Die juristische Presseschau vom 26. Februar 2016: Geheime Infor­ma­tionen / ver­ur­teilter Staats­an­walt / zeit­ver­setzte Not­wehr

26.02.2016

Justiz

EuGH zu Wartefrist für Sozialleistungen: Der Europäische Gerichtshof hat den in der Regel geltenden dreimonatigen Ausschluss von Unionsbürgern von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II gebilligt. Das Urteil kam in der Folge der Entscheidungen Alimanovic und Dano nicht überraschend, schreiben taz (Christian Rath), SZ (Wolfgang Janisch) und FAZ (Joachim Jahn). Rechtsprofessorin Constanze Janda kritisiert auf lto.de die Billigung der starren Wartefrist in Fällen wie dem entschiedenen. Der Kläger war seiner in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ehefrau nachgezogen, weshalb sein Lebensmittelpunkt von Beginn an in Deutschland begründet gewesen sei, damit habe ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit Inländern vorgelegen.

Christian Rath (taz) kontrastiert das EuGH-Urteil in einem separaten Kommentar mit der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Auf den ersten Blick setze sich jenes mehr für zugewanderte EU-Bürger ein als der EuGH. Allerdings lege das BSG auch eine konsequente Ausweisung von EU-Bürgern ohne Aufenthaltsrecht nahe, was deren Interessen auch nicht entspreche. "Die meisten Betroffenen werden wohl sagen: Lieber keine Sozialhilfe als eine Ausweisung."

BVerfG – Verfassungsklage auf Risikoerforschung: Eine Studie des Umweltbundesamtes kommt zu dem Schluss, dass die gegenwärtigen Normen zur Zulassung von Windkraftanlagen Defizite aufweisen, weil etwa besonders niedrige Infraschallfrequenzen danach nicht gemessen werden. Im Hinblick auf mögliche Gesundheitsgefahren durch Infraschall gebe es viele Unwägbarkeiten. Darauf gegründet wollen Windkraftgegner nun mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht umfangreiche Untersuchungen und ein Moratorium für den Bau von Windkraftanlagen, bis zur Schaffung von Normen auf neuer wissenschaftlicher Grundlage, erreichen, schreiben taz (Christian Latz) und Welt (Ulrich Exner/Daniel Wetzel).

BVerfG – NPD: Am kommenden Dienstag beginnt die dreitägige Anhörung im NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Argumentation der Bundesländer in dem historischen Verfahren ist bekannt, aber die NPD hat sich noch nicht geäußert und ihr Anwalt hat "Knaller" angekündigt. Ähnlich einem Strafverfahren müsse die Vermutung zugunsten der Verfassungstreue der Partei von den Ländern widerlegt werden, ob das gelinge werde mit Spannung erwartet, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch).

BGH zu Fahrverbot bei Tatmehrheit: Bei gleichzeitiger Entscheidung über in Tatmehrheit stehende Ordnungswidrigkeiten, die jeweils mit Fahrverbot als Nebenfolge geahndet werden können, darf lediglich ein einheitliches Fahrverbot verhängt werden. Die entsprechende Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus Dezember ist nun veröffentlicht, melden lto.de und lawblog.de (Udo Vetter).

OLG München – NSU: Wie die SZ meldet, plant das Oberlandesgericht München im NSU-Prozess weitere Verhandlungstermine bis Januar 2017. Wie spiegel.de (Björn Hengst) berichtet, haben die Wohlleben-Anwälte erneut einen Befangenheitsantrag gestellt, diesmal gegen den gesamten Senat. Sie werfen den Richtern vor, sich in ihrer Beweiswürdigung längst festgelegt und "eklatant gegen den Grundsatz der Aussagefreiheit des Angeklagten" verstoßen zu haben.

BVerwG zu IHK-Prüfung: Die SZ (Thomas Öchsner) schreibt über die Gerichtsverfahren, mit denen verschiedene Industrie- und Handelskammern versuchen sich der Prüfung durch die Rechnungshöfe zu entziehen. 2009 unterlag bereits die IHK Schwaben vor dem Bundesverwaltungsgericht und nun entschied es zu Lasten der IHK Leipzig. Seit dem vergangenen Jahr klagen auch die Kammern Erfurt und Südthüringen gegen ihre Prüfung.

