Die juristische Presseschau vom 20. Dezember 2018: Urteil zum Mün­chner Amok­lauf / BGH zu PKV-Bei­trägen / US-Strafjus­tiz­re­form

20.12.2018

Das LG Karlsruhe verurteilte Darknet-Geschäftsmann im Fall des Münchner Amoklaufs u.a. wegen fahrlässiger Tötung. Außerdem in der Presseschau: BGH weist Ansprüche gegen private Krankenkassen ab und US-Senat beschließt Strafjustizreform.

Tagesthema

LG Karlsruhe zu Münchner Amoklauf: Das Landgericht Karlsruhe verurteilte gestern den Betreiber der Darknet-Plattform, über die sich der Münchner Amokläufer seine Waffe besorgt hatte, zu sechs Jahren Freiheitsstrafe. Er wurde unter anderem wegen fahrlässiger Tötung, Körperverletzung und Beihilfe zu Verstößen gegen das Waffen- und das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Durch Einrichtung der Plattform habe er die notwendige Voraussetzung für den späteren Amoklauf geschaffen und habe auch damit rechnen müssen, dass auf diesem Wege labile oder unzuverlässige Personen an Waffen gelangen könnten. Ein solches Urteil stellt, wie auch der Vorsitzende Richter feststellte, "juristisches Neuland" dar. Es berichten unter anderem SZ (Martin Bernstein/Sönke Möhl), lto.de und FAZ.

Ronen Steinke (SZ) begrüßt die Entscheidung als ein "erfreulich klares Urteil", das schuldangemessen sei und die Einführung eines Sonderdelikts überflüssig mache.

Wie genau das Darknet funktioniert und welche Schwierigkeiten den Ermittlern bei der Verfolgung von Straftaten begegnen, die hier begangen werden, schildert  deutschlandfunk.de (Peggy Fiebig). Das Hbl (Michael Scheppe) stellt den leitenden Oberstaatsanwalt der zentralen Stelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität in Gießen, Andreas May, und dessen Arbeit vor.

Rechtspolitik 

Grundsteuer: Die Immobilienverbände üben Kritik am Vorhaben von Katarina Barley (SPD), Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, den Vermietern verbieten zu wollen, die Grundsteuererhöhungen auf die Miete umzulegen. Sie sprechen sich stattdessen dafür aus, die Grundsteuer gänzlich abzuschaffen und stattdessen die Einkommenssteuer zu erhöhen, wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet. 

Für diesen Vorschlag spricht sich auch Michael Fabricius (Welt) aus. Ein differenzierter Verteilungsschlüssel zwischen Mietern und Vermietern könnte zwar auch zu gerechten Ergebnissen führen, wäre aber zu kompliziert, weshalb viel für eine Abschaffung der Grundsteuer spreche. 

Justiz

EuGH zu regionalen Produktbezeichnungen: Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs darf an die Produktbezeichnung "Schwarzwälder Schinken" die Voraussetzung geknüpft sein, dass der Schinken im Schwarzwald geschnitten und verpackt wurde, wenn dies erforderlich ist, um seine Qualität oder seinen Ursprung zu gewährleisten. Über das Urteil berichten lto.de und spiegel.de.

EuGH – Widerrufsrecht bei Onlinekäufen: Der Generalanwalt sprach sich im Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof dafür aus, dass online gekaufte Matratzen auch nach Öffnen der Versiegelung noch zurückgegeben werden können, meldet lto.de (Markus Sehl).

EuGH  Datenverarbeitung auf Websites: Nach Ansicht des Generalanwalts sind Website-Betreiber, die auf ihrer Internetseite einen "Gefällt mir"-Button für Facebook-Likes eingerichtet haben, für die Verarbeitung der so generierten Daten durch Facebook mitverantwortlich Eine derartige Mitverantwortlichkeit würde umfassende datenschutzrechtliche Verpflichtungen der Seitenbetreiber begründen. Es berichtet lto.de

BVerfG zu Flüchtlingspolitik: Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Organstreitverfahren der AfD-Bundestagsfraktion gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik kommentiert nun auch Christian Rath (lto.de). Er kritisiert die Entscheidung, die sich "hinter der Unzulässigkeit der AfD-Anträge versteckt" und die Gelegenheit versäumt habe, zu den Vorwürfen der AfD Stellung zu nehmen. Rath argumentiert , dass die Unzulässigkeit nicht eindeutig feststand und dass das Gericht das Prozessrecht oft auch unkonventionell anwende, um Aussagen machen zu können. Der rechtspolitischen Frage, ob es sinnvoll gewesen wäre, hier der Aussage Horst Seehofers (CSU) von einer "Herrschaft des Unrechts" durch Urteil zu widersprechen, widmet sich Timo Schwander auf juwiss.de

BVerfG zu Begriffsverständnissen: Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass im Rahmen der Prüfung eines Richtigstellungsanspruchs wegen eines falsch verwendeten Rechtsbegriffs auf das Begriffsverständnis eines Laien abzustellen sei. Danach durfte die "Bild"-Zeitung über die "Verpfändung" des Hauses von Boris Beckers Mutter berichten, obschon dieses lediglich in eine Sicherheitenliste eingetragen und kein Pfandrecht bestellt wurde. Für einen durchschnittlichen Zeitungsleser bestehe hier kein Unterschied. Über die Entscheidung berichten FAZ und lto.de

BGH zu privaten Krankenversicherungen: Der Bundesgerichtshof verwies die Klagen mehrerer hundert Versicherungsnehmer gegen private Krankenkassen an vorinstanzliche Gerichte zurück. Nach Auffassung des BGH besteht kein Anspruch auf Rückzahlung von Krankenversicherungsbeiträgen, weil nicht festgestellt werden konnte, dass diese zu hoch waren. Die mangelnde Unabhängigkeit des für die Prüfung der Betragserhöhungen zuständigen Treuhänders sei in den Vorinstanzen nicht fehlerfrei festgestellt worden und könne zudem für sich genommen die Unrechtmäßigkeit der Beitragserhöhung nicht begründen. Es berichten unter anderem FAZ (Marcus Jung), SZ (Wolfgang Janisch/Ilse Schlingensiepen), tagesschau.de (Klaus Hempel) und das Handelsblatt (Carsten Herz).

BGH zu Untreue: In einem gestrigen Urteil hob der Bundesgerichtshof Verurteilungen der ehemaligen Oberbürgermeisterin von Pforzheim und ihrer Kämmerin wegen Untreue auf. Sie waren vom Landgericht Mannheim wegen riskanter Finanzgeschäfte verurteilt worden, die zu zweistelligen Millionenverlusten der Stadt geführt hatten. Der BGH sah den Vermögensnachteil als nicht rechtsfehlerfrei festgestellt an. So sei nicht ausgeschlossen, dass die Gewinnmargen eine angemessene Gegenleitung darstellten. Es berichten FAZlto.de und swr.de.

BSG zu Arbeitsunfällen: Auf dem Expertenforum Arbeitsrecht stellt Rechtsanwalt Julian Wölfel ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem November vor, in dem ein Sturz auf der Kellertreppe, erlitten von einer Person, die im Home-Office arbeitete, als Arbeitsunfall gewertet wurde.

VG Gelsenkirchen zu Sami A.: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat seine Rückholanordnung an die Stadt Bochum aufgehoben. Nach der Zusicherung des tunesischen Staates, dass dem im Juli als Gefährder abgeschobenen Sami A. keine Folter oder unmenschliche Behandlung drohe, stelle sein Aufenthalt dort keinen rechtswidrigen Zustand mehr dar. Es berichten lto.de und spiegel.de.

LG Berlin zu "Migrantenschreck"-Händler: Über das Urteil des Landgerichts Berlin gegen einen aus Ungarn agierenden rechtsextremen Waffenhändler, der sich nach Auffassung der Richter in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befand, berichten nun auch lto.de und zeit.de (Jesko Wrede).

AG Nürnberg zu Abschiebewiderstand: Das Amtsgericht Nürnberg hat einen jungen Afghanen zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt, dessen Mitschüler seine Abschiebung aus dem laufenden Betrieb einer Nürnberger Berufsschule im Mai 2017 verhindert hatten. Der Afghane hatte sich mit seinen Mitschülern der Abschiebung widersetzt und wurde darum nun wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Sachbeschädigung verurteilt. spiegel.de (Tobias Lill) und taz (Dominik Baur) berichten. 

Recht in der Welt 

USA – Migrationsrecht: Auf verfassungsblog.de schildert die Migrationsrechtlerin Claire Thomas (in englischer Sprache) die aktuellen Entwicklungen im US-amerikanischen Migrationsrecht und äußert sich zur Frage, inwiefern kürzlich in Kraft gesetzte Übergangsregelungen, die der Bewältigung hoher Zahlen von Asylanträgen dienen sollten, gegen nationales und internationales Recht verstoßen.

USA – Strafjustizreform: Über die gestern vom US-Senat beschlossene Justizreform berichten SZ (Hubert Wetzel) und FR (Stefan Koch). Durch das Gesetz sollen die teils drakonischen Haftbedingungen verbessert und die Anzahl der Inhaftierten verringert werden. Die Reform betrifft die circa 180.000 Inhaftierten im Gewahrsam des Bundesstrafvollzugs und damit rund 10 Prozent der US-Gefängnisinsassen. Die Zustimmung des Repräsentantenhauses und von US-Präsident Trump gilt als wahrscheinlich.

USA – Abgasskandal: Eine VW-Tochter hat sich mit den US-amerikanischen Behörden im Abgasskandal auf einen Vergleich geeinigt. Das Unternehmen muss wegen der Abgasmanipulationen rund 35 Millionen Dollar Strafe zahlen und sich für zwei Jahre von einem unabhängigen Prüfer beaufsichtigen lassen, meldet lto.de.

Juristische Ausbildung 

Digitalisierung: Auf lto.de spricht sich der Wissenschaftliche Mitarbeiter Tianyu Yuan dafür aus, die Juristenausbildung besser auf die Bedürfnisse des späteren Arbeitsalltags anzupassen und insbesondere die Digitalisierung während des Studiums stärker zu berücksichtigen.

Sonstiges 

Grundgesetz: In einem Gastbeitrag für die FAZ erörtert der Staatsrechtler Christian Waldhoff, was im Grundgesetz geregelt sein sollte, und spricht sich gegen eine "zunehmende inhaltliche Aufladung von Verfassungstexten" aus. 

Staatsanwältin vor Ort: lto.de (Markus Sehl) interviewt Petra Leister, die zuständige Oberstaatsanwältin für das Berlin-Neuköllner Pilotprojekt "Staatsanwältin vor Ort". Das Projekt soll eine bessere Vernetzung der Ermittlungsarbeit zu organisierter Kriminalität ermöglichen. 

Parteiausschluss Sarrazin: In einem Gastbeitrag für lto.de befasst sich der Rechtsanwalt Sebastian Roßner mit dem SPD-Ausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin und stellt die Voraussetzungen hierfür dar, die sich aus dem Parteiengesetz ergeben. 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/asp

(Hinweis für Journalisten)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. Dezember 2018: Urteil zum Münchner Amoklauf / BGH zu PKV-Beiträgen / US-Strafjustizreform . In: Legal Tribune Online, 20.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32851/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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