", so die SZ.

BVerfG in Europa: Laut Focus möchte Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Rolle des Bundesverfassungsgerichts gestärkt sehen. In einem "zusammenwachsenden Europa" brauche man auch ein "bedeutungsvolles, gewichtiges Verfassungsgericht zur Achtung und Verteidigung unserer Grundrechte", so die Ministerin. Es dürfe keine "Sogwirkung" beim Europäischen Gerichtshof entstehen.

Die Montags-Welt (Thorsten Jungholt) befasst sich unter dem Titel "Erbitterter Machtkampf zwischen Karlsruhe und Europa" mit dem Verhältnis von BVerfG und EuGH. Sie lägen zurzeit auf "Konfrontationskurs". Die Angst vor Kompetenzverlusten an den EuGH werde noch verstärkt von "persönliche Animositäten der beiden Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle und Vasilios Skouris".

BVerfG zu Anti-Terror-Datei: Auf dem JuWiss-Blog findet sich unter dem Titel "Autoritative Erziehung im europäischen Verfassungsgerichtsverbund" eine Anmerkung des Rechtswissenschaftlers Hannes Rathke zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Anti-Terror-Datei aus der vergangenen Woche.

OVG Berlin-Brandenburg zu BER-Lärmkonzept: Über die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zum Lärmschutz für Anwohner des neuen Flughafens BER in Schönefeld berichtet die Samstags-FAZ (Mechthild Küpper): Die Flughafengesellschaft habe "die planfestgestellten Schutzauflagen systematisch verfehlt", so das Gericht laut FAZ. Nach Klagen mehrerer Anwohner und Gemeinden habe das Gericht bereits im Eilverfahren im vergangenen Jahr entschieden, dass es die strengen Lärmschutz-Maßstäbe im Planfeststellungsbeschluss für geboten halte.

Commerzbank muss zahlen: Ein Berufungsgericht in London entschied zugunsten von 104 ehemaligen Investmentbankern, dass die Commerzbank ihnen nachträglich insgesamt 52 Millionen Euro Boni zahlen muss, so die Samstags-SZ (Andrea Rexer). Die Boni seien im Jahr 2008 noch vor Ausbruch der Finanzkrise von der Dresdener Kleinwort zugesagt worden. Diese machte noch im selben Jahr etwa sechs Milliarden Euro Verlust. Die Commerzbank kaufte die Bank später auf und zahlte nur einen Teil der vereinbarten Summe aus, unter Berufung auf die veränderte wirtschaftliche Lage. spiegel.de berichtet ebenfalls.

BGH zu Neonazi-Freispruch: Für lto.de erläutert der Strafrechtsprofessor Armin Engländer die Gründe des Bundesgerichtshofes, den Freispruch eines süddeutschen Neonazis durch das Landgericht Freiburg aufzuheben und zurück zu verweisen. Der BGH kritisiere u.a., das LG hätte sich intensiver mit dem Vorliegen eines Verteidigungswillen befassen müssen.

BAG zu Kündigung wegen Kirchenaustritt: Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Kündigung eines Caritas-Mitarbeiters, nach dessen Kirchen-Austritt erläutert für lto.de der Rechtsprofessor Hermann Reichold. Das BAG hielt die Kündigung des Sozialpädagogen für zulässig, der u.a. wegen des kirchlichen Missbrauchsskandals ausgetreten war.

Bundesbank und EZB an BVerfG: Über die Bundesbank-Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht zum Verfahren um die Rechtmäßigkeit des dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) informiert die Samstags-FAZ (Stefan Ruhkamp/Philip Plickert/Joachim Jahn). In der Stellungnahme habe die Bank das "Anleihenkaufprogramm" der Europäischen Zentralbank (EZB) angegriffen. Unter anderem würden durch den gezielten Ankauf von Anleihen schlechter Bonität Risiken gesteigert und die EZB gefährde ihre Unabhängigkeit. Am 11. Juni werde der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, vor dem BVerfG aussagen, so die FAZ. Die EZB verteidige ihr Vorgehen in einer eigenen Stellungnahme, verfasst vom Göttinger Rechtsprofessor Frank Schorkopf. Dazu auch spiegel.de. Das Handelsblatt (Donata Riedel/Michael Inacker) berichtet ebenfalls ausführlich und bietet das EZB-Gutachten (Handelbslatt.de).

Neue Ermittlungen gegen Zschäpe: Wie die Montags-taz (Andreas Speit) berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Erfurt ein Ermittlungsverfahren wegen "versuchten mittäterschaftlichen Mordes oder Totschlags" gegen Beate Zschäpe eingeleitet. Möglicherweise hätten Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Jahr 1996 am Hauptbahnhof Erfurt auf zwei Punks geschossen. Dazu auch Fr-Online.de sowie spiegel.de (Julia Jüttner).

Ermittlungen gegen Rechts: Laut einem Bericht des Spiegel (S. Röbel/ J. Schindler/ H. Stark, Vorabmeldung auf spiegel.de) ermittelt die Bundesanwaltschaft in 14 Verfahren gegen Neonazi-Terroristen oder deren Unterstützer. Zehn Verfahren stünden dabei "im Zusammenhang" mit dem NSU. Eine "ungewöhnliche wie juristische gewagte" Maßnahme sei eines der Verfahren, in welchem nicht gegen eine bestimmte Person oder Gruppe ermittelt werde; vielmehr würde "jedweder Hinweis auf militante Rechte" in einem "Kessel Braunes" gesammelt. Seit einem Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2007 friste §129a Strafgesetzbuch, die Bildung einer terroristischen Vereinigung, der die Grundlage für die Ermittlungen darstelle, ein "Nischendasein", so der Spiegel. Der habe BGH die Ermittler damals ermahnt, "zur Bildung einer terroristischen Vereinigung gehöre laut Gesetz der Tatzweck, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern".

Nazis im BMJ: Eine von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eingesetzte Historikerkommission stellte fest, so der Spiegel (Felix Bohr, Vorabmeldung auf spiegel.de), dass das Justizministerium nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" noch lange durchsetzt war von alten Nazis. So waren etwa im Jahr 1950 "47 Prozent aller leitenden Beamten im Justizministerium ehemalige Parteigänger der Nazis", "1966 waren 60 Prozent der Abteilungsleiter […] ehemalige Mitglieder der NSDAP".

Justizirrtümer: Wie gut geht die Justiz mit einem Fehler um, der das Leben anderer zerstörte? Mit dieser Frage befasst sich Thomas Darnstädt (spiegel.de) mit Blick etwa auf den vor dem Landgericht Darmstadt begonnen Prozess um Freiheitsberaubung durch eine Lehrerin. Diese hatte einen Kollegen der Vergewaltigung beschuldigt, der daraufhin fünf Jahre unschuldig in Haft verbrachte. Rolf Eschelbach, Richter am Bundesgerichtshof, spricht laut Darnstädt gar von der "Lebenslüge" der Justiz, die behaupte, es gebe kaum Falschurteile. Eschelbach glaube, eines von vier Strafurteilen sei eine Falschentscheidung. Das würde bedeuten, so Darnstädt, dass es täglich etwa 650 Falschverurteilungen in Deutschland gäbe.

OLG Koblenz – Link zu Enthauptungsvideo: Wie Holger Schmidt auf dem SWR-Terrorismus-Blog informiert, hat der Verteidiger von Hussam S. Revision beim Bundesgerichtshof gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz eingelegt. S. habe unter dem Decknamen "Gezogenes Schwert" Al Qaida durch die Verbreitung islamistischer Propaganda über das Internet unterstützt. Als Grund für die Revision habe der Verteidiger Verurteilung nach § 140 Strafgesetzbuch, der Billigung von Straftaten, angegeben: S. habe zwar einen Link zu einem Enthauptungsvideo verbreitet, dies könne aber, so die Verteidiger-Sicht, nicht automatisch bedeuten, dass S. sich die Intention des Videos zu eigen machen wollte.

Dividendenstripping: Anlässlich der Ermittlungen der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft gegen die Hypo Vereinsbank, Rafael Roth und dessen Steueranwalt Hanno Berger befasst die Samstags-FAZ (Joachim Jahn) ausführlich mit dem Streit um die rechtliche Zulässigkeit der Ausnutzung eines bis ins Jahr 2012 bestehenden Steuerschlupfloches. Dieses habe es Banken ermöglicht, "im großen Stil Aktien gezielt mit dem Umweg über das Ausland" hin und her zu verkaufen. Dies führte dazu, dass der Staat "mehreren Geschäftspartner die Kapitalertragsteuer auf Ausschüttungen" gutschreiben, die er nur einmal von der jeweiligen Aktiengesellschaft erhielte. Justiz und Betroffene stritten darum, ob das sogenannte "Dividendenstripping" steuerrechtlich korrekt sei – oder gar eine Straftat.

Die Welt am Sonntag (Martin Greive/Anne Kunz) widmet dem Thema einen breit angelegten Beitrag unter dem Titel "Steinbrücks Schlupfloch". Der ehemalige Bundesfinanzminister habe im Jahr 2007 das Schlupfloch im Jahressteuergesetz nur zur Hälfte geschlossen, so waren etwa ausländische Banken von der Neuregelung ausgenommen. Gleichzeitig sei noch der letzte Investor auf die Lücke hingewiesen worden und diese von einer faktischen zu einer gesetzlichen gemacht, so die Welt am Sonntag. Dazu auch spiegel.de, die sich auf den Welt-Beitrag beziehen.

Arbeit mit V-Leuten: Über die Kritik eines leitenden Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz an der Arbeit der Verfassungsschutzämter mit V-Leuten während einer nicht-öffentlichen Sitzung des Bundestags-Untersuchungsausschusses, berichtet die Samstags-FR (Markus Decker). Die Betreuung der V-Personen sei teilweise mangelhaft, auch die Auswahl der Informanten, darunter Schwerkriminelle, sei unmöglich.

Finanzaufsicht zu Götze-Wechsel: Den BVB kommt der Wechsel von Mario Götze nach München vielleicht teuer zu stehen, wie die Samstags-SZ (Andrea Rexer) berichtet: Es könne in Bußgeld ein Höhe von sechs Millionen Euro durch die Finanzaufsicht Bafin drohen, wenn die BVB-Aktionäre zu spät über den Spielerwechsel informiert worden wären. Die Pressemitteilung sei bereits am vergangenen Dienstag raus gegangen, die offizielle Information der Aktionäre sei indes erst am Donnerstag erfolgt. Die Bafin schaue sich den Vorgang bislang aber nur "routinemäßig ergebnisoffen" an, so die SZ.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. bis 29. April 2013: Hoeneß und Oberschichtenkriminalität – Platzauslosung für NSU-Prozess – "Golden Ager" in Großkanzleien . In: Legal Tribune Online, 29.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8624/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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