Die juristische Presseschau vom 24. April 2020: Pro­zess­auf­takt im Syrien-Pro­zess / EuGH zu Arbeit­neh­mer­f­rei­zü­g­ig­keit / Mord im Raser-Fall?

24.04.2020

Der Prozess um mutmaßliche Folterer des syrischen Geheimdienstes hat vor dem OLG Koblenz begonnen. Laut EuGH muss ausländische Berufserfahrung anerkannt werden und der Fall der Ku'damm-Raser wird erneut vor dem BGH verhandelt.

Thema des Tages

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Das weltweit erste Strafverfahren gegen Mitarbeiter des Assad-Regimes wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit hat vor dem Oberlandesgericht Koblenz begonnen. Konkret geht es um die Taten der Angeklagten Anwar Raslan und Eyad Alghareib. Der Generalbundesanwalt hatte aufgrund des Weltrechtsprinzips, das seit 2002 eine Strafverfolgung in Deutschland im Fall von nach dem Völkerstrafgesetzbuch sanktionierten Verbrechen auch dann erlaubt, wenn diese im Ausland begangen wurden und weder Täter noch Opfer aus Deutschland stammen, die Ermittlungen aufgenommen. Anwar Raslan werden in seiner Rolle als Ermittlungschef der Abteilung 251 des staatlichen Geheimdienstes, der das berüchtigte Khatib-Gefängnis unterstand, Mord in mindestens 58 Fällen und Folter in mindestens 4000 Fällen, schwere sexuelle Nötigung und Vergewaltigung vorgeworfen, für die er laut Anklage als Inhaber über die Befehlsgewalt die Tatherrschaft gehabt haben soll. Der wegen Beihilfe zu den genannten Taten angeklagte Eyad Alghareib soll als niederrangiger Beamter des Geheimdienstes zu Beginn des Bürgerkriegs über 30 Demonstranten in das Geheimdienstgefängnis gebracht und damit der Folter zugeführt haben. Der Verteidiger Raslans, Michael Böcker, kündigte an, dieser werde an einem der nächsten Verhandlungstage eine schriftliche Erklärung abgeben. Alghareib werde sich laut seinem Verteidiger Hannes Linke nicht äußern. Heute soll die Beweisaufnahme durch Vernehmung erster Zeugen begonnen werden. Das Oberlandesgericht Koblenz hat bislang 23 Prozesstage bis zum 13. August angesetzt. Vom Prozessauftakt berichten ausführlich lto.de (Markus Sehl), spiegel.de (Julia Jüttner), sowie SZ und taz (Sabine am Orde). Zu den Hintergründen des Verfahrens und weiteren offenen internationalen Haftbefehlen schreibt spiegel.de (Christoph Reuter/Fidelius Schmid).

Stefan Ulrich (SZ) meint: "Natürlich gehören die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Kriegsverbrechen, die Assad und seine Komplizen an unzähligen ihrer Landsleute begangen haben, eigentlich vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Denn die Taten sind solch furchtbare Anschläge auf Menschenwürde und Menschenrechte, dass sie die ganze Welt etwas angehen." Da dies durch Russlands Vetorecht verhindert würde, sei das Verfahren für Überlebende der Folter und Angehörige der Toten in Koblenz jedoch besser als gar kein Verfahren. Dominic Johnson (taz) hält die historische Tragweite für kaum zu überschätzen, da "die deutsche Justiz damit internationales Vorbild wird."

Corona und Recht

OVG Bremen zu 800-qm-Regel: Laut lto.de hat das OVG Bremen Eilanträge der Karstadt Sports GmbH und zweier Restaurantketten gegen die Coronaverordnung in Bremen abgelehnt. Die in der Corona-Verordnung des Landes vorgesehene Regelung, dass vorerst nur Einzelhandelsbetriebe mit einer Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern öffnen, sei verhältnismäßig. Die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH hat ihren Eilantrag inzwischen wieder zurückgenommen, das Normenkontrollverfahren ist jedoch weiterhin anhängig.

OVG Hamburg - 800-qm-Regel*: Wie lto.de berichtet, will das Oberverwaltungsgericht Hamburg erst in der nächsten Woche im Eilverfahren über die Öffnung von  Unternehmen mit mehr als 800 qm entscheiden. Bis dahin hat das OVG auf Antrag der Stadt eine Zwischenverfügung erlassen, dass die Öffnung nur bis 800 qm erlaubt ist. Das VG Hamburg hatte zuvor die entsprechende Regelung in der Hamburger Corona-Verordnung als unverhältnismäßig beanstandet. Das Hbl (Heike Anger u.a.) berichtet auf dem Stand des Vortags und erwartet eine Prozessflut für kommende Woche. Die Autoren sprechen mit Anwälten und Rechtswissenschaftlern über die Rolle der Gerichte.

Corona – Glaubhaftmachung: zpoblog.de (Kornelia To8porzysek) und community.beck.de (Oliver Elzer) befassen sich mit den prozessualen Implikationen des Art. 5 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, dabei insbesondere mit den prozessualen Anforderungen, die an den Nachweis eines Zusammenhangs zwischen der COVID-19-Pandemie und der Nichtleistung der Miete i.S.d. Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB zu stellen sind, der zur Anwendung der Kündigungssperre führt. Es stehe insbesondere die Anwendbarkeit der gerichtlich zu § 294 ZPO entwickelten Grundsätze in Frage.

Corona – "Angstwerbung": Rechtsprofessor Christian Alexander setzt sich auf community.beck.de aus wettbewerbsrechtlicher Sicht mit solcher Werbung auseinander, die in Zeiten der Pandemie die allgemein herrschende Unsicherheit möglicherweise missbräuchlich ausnutzt.

Corona – Maskenpflicht: Auf juwiss.de unternimmt der Doktorand Björn Engelmann eine verfassungsrechtliche Einordnung der nun in einigen Bundesländern geplanten Pflicht zur Bedeckung von Mund und Nase. Diese setzt er ins Verhältnis zu den Grundrechtseinschränkungen durch eine Verlängerung der geltenden Maßnahmen, kommt jedoch vorerst zu dem Schluss, dass auch der Verordnungsgeber eine fortlaufende Evaluation der ergriffenen Maßnahmen vorzunehmen hat.

Corona – Tschechien – Ausgangsbeschränkungen: Laut focus.de hat ein Gericht in Prag die in Tschechien seit dem 16. März geltenden strikten Ausgangsbeschränkungen aus formellen Gründen für rechtswidrig erklärt und ab heute aufgehoben. Damit würde auch das Ausreiseverbot für tschechische Bürger aufgehoben.

Corona – Griechenland – Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen: Die Doktorandin Eirini Fasia stellt auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die Vereinbarkeit der durch die griechische Regierung zur Eindämmung des Corona-Virus ergriffenen Maßnahmen mit der Verfassung infrage. Sie hebt dabei hervor, dass die griechische Verfassung anders als die anderer Staaten im Grundsatz gerade keinen Ausnahmezustand kennt, der die Einschränkung von Rechten und Pflichten in Krisenzeiten erlaubt.

Rechtspolitik

Personengesellschaftsrecht: Das Bundesjustizministerium hat einen Entwurf zur Änderung des Personengesellschaftsrechts vorgelegt, der auf durch Richterrecht vollzogene Umgestaltungen reagieren soll. Insgesamt sollen 39 Gesetze geändert werden, neben dem BGB zählen dazu auch das Handelsgesetzbuch (HGB), die Grundbuchordnung (GBO) und das Umwandlungsgesetz (UmwG). Die akademischen Räte Christian Deckenbrock und David Markworth berichten auf lto.de im Detail über die vorgeschlagenen Änderungen.

Inkassorecht: Der Anwalt Markus Hartung stellt auf lto.de kritisch den "Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften" des Bundesjustizministeriums vor. Dieser ziele im Wesentlichen auf die Reduzierung und Deckelung anwaltlicher Gebührenansprüche durch anwaltliche Informationspflichten gegenüber den Schuldnern und eine Neuregelung der Aufsicht über Rechtsdienstleister. Darüber hinaus enthalte er jedoch die Möglichkeit, britischen Anwälten nach dem Brexit die Grundlage für ein weiteres Tätigwerden zu entziehen.

