Joe Bidens Gesetzgebungsinitiative: Rolle rück­wärts nach vier Jahren Trump

Gastbeitrag von Prof. Dr. Niels Petersen

20.01.2021

Mittels präsidentieller Verordnungen will der neue US-Präsident Joe Biden viele Maßnahmen seines Vorgängers Trump rückgängig machen. Wie weit die präsidentiellen Kompetenzen reichen und wo es holprig wird, erläutert Niels Petersen.

Am heutigen Mittwoch wird Joseph Robinette Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten in sein Amt eingeführt. Auch wenn sich die meisten Augen derzeit auf den Impeachment-Prozess gegen den bisherigen Amtsinhaber Donald Trump richten, plant Biden in den ersten Tagen nach seiner Amtseinführung eine wahre Gesetzgebungsoffensive. Er möchte damit einen klaren Schnitt gegenüber der Trump-Ära signalisieren und einen Großteil der Agenda seines Vorgängers rückabwickeln.

Mit "Gesetzgebung" im eigentlichen Sinne hat das nur nicht viel zu tun: Die Initiative wird nämlich in erster Linie nicht durch den US-amerikanischen Kongress, also den institutionellen Gesetzgeber, sondern durch präsidentielle Verordnungen erfolgen.

Die Krux: Wirklich einig ist man sich in Amerika nur sehr selten

Der Vorteil dieser Exekutivgesetzgebung liegt auf der Hand: Zwar haben die Demokraten nach den Stichwahlen im Bundesstaat Georgia sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat eine knappe Mehrheit. Allerdings bedeutet das nicht, dass sie im Kongress durchregieren können. Ein Großteil der Gesetzgebung im Senat benötigt aufgrund der Institution des sog. Filibuster faktisch eine 60-Prozent-Mehrheit. Das bedeutet, dass die Demokraten in den meisten Fällen auch zehn republikanische Senatoren von den Vorzügen ihrer Gesetzgebungsvorhaben überzeugen müssten. Angesichts der seit Jahren zu beobachtenden, zunehmenden Polarisierung des politischen Prozesses in den USA wird das – wenn überhaupt – wohl nur ausnahmsweise gelingen. 

Doch selbst in den Fällen, in denen eine Ausnahme greift und eine Mehrheit mit 50 Stimmen und dem tie-breaker von Vizepräsidentin Kamala Harris ausreichend ist, muss Einigkeit unter allen demokratischen Senatsmitgliedern bestehen - und das ist keine Selbstverständlichkeit. Ein Senator wie Joe Manchin im konservativen West Virginia hat andere Interessen und Zwänge als vieler seiner Parteikollegen aus liberalen Bundesstaaten. Auf jeden Fall nehmen die Verhandlungen im Kongress viel Zeit in Anspruch und erfordern – teils schmerzhafte – Kompromisse. Eine Gesetzgebungsoffensive kann so schnell im Sande verlaufen.

Insofern ist Gesetzgebung mittels präsidentieller Verordnung attraktiv. Joe Biden wäre nicht der erste Präsident, der von diesem Instrument Gebrauch macht. In den vergangenen Jahrzehnten haben präsidentielle Verordnungen aufgrund der zunehmenden politischen Blockade des Kongresses enorm an Bedeutung gewonnen. Zuletzt erließ Donald Trump einen wahren Reigen an Verordnungen – mehr als 200 in einer Amtszeit, fast so viele wie sein Vorgänger Barack Obama in der doppelten Zeit (276).

Der Oberste Gerichtshof hat den US-Präsidenten bisher kaum eingehegt

Grundlage der präsidentiellen Verordnungskompetenz ist Art. II der US-Verfassung. Danach liegt die Exekutivgewalt beim Präsidenten. Zudem obliegt ihm die ordnungsgemäße Ausführung der Gesetze. Insbesondere kann der Präsident Verwaltungsagenturen anweisen, wie sie Gesetze auszuführen haben. Diese Anweisungen können dabei recht weitreichend sein. So hatte Obama seinerzeit beispielsweise Regelungen zum Spritverbrauch von Kraftwagen, zur Regulierung von Drohnen, der Energieeffizienz von Haushaltsgeräten und der Verwaltung föderaler Kohleprogramme erlassen. Regelmäßig weist ein Präsident auch die Migrationsbehörden an, wie sie gesetzliche Einreisebestimmungen umzusetzen und wie sie mit illegal Eingereisten verfahren sollen. Und schließlich hat ein US-Präsident im Bereich der Außenpolitik ganz traditionell weitreichende Kompetenzen.