LG Freiburg zu unbearbeiteten Akten: Weil er Akten unbearbeitet liegen ließ, so dass die Taten in zwei Fällen sogar verjährten, wurde ein Staatsanwalt vom Landgericht Freiburg wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt zu einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Nun droht dem bisher Beurlaubten der Entzug des Beamtenstatus schreiben lto.de und spiegel.de.

LG Frankfurt – Haftbefehl-Aufhebung: In Hessen gab es Querelen, weil der Haftbefehl gegen einen Terrorverdächtigen wegen "Überlastung" des Landgerichts Frankfurt aufgehoben worden sein sollte. Die Aufhebung des von Beginn an gegen Meldeauflage außer Vollzug gesetzten Haftbefehls war erfolgt, nachdem der Beschuldigte die Auflagen konsequent eingehalten und das Zwischenverfahren sich wegen "temporär bestehende[r] starker Auslastung" – so der Gerichtssprecher – verzögert hatte. Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung, schreiben lto.de und FAZ (Timo Frasch).

SG Düsseldorf zu Opferentschädigungsgesetz: Das Sozialgericht Düsseldorf hat eine Klage auf Opferentschädigung wegen Alkoholkonsums der Mutter während der Schwangerschaft abgewiesen, schreiben lto.de und lawblog.de (Udo Vetter). Trotz der Schädigung des Klägers liege keine Gewalttat im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes vor. Körperverletzung an der Leibesfrucht gebe es als Straftat nicht, sie sei nur gegen ihre illegale Abtreibung strafrechtlich geschützt und der Versuch einer solchen sei nicht erweislich. Dazu auch rechtsindex.de.

AG Lüdinghausen zu "Gotteslästerung": Wegen den Aufschriften "Jesus - 2000 Jahre rumhängen und immer noch kein Krampf!" und "Wir pilgern mit Martin Luther: Auf nach Rom! Die Papstsau Franz umbringen. Reformation ist geil" auf seinem Auto, ist ein Mann vom Amtsgericht Lüdinghausen wegen Bekenntnisbeschimpfung (§ 166 Strafgesetzbuch) mit Strafvorbehalt verwarnt worden, melden lto.de, SZ und spiegel.de.

StA Berlin – LaGeSo-Korruption: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat einen Referatsleiter des LaGeSo und den Chef einer Sicherheitsfirma festgenommen. Gegen Geldzahlungen von der Sicherheitsfirma soll der Referatsleiter nur Aufträge für den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften vergeben haben, wenn diese Sicherheitsfirma mit der Bewachung beauftragt wurde. Es berichtet die taz (Susanne Memarnia/Uta Schleiermacher – ausführlich auf taz.de).

VZBV vs. Google: Google meint, seine Datenschutzrichtlinien berechtigten zum automatischen Scannen von E-Mail-Inhalten zu Werbezwecken und hat sich geweigert die vom Verbraucherzentrale Bundesverband geforderte Unterlassungserklärung abzugeben. Der VZBV meint, es sei eine explizite Zustimmung zum Scannen erforderlich und will nun klagen. Die Frage, ob eine Datenschutzerklärung trotz der Einwilligung des Kunden unwirksam sein kann, könnte damit durch alle Instanzen gehen, schreibt die SZ (Daniel Moßbrucker).

Thomas Fischer im Interview: Der Stern (Katja Gloger) interviewte BGH-Richter Thomas Fischer aus Anlass seines bald erscheinenden Buches "Im Recht". Fischer spricht über seine zeit.de-Kolumnen ("Ich äußere Kritik in bildhafter Weise, aber ich falle über niemanden her."), die Kölner Silvesternacht als Folge des neoliberalen Kapitalismus, Pegida und AfD als "deutsche Ausländer".

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. Februar 2016: Geheime Informationen / verurteilter Staatsanwalt / zeitversetzte Notwehr . In: Legal Tribune Online, 26.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18583/ (abgerufen am: 03.05.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen