BGH zu Rechtsverfolgungskosten bei APR-Verletzung: Wei­ter­ver­b­rei­tete Ver­dachts­be­rich­t­er­stat­tung kann teuer werden

17.06.2019

Weil der MDR in einem Fernsehbeitrag einen Gastwirt mit der italienischen Mafia in Verbindung brachte, muss er ihm wohl Anwaltskosten erstatten. Der Mann hatte Abmahnungen an Personen verschickt, die den Beitrag weiterverbreitet hatten.

Wenn Medien ihre journalistischen Sorgfaltspflichten verletzen, können sie auch zum Ersatz daraus resultierender Rechtverfolgungskosten verpflichtet sein. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem nun veröffentlichten Urteil aus April. In dem Fall ging es um eine Fernsehdokumentation des WDR über Mafia-Umtriebe in Deutschland und die vermeintlichen Verstrickungen eines Erfurter Gastwirtes (Urt. v. 09.04.2019, Az. VI ZR 89/18).

In einem Fernsehbeitrag aus November 2015 mit dem Titel "Provinz der Bosse – Die Mafia in Mitteldeutschland" hatte der Sender sich mit mafiösen Umtrieben in Deutschland beschäftigt. In diesem Zusammenhang wurde ein Erfurter Gastronom als Finanzverwalter eines deutschen Ablegers der kalabrischen Mafiaorganisation "'Ndrangheta" bezeichnet. Dabei wurde er zwar anonymisiert, blieb aber nach gerichtlichen Erkenntnissen für einen bestimmten Personenkreis identifizierbar.

Der Mann ging gerichtlich gegen die Veröffentlichung des Beitrags vor und war damit dem Grunde nach auch erfolgreich: Der Sender habe nicht sauber recherchiert und damit unzulässige Verdachtsberichterstattung betrieben, stellten die Vorinstanzen fest. Allerdings wollte der Gastwirt noch mehr: Weil der Beitrag zwischenzeitlich von Nutzern auf der Video-Plattform Youtube hochgeladen worden war, hatte er auf eigene Kosten einen Anwalt mit Abmahnungen gegen die Hochladenden beauftragt. Diese Kosten wollte er nun vom MDR ersetzt haben.

OLG sah Pressefreiheit in Gefahr

Das Thüringer Oberlandesgericht (OLG) wollte dem nicht folgen und lehnte den Ersatz der Rechtsverfolgungskosten ab. Die entstandenen Anwaltskosten seien dem MDR nicht mehr zurechenbar, anderenfalls entstünde ein unkalkulierbares Kostenrisiko für Journalisten, welches die Presse- und Meinungsfreiheit beeinträchtigen könne.

Der VI. Zivilsenat in Karlsruhe sah das aber nun ganz anders. Die MDR-Journalisten hätten nicht nur mit ihrem Beitrag das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) des Gastwirts verletzt, indem sie ihn ohne gründliche Recherche in die Nähe der Mafia gerückt hätten. Dem Sender sei auch zuzurechnen, wenn Dritte, wie in diesem Fall, die unzulässige Verdachtsberichterstattung weiter verbreiteten. Da Berichte, die im Internet (in diesem Fall in der Mediathek) verfügbar sind, "typischerweise von Dritten verlinkt und kopiert werden, ist die durch die Weiterverbreitung des Ursprungsbeitrags verursachte Rechtsverletzung sowohl äquivalent als auch adäquat kausal auf die Erstveröffentlichung zurückzuführen", so der BGH. Das Dazwischentreten Dritter unterbreche den Zusammenhang nicht, wenn die Gefahren der ursprünglichen Persönlichkeitsverletzung fortwirkten.

Auch der Umstand, dass der Sender ebenso wenig Interesse an einer Verbreitung seiner Produktionen durch Dritte haben dürfte, vermochte die Richter nicht umzustimmen. Ob die Verbreitung dem Willen des Urhebers entspreche, spiele hier keine Rolle, befanden sie. Entscheidend war in den Augen des Senats, dass die Journalisten mit dem rechtswidrigen Beitrag die Gefahr geschaffen hatten, dass persönlichkeitsverletzendes Material verbreitet werden konnte. Wer einen Beitrag online stelle, so ihre Argumentation, der müsse im Zeitalter der sozialen Netzwerke auch damit rechnen, dass sich dieser verbreite.

IV. Senat: Kein Widerspruch zur Rechtsprechung des I. Senats

Zwar erkannte der BGH auch an, dass durch finanzielle Risiken künftig womöglich Journalisten vor kritischer Berichterstattung zurückschrecken könnten ("chilling effects"). Daher sei jede finanzielle Sanktion auch auf einen etwaigen "verfassungsrechtlich relevanten Einschnürungseffekt auf zulässige Meinungsäußerungen" zu prüfen. Das sei aber hier nicht der Fall, da zum einen keine existenzbedrohenden Kosten auf den MDR zukämen und überdies Journalisten wiederum selbst dagegen vorgehen könnten, dass ihre Beiträge illegal hochgeladen werden und so das finanzielle Risiko abwälzen könnten. In dieser Fallkonstellation müsse außerdem dem umfassenden Schutz des Persönlichkeitsrechts Vorrang eingeräumt werden, da dieser leerliefe, wenn bei einer Folgeveröffentlichung nicht mehr auf den Urheber zurückgegriffen werden könnte, befanden die Karlsruher Richter.

Auch setzte sich der Senat mit der Rechtsprechung der Kollegen des I. Senats auseinander, nach der der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs für das selbständige Handeln Dritter nicht verantwortlich ist (Urt. v. 13.11.2013, Az. I ZR 77/12). Zu dieser Wertung entstehe kein Widerspruch, so der VI. Senat, da es hier nicht um den Umfang vertraglicher oder gesetzlicher Unterlassungspflichten gehe, "sondern um die sich im Rahmen eines deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs stellende und nach allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilende Frage, ob dem Schuldner die von ihm adäquat kausal herbeigeführte Rechtsgutsverletzung haftungsrechtlich zuzurechnen ist".

Im Übrigen wurde auch den ebenfalls beklagten Journalisten, die den Beitrag verfasst hatten, die Verantwortung für die Weiterverbreitung zugesprochen, "da sich ihnen als Journalisten die internettypische Gefahr der Weiterverbreitung ihres unter Verstoß gegen die journalistischen Sorgfaltspflichten erstellten Filmberichts aufdrängen musste".

Die Sache wurde nun aber noch einmal an das OLG zurückverwiesen, da dieses noch klären muss, ob die Abmahnungen gegen die Nutzer, die den Beitrag hochgeladen hatten, auch notwendig waren. Nur dann ist der MDR auch zum Ersatz der Anwaltskosten verpflichtet.

mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BGH zu Rechtsverfolgungskosten bei APR-Verletzung: Weiterverbreitete Verdachtsberichterstattung kann teuer werden . In: Legal Tribune Online, 17.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35959/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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