Straßenblockaden, Störaktionen auf Flughäfen und an einer Pipeline sollen "eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit" auslösen. So begründet nun auch das LG München einen Anfangsverdacht. Das letzte Wort war das wohl nicht.
Ein halbes Jahr nach umfangreichen Durchsuchungen bei der Letzten Generation bundesweit hat das Landgericht (LG) München I zahlreiche Beschwerden gegen die Razzia verworfen. LTO liegt der Beschluss vor.* Das Gericht hat vor allem im Kern entschieden, und das in allen Beschlüssen gleichlautend: Das Amtsgericht – zuständig für die Durchsuchungsbeschlüsse – durfte zu Recht davon ausgehen, dass bei der "Letzten Generation" ein Anfangsverdacht für eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Strafgesetzbuch (StGB) besteht. Getroffen hat es eine Zwischenentscheidung im laufenden Ermittlungsverfahren, es handelt sich nicht um ein Urteil oder eine amtliche "Einstufung". Die Beschlüsse ergingen bereits am 16. November.
Besonders umstritten ist, ob der Zweck der Gruppe auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet ist und ob von ihr eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit" ausgeht. Beides muss vorliegen, damit von einer kriminellen Vereinigung ausgegangen werden kann.
So begründet das LG München eine "kriminelle Vereinigung"
Das LG entschied nun: Der Zweck und die Tätigkeit der Letzten Generation sei auf die Begehung von Straftaten gerichtet. Die zuständige Staatsschutzkammer hob hervor, dass die Begehung von Straftaten dabei nicht der Hauptzweck sein müsse. Vielmehr reiche aus, wenn die Begehung von Straftaten einer von mehreren Zwecken sei. Das sei der Fall: Das Erscheinungsbild der Letzten Generation werde durch Nötigungen von Verkehrsteilnehmern bei Straßenblockaden insbesondere durch Festkleben oder gemeinschädliche Sachbeschädigungen "wesentlich mitgeprägt". Damit schloss das Gericht auch ausdrücklich eine Ausnahmeklausel des § 129 Abs. 3 StGB aus. Danach kommt eine Anwendung der Strafvorschrift nicht in Betracht, wenn bei der Gruppierung die Begehung von Straftaten nur ein Zweck von untergeordneter Bedeutung ist.
Die Taten begründen nach Auffassung der Kammer auch eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Entscheidend sei dabei nicht, dass durch die Taten ein Klima der Angst geschaffen werde. Vielmehr komme es darauf an, dass der gesellschaftliche Diskurs "durch illegitime Mittel verletzt wird". Die Gruppe strebe an, sich "gegebenenfalls moralisch überhöhend" über die rechtstaatliche Ordnung und ihre demokratischen Abläufe zu setzen. Straftaten seien kein Mittel der Diskussion in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, sondern Ausdruck krimineller Energie und als solche juristisch nüchtern zu bewerten.
Geht von der Letzten Generation daran gemessen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus? Dazu verhält sich das Gericht eher knapp. Es erwähnt zwar die Vielzahl von Straßenblockaden, betont kurz auch noch das in Art. 8 Grundgesetz verankerte Versammlungsgrundrecht und schwenkt dann in einem Satz über zu Protestaktionen, die besonders gesicherte Infrastruktureinrichtungen erheblich beeinträchtigt haben sollen.
Strafrechtsprofessor: "oberflächliche Begründung"
"Das Gericht hat im Lichte der Verhältnismäßigkeit nicht richtig gewichtet, dass die zur Begründung herangezogene Blockade einer Ölpipeline dem Betreiber vorher angekündigt und auch Journalisten dazu eingeladen worden waren", kritisiert der Strafrechtsprofessor Matthias Jahn von der Uni Frankfurt am Main gegenüber LTO. "Dann erschließt sich aber nicht, wie aus dieser Aktion eine erhebliche Sicherheitsgefährdung der Allgemeinheit abgeleitet werden soll."
Den Beschluss aus München findet Jahn bedauerlich, wenn auch nicht überraschend. "Die Begründung zur zentralen Frage, ob es sich tatsächlich um eine erhebliche Gefahr für unser Gemeinwesen handelt, wenn junge Menschen vielfach bagatellhafte Straftaten begehen, bleibt an der Oberfläche", so Jahn. "Dies wird der verfassungsrechtlichen Frage nicht gerecht."
Was bedeutet die Entscheidung für die Aktivisten der Letzten Generation?
Die Entscheidungen sind erst einmal nur Zwischenentscheidungen in einem laufenden Ermittlungsverfahren. Das wird durch die Generalstaatsanwaltschaft München geführt, mit den Durchsuchungen und Beschlagnahmen wollen die Ermittler Material beschaffen. Wenn ihnen das reicht, erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage. "Der Zeithorizont im Verfahren ist aber derzeit noch ganz schwer absehbar", sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft am Donnerstag. Entschieden hat das LG München nur aufgrund der Aktenlage, eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden. Und es geht um die Einschätzung der Gruppe zum Zeitpunkt der Maßnahmen im Mai 2023.
Ermittelt wird wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung bislang nicht bundesweit gegen unzählige Letzte-Generation-Aktivisten, sondern gegen eine begrenzte Gruppe, die die Staatsanwaltschaft München als Funktionsträger der Gruppierung sieht, die sich um Finanzierung oder Pressearbeit kümmern. Ob bei den nächsten Klebeaktionen in Bayern neben den mittlerweile üblichen Vorwürfen Nötigung und etwa Widerstand gegen Polizeibeamte nun der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung erhoben wird, muss sich zeigen. Dass für einen solchen zusätzlichen Vorwurf die Münchener Zwischenentscheidung zum Anfangsverdacht ausreicht, scheint aber eher unwahrscheinlich.
Sollten einzelne Personen aus dem Razzienkomplex wegen Bildung oder Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt werden, dann wird eben diese Kammer des LG München entscheiden. Ihre Beschlüsse vom 16. November zu den Durchsuchungen und Beschlagnahmen wären dann schon einmal ein Fingerzeig.
So oder so, ist nun eine weitere gerichtliche Einschätzung zur Letzten Generation in der Welt. Und die zweite von einer spezialisierten Staatsschutzkammer am Landgericht und nicht "nur" von einem Einzelrichter am Amtsgericht. Auch das Landgericht Potsdam hatte einen Anfangsverdacht dafür gesehen, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt. Die Entscheidung ist in Fachkreisen hochumstritten.
Entscheidung aus München das letzte Wort?
Gegen die Durchsuchungen und Beschlagnahmen kann die Letzte Generation isoliert nicht weiter vorgehen, die Entscheidung des LG München I war insofern die letzte Instanz. Die Entscheidung des AG München ist damit rechtskräftig. Will die Letzte Generation klären lassen, ob die Durchsuchungen die Gruppierung in Grundrechten verletzt, kann sie eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen.
Außerdem ist aus dem Razzienkomplex noch eine Entscheidung zur Letzten Generation beim LG München offen. Dabei geht es um einen sogenannten Vermögensarrest, mit dem die Staatsanwaltschaft Geld einfrieren lässt. Geht es dabei um die Größenordnung 20.000 Euro aufwärts wäre gegen dieses Instrument mit einer Beschwerde nicht schon beim LG Schluss, sondern nach § 310 Strafprozessordnung kann eine weitere Beschwerde den Fall auch zum Oberlandesgericht (OLG) bringen. Auf diesem Weg könnte also auch der Staatsschutzsenat beim OLG entscheiden, ob er die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung einstuft.
*Anm. d. Red.: Angesichts der Strafnorm des § 353d Strafgesetzbuch sieht sich LTO daran gehindert, wesentliche Teile des Beschlusses im Wortlaut wiederzugeben. Daher unterblieben teilweise Zitierungen. In diesem Fall werden die Aussagen von LTO vollständig sinnerhaltend wiedergegeben.
Das steht im Letzte-Generation-Beschluss: . In: Legal Tribune Online, 23.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53250 (abgerufen am: 03.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag