Die juristische Presseschau vom 23. bis 25. Januar 2016: Grenz­kon­trolle und Zurück­wei­sung / Waf­fen­händler-Stu­dent / Die Mei­nung ist frei!

25.01.2016

Werden die Grenzkontrollen verlängert und dürfen Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden? Außerdem in der Presseschau: EU-Überregulierung ist ein Gerücht, Anwälte klagen gegen Flüchtlingspolitik und ein studentischer Waffenhändler.

Thema des Tages

Innereuropäische Grenzkontrollen und Zurückweisung: Am heutigen Montag will der EU-Rat der Innenminister über die Fortführung innereuropäischer Grenzkontrollen beraten. Länger als sechs Monate dürfen die Kontrollen nur nach Empfehlung des Rates aufrechterhalten werden, die Frist läuft für Deutschland – je nach Rechnung – im März oder Mai aus, schreiben Montags-taz (Christian Rath) und spiegel.de (Peter Müller). Die Zahl der Zurückweisungen an der Grenze steige, bisher betreffe das Flüchtlinge, die in Deutschland keinen Asylantrag stellen wollen. Rechtsprofessor Daniel Thym zeigt auf verfassungsblog.de, mit vielen Verweisen auf aktuelle Debattenbeiträge insbesondere von Rechtsprofessoren, die Rechtslage und mögliche Rechtfertigungen für eine Zurückweisung an der deutschen Grenze auf. Eine Reform des Dublin-Systems sei erforderlich, um dem faktischen Zwang zur Grenzschließung entgegenzuwirken. Der Spiegel (Dietmar Hipp u.a.) schreibt zu Plänen der Bundesregierung, die slowenische Schengen-Außengrenze als Bollwerk gegen weiteren Flüchtlingszuzug zu nutzen. Letztes Mittel bleibe aber weiterhin die Abweisung an der deutschen Grenze. Zwar sei die rechtliche Zulässigkeit von Zurückweisungen umstritten, die Einhaltung des Rechts stehe aber laut Rechtsprofessor Daniel Thym derzeit sowieso nicht an erster Stelle. Ein Papier aus Innen- und Justizministerium verweise auf den Schutz der Sicherheit und Ordnung als Rechtfertigungsgrund in der "fundamental neue Situation" durch hohe Flüchtlingszahlen, die direkt zur deutschen Grenze durchgewinkt würden. Nach einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das der Montags-SZ (Jan Bielicki) vorliegt, könne Deutschland zwar einige Flüchtlinge an seiner Grenze abweisen, andere jedoch nicht. Insofern "stünde eine weitgehende Schließung der deutschen Grenzen für Asylsuchende rechtlich auf ungefestigtem Grund".

Rechtspolitik

Konföderation EU: Die Übertragung nationalstaatlicher Kompetenzen auf die EU, in den Bereichen Währungsordnung und Zuwanderung, habe zu Staatsversagen mit konstantem Rechtsbruch geführt, schreibt Wirtschaftsprofessor Thomas Mayer in der FAS. Dem Verlust der Rechtsstaatlichkeit müsse mit Rückbau von Schengen und nationalen Währungen neben dem Euro als "Aktivgeld" begegnet werden. Statt einer undefinierten Form zwischen Staatenbund und Bundesstaat wäre die EU als Konföderation besser zu halten.

Staatsversagen: Im Interview mit der Samstags-SZ (Andreas Zielcke) spricht Rechtsprofessor Christoph Möllers über den Vorwurf eines Staatsversagens, der zunächst eine bestimmte Form funktionierenden Staates voraussetze und insofern "erst mal nur eine polemische Phrase [sei], die ihre politische Wertung verdeckt."

Kein Verfassungsbruch: Heribert Prantl (Montags-SZ) kritisiert den Vorwurf des Verfassungsbruchs durch die Flüchtlingspolitik gerade von Seiten ehemaliger Verfassungsrichter. Selbst wenn niemand verpflichtet sei, unmögliches zu leisten, sei es nicht rechtswidrig sich anzustrengen. Gerade weil vereinzelt deeskalierende Stimmen kaum gehört würden, bedauert er, dass es die Möglichkeit, ein Gutachten vom Plenum des Verfassungsgerichts erstatten zu lassen, nicht mehr gibt: "Es könnte davon heilsame Wirkung ausgehen."

EU-Überregulierung: Das Freiburger Centrum für Europäische Politik hat in einer Studie den Rückgang von europäischen Gesetzgebungsvorschlägen um 72 Prozent seit Amtsantritt der Kommission Junker festgestellt. Die nachgelagerte Regulierung durch Präzisionen bestehender Regelungen sei jedoch seit 2010 "dramatisch" gestiegen. Ein Vergleich europäischer und deutscher Neuregelungen seit 2000 zeige, dass der Vorwurf einer Überregulierung aus Brüssel sich nicht "ohne Weiteres" belegen lasse, meldet der Focus.