Der US Supreme Court hat sich bei der Kontrolle der präsidentiellen Verordnungsgebung bisher eher zurückgehalten. So räumt er der Exekutive unter der sog. Auer-Doktrin (nach dem Fall Auer v. Robbins aus dem Jahre 1997) einen großen Ermessensspielraum bei der Durchführung von Gesetzen ein. Zudem gesteht er der Exekutive unter der sog. Chevron-Doktrin (nach Chevron v. Natural Resources Defense Council aus dem Jahr 1984) einen großen Einschätzungsspielraum bei der Interpretation von interpretationsoffenen Gesetzesnormen zu. 

Zwar gab es im US Supreme Court in den vergangenen Jahren vermehrt Anzeichen dafür, zu einer stärkeren Kontrolle der Exekutive zu tendieren. Allerdings müssen wir abwarten, inwieweit sich diese Tendenzen durchsetzen können. Möglicherweise ist ein demokratischer Präsident der Anlass, den das mittlerweile ganz überwiegend konservativ besetzte Gericht braucht, um die Reichweite präsidentieller Verordnungsmacht deutlich einzuschränken.

Die Trump-Politik wird Biden recht verlässlich umkehren können

Auf rechtlich relativ sicherem Boden steht Joe Biden jedenfalls, soweit es ihm darum geht, die Politik der Trump-Regierung zurückzudrehen. Mit Ausnahme der Steuerreform und der pandemiebedingten Konjunkturprogramme waren in den vergangenen vier Jahren keine größeren Gesetzgebungsvorhaben erfolgreich. Vielmehr hat Präsident Trump weitgehend mittels präsidentieller Verordnungen regiert. Diese kann Biden jetzt relativ leicht seinerseits durch Verordnungen zurücknehmen oder abändern.

So wird erwartet, dass Biden etwa den sog. Muslim Travel Ban zurücknimmt und viele der Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen, die Trump außer Kraft gesetzt hatte, wieder in Kraft setzt. Zudem wird er wohl dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beitreten und den Austritt aus der WHO rückgängig machen. Schließlich hat der neue Präsident angekündigt, bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie aktiv zu werden. Allerdings kann er hier nicht frei schalten und walten, weil viele der möglichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in der Kompetenz der einzelnen Bundesstaaten stehen. So kann Biden nach Ansicht seiner Berater etwa keine allgemeine Maskenpflicht erlassen. Aber er kann zumindest eine Maskenpflicht auf allen Grundstücken anordnen, die im Eigentum des Föderalstaates stehen.

Um seine ambitionierte Agenda durchzusetzen, wird Biden sich letztlich aber nicht auf Verordnungen beschränken können. Vielmehr setzt die Umsetzung vieler seiner Ziele eine Gesetzgebung durch den Kongress voraus. So plant Biden etwa, in den ersten Wochen seiner Amtszeit ein neues Konjunkturprogramm zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu verabschieden. Zudem möchte er relativ schnell eine Reform der Einwanderungsgesetzgebung auf den Weg bringen. Schließlich ist er auch für eine der wichtigsten Herausforderungen seiner Präsidentschaft, einer effektiven Bekämpfung des Klimawandels, auf den Kongress angewiesen. Präsidentielle Verordnungen mögen insofern zwar rasche Erfolge bringen. Diese bleiben in ihrer Reichweite aber beschränkt. Für den strukturellen Wandel, der notwendig ist, wird Biden den Verhandlungen mit der Legislative nicht aus dem Weg gehen können.

Prof. Dr. Niels Petersen ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie empirische Rechtsforschung der Universität Münster sowie Co-Direktor des Instituts für internationalen und vergleichendes öffentliches Recht.

Zitiervorschlag

Joe Bidens Gesetzgebungsinitiative: Rolle rückwärts nach vier Jahren Trump . In: Legal Tribune Online, 20.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44043/ (abgerufen am: 26.03.2024 )

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