Die juristische Presseschau vom 8. September 2015: Koa­li­tion zu Flücht­lingen - Neue Richter - Labo­raf­färe vor Gericht

08.09.2015

Die Koalition verständigt sich auf Sofortmaßnahmen zu Flüchtlingen. Außerdem in der Presseschau: Kritik an Anlegerschutz-Entwurf, mehr Richter am EuGH und in deutschen Gerichten, Strafprozess zu Laboraffäre und zu lauter Musik in China. 

Thema des Tages

Flüchtlinge: Die Regierungskoalition hat sich in einer Nachtsitzung am Sonntagabend auf Sofortmaßnahmen zur Bewältigung der gegenwärtigen Flüchtlingssituation verständigt. Beschlossen wurde u.a., dass künftig Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten gelten sollen. Bargeldzahlungen an Asylbewerber sollen so weit möglich durch Sachleistungen ersetzt werden, Länder und Kommunen durch Finanzhilfen beim Ausbau von Unterkünften unterstützt werden. Um Fluchtursachen besser bekämpfen zu können, sollen die Bundesmittel für Krisenbewältigung und -prävention beim Auswärtigen Amt um 400 Millionen Euro erhöht werden. Überblicke zu den Regelungen bringen u.a. Handelsblatt (Till Hoppe) und spiegel.de (Florian Gathmann/Severin Weiland). Die "geräuschlose" Einigung der Regierungsparteien beschreibt die FAZ (Günter Bannas u.a.) in einem ausführlichen Artikel. Über die Reaktion der Opposition und Kritik des Interessenverbandes Pro Asyl berichtet zeit.de.

Bezüglich des vereinbarten Vorrangs von Sachleistungen gegenüber Bargeldzahlungen kommentiert Joachim Jahn (FAZ), dass das Bundesverfassungsgericht einen derartigen gesetzlichen Vorrang bereits 2012 als zulässig erachtet habe. Dass gleichzeitig eine deutliche Heraufsetzung der Leistungen erzwungen worden sei, solle dem jetzigen Parlament den Mut vor einem neuen Anlauf nicht nehmen. Denn "auch Richter denken manchmal um". Reinhard Müller (FAZ) wendet sich dagegen, heutige Flüchtlinge mit Vertriebenen nach dem zweiten Weltkrieg gleichzusetzen. Damals "kamen Deutsche zu Deutschen". Auch deren "zwangsweise Verteilung und Einquartierung" sei eine Zumutung gewesen. "Daraus folgt aber nicht, dass heute die Aufnahme von Millionen Fremder ein Leichtes wäre". Maximilian Popp (spiegel.de) stellt dagegen die mediale Inszenierung einer hilfsbereiten Bundesrepublik und gleichgültigen europäischen Nachbarn in Frage. Die "perfide Regel" des Dublin-Systems sei "mehr oder weniger eine deutsche Erfindung", an ihr werde im Grundsatz auch weiterhin festgehalten.

Rechtspolitik

Beschäftigung für Flüchtlinge: Die FAZ (Dietrich Creutzburg/Joachim Jahn) berichtet genauer zu einer auf Flüchtlinge vom Westbalkan beschränkten Maßnahme. Um die mit Asylverfahren beschäftigten Stellen zu entlasten, solle Bürgern aus den nunmehr sicheren Herkunftsstaaten ein neuer legaler Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt eröffnet werden. Wer von ihnen einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag vorweisen könne, solle die Tätigkeit aufnehmen dürfen. Über ein "bundesweit noch einmaliges" Pilotprojekt zur Beschäftigung von Flüchtlingen in Hamburg schreibt die FAZ (Frank Pergande). Die Qualifikationen von Betroffenen mit "Bleibeperspektive" sollen ab Mitte dieses Monats erfasst und ab spätestens Ende 2016 der Bundesagentur für Arbeit übermittelt werden.

Asylreform: In einem Gastbeitrag setzt sich Rechtsprofessorin Anna Lübbe auf zeit.de genauer mit der Forderung nach Einrichtung sogenannter Asylzentren in den Erstankunftsstaaten auseinander. Der Vorschlag verlagere das Problem massenhaften Andrangs zurück in die Randstaaten der EU, wie es auch schon das Dublin-System beabsichtigt habe. Als taugliche Alternative zu diesem eigne er sich nur, wenn er mit einer "fairen Lastenteilung" zwischen den Ländern und "weniger Zwangszuordnung" gegenüber den Betroffenen, etwa durch EU-weite Freizügigkeit anerkannter Schutzberechtigter, verbunden werde.

Anlegerschutz: Die sogenannte Frosta-Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Oktober 2013 erleichterte es Unternehmen, sich ohne förmlichen Beschluss von der Börse zurückzuziehen. Klein- und Minderheitenanleger trotzdem zu schützen, ist Ziel einer Koalitionsvereinbarung. Den hierzu vorgelegten Entwurf kritisieren Rechtsprofessor Tim Drygala und Rechtsanwalt Robert Peres auf lto.de. Die Autoren monieren vor allem, dass noch immer keine Verpflichtung zu einem Hauptversammlungsbeschluss vorgesehen ist und entwerfen ein alternatives Lösungsmodell.

Über die Experten-Anhörung zum Entwurf im Finanzausschuss des Bundestags berichtet das Handelsblatt-Rechtsboard (Ulrich Noack). In der Einschätzung der FAZ (Joachim Jahn) hat die Anhörung einen Nachbesserungsbedarf beim Schutz von Kleinanlegern ergeben.

Volksentscheid M-V: Nun berichten auch FAZ (Frank Pergande) und lto.de über den gescheiterten Volksentscheid zur Gerichtsstrukturreform in Mecklenburg-Vorpommern.

Vorratsdatenspeicherung: Journalistenverbände, der Deutsche Presserat sowie die öffentlich-rechtlichen Sender haben sich in einer gemeinsamen Erklärung an den Rechtsausschuss des Bundestages gegen den geplanten Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Das Vorhaben beeinträchtige die Presse- und Rundfunkfreiheit und sei auch nicht mit den vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsätzen zum Verhältnis von Berufsgeheimnis und Vorratsdatenspeicherung in Einklang zu bringen, so der Bericht von spiegel.de.

Arbeitszeit: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt plädiert Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer dafür, die im Arbeitszeitgesetz normierte grundsätzliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden pro Tag der europäischen Arbeitszeitrichtlinie anzupassen. Diese sehe eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden vor und komme dabei sowohl "den Flexibilitätswünschen der Wirtschaft zugute" als auch den Wünschen von Arbeitnehmern für eine bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. September 2015: Koalition zu Flüchtlingen - Neue Richter - Laboraffäre vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 08.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16832/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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