Sexualstrafrecht: Jost Müller-Neuhof (Tsp) kritisiert, dass "die Beleidigung im Strafgesetzbuch steht, die Belästigung jedoch nicht." Eine Erweiterung des Gesetzentwurfs zum Sexualstrafrecht darauf, hätte auch schnell gezeigt, "dass die ethnische Herkunft von Antatschern eine untergeordnete Rolle spielt." Wenn auch derzeit unter der Erheblichkeitsschwelle des Strafrechts, sei Angrabschen gerade "kein Kavaliersdelikt".

TTIP-Einsichtnahme: Seit vergangenem Sommer darf die Bundesregierung in einem Leseraum in der US-Botschaft in einige Papiere der TTIP-Verhandlungen Einsicht nehmen – nach Abgabe von Handys und ohne Kopiervorrichtungen. Die verhandelnden Wirtschaftseliten hingegen haben Passwörter, um online auf die Dokumente zugreifen zu können. 137 Personen aus Ministerien sind registriert, 37 haben wohl Einsicht genommen, was sie gesehen haben weiß man nicht. Der Kern des Abkommens, die sogenannten "konsolidierten Textentwürfe", ist weiterhin geheim. Das berichtet die Montags-SZ (Constanze Kurz).

Urhebervertragsrecht: Bundesjustizminister Heiko Maas verteidigt im Interview mit der Samstags-FAZ (Jan Wiele) seinen Entwurf für ein neues Urhebervertragsrecht. Gerade durch die Möglichkeit abweichende Regelungen zu treffen, könne auf die individuell ganz unterschiedlichen Situationen der Kreativen und der Verleger eingegangen werden. Änderungen am Entwurf seien aber noch möglich.

Frauenquote und fehlende Aufsichtsräte: Unternehmen ab einer Betriebsgröße von 501 Mitarbeitern sind gesetzlich verpflichtet einen Aufsichtsrat einzusetzen. Dessen weiblichere Besetzung sollen die seit vergangenem April bestehenden Regelungen zur Frauenquote fördern. Nun hat eine Studie unter Unternehmen mit 750 bis 1250 Mitarbeitern jedoch ergeben, dass über 50 Prozent gar keinen Aufsichtsrat eingerichtet haben, berichtet die FAS (Corinna Budras).

Geschäftsmäßige Suizidhilfe: Rechtsprofessor Reinhard Merkel kritisiert im Interview mit der Samstags-taz (Johann Laux) den neuen § 217 Strafgesetzbuch. Er sei in sich widersprüchlich, der Vermeidung von Verzweiflungstaten nicht dienlich und  beinhalte ein religiös-moralisches Verdikt, das im Strafrecht nichts verloren habe. Die Norm sei verfassungswidrig, weil sie mit ihren "erfundenen abstrakten Gefahren gegen den Schuldgrundsatz" verstoße.

Besteuerung von multinationalen Unternehmen: Am Mittwoch will die EU-Kommission ein Regelungspaket gegen "aggressive Steuerplanung" und Steuervermeidung durch multinationale Unternehmen vorlegen, berichtet die Samstags-FAZ (Hendrik Kafsack). Damit sollen etwa Zinszahlungen an Tochterunternehmen in Niedrigsteuer-Ländern beschränkt werden, eine "Exit-Steuer" soll der Verlegung von Betriebsteilen oder dem Steuersitz in Drittstaaten entgegenwirken, Unternehmen ab 750 Millionen Jahresumsatz sollen verpflichtet werden nationalen Behörden ihre ausländischen Gewinne und deren Besteuerung anzugeben und bei Niedrigbesteuerung im Ausland soll nachversteuert werden.

NRW-Sperrklausel für Kommunalwahlen: Nordrhein-Westfalen will eine Sperrklausel für Kommunalwahlen in seine Verfassung schreiben, jedoch lasse sie sich kaum hinreichend begründen, schreiben Rechtsanwalt Robert Hotstegs und Referendar Jan Stock auf lto.de. Zwar könne das Landesverfassungsgericht ihr als Verfassungsnorm nichts anhaben, das Bundesverfassungsgericht werde sie jedoch als Verletzung der Gleichheit der Wahl über Artikel 28 des Grundgesetzes kippen.

Lobbyismus: Im Hinblick auf die geplante Neuregelung der Zugangsrechte für Lobbyisten zum Bundestag meint Jost Müller-Neuhof (Tsp), dass auf Dauerausweise verzichtet werden sollte, da Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes seien und sich durch Zulassung im Einzelfall eine "Hinwendung zu den Bürgern" ergäbe.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. bis 25. Januar 2016: Grenzkontrolle und Zurückweisung / Waffenhändler-Student / Die Meinung ist frei! . In: Legal Tribune Online, 25.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18234/ (abgerufen am: 29.04.2024 )

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