Justiz

EuGH zu Berufserfahrung: Nach einer Entscheidung des EuGH muss die in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Berufserfahrung eines Arbeitnehmers umfänglich anerkannt werden, da andernfalls die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 Abs. 1 AEUV nicht gewährleistet sei. Er entschied damit zugunsten einer Lehrerin mit 17 Jahren Berufserfahrung in Frankreich, der bei ihrer Einstellung in Niedersachsen nur drei Jahre Berufserfahrung anerkannt wurde und die deshalb weniger Gehalt erhalten hatte. Es berichtet lto.de.

BGH – Raser: Der Bundesgerichtshof hat den Fall der beiden durch das Landgericht Berlin wegen Mordes verurteilten Raser Hamdi H. und Marvin N. zum zweiten Mal verhandelt. Im Kern geht es vor dem BGH um die Abgrenzung von Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit. Hierbei wird auch die Frage der Angst vor Eigengefährdung eine Rolle spielen. Im Fall von Marvin N. könnte der BGH erneut einen rechtlich irrelevanten "dolus subsequens" annehmen, der erst für einen Zeitpunkt festgestellt wurde, an dem der Täter den tödlichen Unfall nicht mehr hätten verhindern können. Stefan Conen, der Anwalt Hamdi H.'s, befürchtet, dass der neu geschaffene § 315d StGB (illegale Kfz-Rennen) leerlaufen würde, wenn der BGH das Urteil des LG Berlin bestätigt, da in diesem Fall jede Beteiligung an einem Raser-Wettrennen zugleich mit einem Mordvorsatz verbunden sei. Das Urteil soll am 18. Juni verkündet werden. Es berichten ausführlich spiegel.de (Wiebke Ramm), lto.de (Christian Rath) sowie FAZ (Constantin van Lijnden) und SZ (Wolfgang Janisch).

OLG München zu NSU: Laut lto.de hat Wolfgang Heer, ein Verteidiger von Beate Zschäpe, das nun nach fast zwei Jahren vorliegende schriftliche Urteil des Münchner Oberlandesgerichts in zentralen Teilen für juristisch nicht haltbar erklärt. Er behauptete, die schriftliche Argumentation des Gerichts zur Mittäterschaft Zschäpes stehe in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

OLG Frankfurt – IS-Verbrechen: An diesem Freitag beginnt vor dem Oberlandesgericht Frankfurt der erste Prozess wegen Völkermordes an den Jesiden durch den "Islamischen Staat" (IS). Seit 2011 ermittelt der Generalbundesanwalt nach dem Völkerstrafgesetzbuch wegen Verbrechen durch den IS in Syrien, meldet welt.de.  

BAW – Morde von Hanau: Mehrere Familien der Opfer und Überlebende des Attentats von Hanau fordern laut SZ (Annette Ramelsberger) mit anwaltlicher Hilfe Einsicht in die Ermittlungen des Generalbundesanwalts und Informationsgespräche für die Familien. Dies ist grundsätzlich prozessrechtlich nicht vorgesehen, sofern wie im Fall des Attentäters von Hanau, der sich selbst im Anschluss an die Tat erschoss, kein Ermittlungsverfahren geführt und kein Prozess vorbereitet wird. Nach Ansicht ihrer Anwälte Antonia von der Behrens und Alexander Hoffmann gebe es jedoch keinen Grund, die Akteneinsicht zu verweigern.

EuGH zu diskriminierenden Äußerungen: Laut FAZ (Marlene Grunert) hat der EuGH entschieden, dass ein Arbeitgeber sich auch dann nicht abwertend über die sexuelle Orientierung möglicher Bewerber äußern darf, wenn zum Zeitpunkt der Äußerung gar kein Einstellungsverfahren geführt wird. Geklagt hatte eine italienische Anwaltsvereinigung gegen einen Anwalt, der im Radio eklärt hatte, er würde keine Homosexuellen einstellen.

