Die juristische Presseschau vom 16. Februar 2016: Aktiver Vierter Senat / Min­dest­lohn für Flücht­linge / BVerfG zu OMT

16.02.2016

Dürfen sich ehemalige Verfassungsrichter in die Tagespolitik einmischen? Außerdem in der Presseschau: Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge, das BVerfG verhandelt zum OMT-Programm und die Gehgeschwindigkeit eines Anwalts.

Thema des Tages

Verfassungsrichter a.D.: Neben zwei amtierenden Senaten besitzt das Bundesverfassungsgericht einen informellen Dritten, bestehend aus den wissenschaftlichen Mitarbeitern. Darüber hinaus wird aber auch noch vom Vierten Senat gesprochen, wenn von ehemaligen Richtern die Rede ist. Recht eindeutige jüngste Äußerungen des vormaligen Präsidenten Hans-Jürgen Papier zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung oder das für die bayerische Staatsregierung erstellte Gutachten Udo di Fabios bewegen nach Darstellung der SZ (Wolfgang Janisch) das Karlsruher Gericht nun zu der Überlegung, amtierende Richter durch eine Selbstverpflichtung dazu anzuhalten, sich im Ruhestand einer Mäßigung in der Kundgabe politischer Ansichten zu befleißigen. Öffentliche Aufgaben ausgeschiedener Verfassungsrichter seien zwar nicht ungewöhnlich, wer sich aber "ohne politisches Amt ins politische Geschäft" begebe, "kontaminiert den auf Unabhängigkeit und Distanz beruhenden Nimbus" des Karlsruher Gerichts. Als Beispiel für die stärkere öffentliche Präsenz hoher Richter nennt der Beitrag zudem die Kolumnen des Bundesrichters Thomas Fischer. Dessen "völlig neue Form der Vermittlung juristischer Inhalte" verschaffe Rechtsthemen ein neues Publikum. Dagegen wirke aber Papiers Kritik "im Kern politisch motiviert" und erhalte durch sein früheres Amt auch besonderes Gewicht.

Rechtspolitik

Mindestlohn für Flüchtlinge: Ein genereller Ausschluss der Bestimmungen des Mindestlohngesetzes für Flüchtlinge ist nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages dazu geeignet, "den sozialen Frieden zu gefährden". Der Idee stünden zudem erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken entgegen, so die SZ (Thomas Öchsner). Dass von Mindestlohnregelungen betroffene arme Flüchtlinge mit armen Deutschen vergleichbar wären, stellt Reinhard Müller (FAZ) in Abrede. "Wer als Schutzsuchender kommt, hat Anspruch auf ebendas: auf Schutz und eine menschenwürdige Unterbringung". Aufgenommen würden Flüchtlinge "mit dem Ziel ihrer baldigen und hoffentlich von ihnen gewünschten Rückkehr", dies unterstreiche ihren "anderen Status".

EU-Flüchtlingspolitik: Die auf dem EU-Gipfel am kommenden Donnerstag zur Verhandlung stehenden, gegensätzlichen Positionen zum Umgang mit Flüchtlingen fasst die taz (Eric Bonse) zusammen.

Sichere Herkunftsstaaten: Die taz (Ulrich Schulte/Christian Rath) berichtet zu ihr vorliegenden Belegen, nach denen der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Zustimmung seines Landes bei der Bundesrats-Abstimmung über die von der Bundesregierung geplante Erklärung von Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten anbietet. Im Gegenzug solle eine Aufenthaltserlaubnis für vor dem 31.12.2013 Eingereiste sowie eine Vereinfachung in asylrechtlichen Eilverfahren erreicht werden. Nach dem Kommentar von Stefan Reinecke (taz) sind Verhandlungen zu realpolitisch durchsetzbaren Themen zwar legitim. Gleichwohl müsse ein Kern des Asylrechts "dem Geben und Nehmen pragmatischer Politik entzogen" bleiben. Anderenfalls löse sich das Asylrecht auf.

Bundestags-Zugang: Die SZ (Markus Balser) berichtet zu Überlegungen der Bundestagsverwaltung, die Anzahl der für Lobbyisten ausgestellten Dauer-Hausausweise deutlich zu verringern. Die Offenlegung der mehr als 1.000 derartigen dauerhaften Zugangsberechtigungen war erst durch lange juristische Auseinandersetzungen erreicht worden.

Kosten des Atomausstiegs: Eine von Jürgen Trittin (Grüne) geleitete Experten-Kommission der Bundesregierung hat klargestellt, dass die Kosten des Atomausstiegs von den betroffenen Unternehmen getragen werden sollen. Markus Balser (SZ) begrüßt dieses Ergebnis in einem Kommentar, bezweifelt jedoch dessen Durchsetzbarkeit. Bisherige Rückstellungen der Konzerne seien gebunden, wolle sich der Staat den Zugriff auf diese Gelder sichern, triebe er die Unternehmen in die Insolvenz. Somit drohe wie bereits in der Finanzkrise auch in der Energiebranche die Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten.

Finanztransaktionssteuer: Nach Bericht des Hbl (Ruth Berschens/Jan Hildebrand) hat die von elf EU-Staaten, unter ihnen Deutschland, geplante Finanztransaktionssteuer kaum noch Chancen auf eine Einführung. Die offizielle Verabschiedung von dem Projekt durch die Finanzminister der betreffenden Staaten stehe aber noch aus. Im Kommentar von Jan Hildebrand (Hbl) ist für das absehbare Scheitern auch die durch die Steuer versuchte "Quadratur des Kreises" verantwortlich. Denn sollte die Abgabe einerseits zusätzliche Einnahmen generieren, andererseits als Regulierungsinstrument dazu beitragen, hochspekulative Börsengeschäfte einzudämmen.

Tisa: In einem Gastkommentar für das Hbl stellt Viviane Reding als Mitglied des Ausschusses für Internationalen Handel des Europäischen Parlaments die seit 2013 laufenden Verhandlungen über das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Tisa) vor. Trotz immenser Bedeutung für den Alltag von Bürgern fänden diese Verhandlungen in der Öffentlichkeit kaum Wiederhall. Das Europäische Parlament setze sich jedoch mit Nachdruck für die Durchsetzung der von ihm aufgestellten Leitlinien volle Transparenz, faire Handelsregelungen und gegenseitige Marktöffnungen ein.

TTIP: Das Hbl (Heike Anger) berichtet zur Kritik der Europäischen Richtervereinigung (EAJ) an der geplanten Einrichtung eines Investitionsgerichts im Rahmen des Freihandelsabkommens TTIP. Alle Mitgliedsstaaten der Union besäßen "gut funktionierende Rechtssysteme", ein neues Gerichts außerhalb dieses Systems könne sich demgegenüber auf keine Rechtsgrundlage stützen, gibt der Beitrag die Meinung des Vorsitzenden des EAJ wieder.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. Februar 2016: Aktiver Vierter Senat / Mindestlohn für Flüchtlinge / BVerfG zu OMT . In: Legal Tribune Online, 16.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18442/ (abgerufen am: 04.05.2024 )

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