BGH zu Stacheldrahtunfall: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass einem Fahrradfahrer, der nicht rechtzeitig vor einem über den Weg gespannten Stacheldraht hatte bremsen können und gestürzt war, kein Mitverschulden anzurechnen ist – jedenfalls dann nicht, wenn der Draht ein Hindernis darstellt, auf das nichts hindeutete. Der BGH hat damit die Entscheidung des Berufungsgerichts korrigiert, das dem Radfahrer 75 Prozent Mitverschulden attestiert hatte, so lto.de und spiegel.de.

BGH zu Trennungsunterhalt: Wie lto.de berichtet, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Frau auch im Fall einer arrangierten Ehe, im Rahmen derer es nie ein Zusammenleben oder intimen Kontakt gegeben habe, ein Trennungsunterhalt zusteht. Der Anspruch setze nicht voraus, dass das Paar zusammengelebt oder gemeinsam gewirtschaftet habe, soweit ursprünglich jedenfalls der gemeinsame Plan des Zusammenlebens an einem gemeinsamen Wohnort bestanden hat.

LG Hannover zu Rathaus-Affäre: Nach Bericht der FAZ (Reinhard Bingener) und der SZ hat das Landgericht Hannover in der sogenannten Rathausaffäre um illegale Gehaltszulagen in Höhe von 50.000 Euro für den Büroleiter des ehemaligen Oberbürgermeisters von Hannover, Stefan Schostok, diesen freigesprochen, den Personaldezernenten Harald Härke jedoch wegen Untreue in besonders schwerem Fall zu einer elfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Recht in der Welt

Ungarn – EuGH – Transitlager: Den Schlussanträgen des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs Pikamäe zufolge verstoßen die Unterbringungsbedingungen im ungarischen Transitlager Röszke gegen Unionsrecht, da sich die Asylsuchenden in einer haftähnlichen Situation befänden. So sei etwa die Bewegungsfreiheit der Menschen in hohem Maß eingeschränkt, die Transitlager seien mit hohem Zaun und Stacheldraht umgeben. Die vier Asylbewerber, die geklagt hatten, durften ihren Sektor nur in Ausnahmen und in polizeilicher Begleitung verlassen. Der Generalanwalt machte darüber hinausgehend deutlich, dass Ungarn die Bearbeitung der Asylanträge nicht mit dem Hinweis ablehnen dürfe, die Betroffenen seien durch ein sicheres Transitland gekommen. Es berichten zeit.de und spiegel.de.

Frankreich – Corona – Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: Der Doktorand Geoffrey Juchs diagnostiziert auf juwiss.de einen Rückgang von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Frankreich. Dieser habe mit den durch die Pandemie bereits beeinträchtigten Kommunalwahlen am 15. März seinen Ausgang genommen und sich durch entsprechende Änderungen des Wahlrechts durch Durchsetzungsverordnungen und das Ausnahmezustandsgesetz manifestiert.

Schweiz – "Sommermärchen": Die SZ (Thomas Kistner) berichtet im Sportteil, dass der Staatsanwalt der Schweizer Bundesanwaltschaft Cédric Remund, unter dessen Leitung der Schweizer Strafprozess um geflossene Gelder in Höhe von 6,7 Millionen Euro im Zusammenhang mit der Vergabe der Fußball-WM 2006 erfolglos blieb, im Jahr 2017 an einem Privattreff mit dem damaligen Fifa-Chef Infantino teilgenommen haben könnte. Am kommenden Montag sind die Vorwürfe offiziell verjährt.

* Anm. d. Red.: Absatz nachträglich verändert am Tag der Veröffentlichung, 10:48 Uhr (chr). 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/cc

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. April 2020: Prozessauftakt im Syrien-Prozess / EuGH zu Arbeitnehmerfreizügigkeit / Mord im Raser-Fall? . In: Legal Tribune Online, 24.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41404/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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