Brexit-Verfahren in der zweiten Instanz: Nicht ohne das Par­la­ment?

von John Hammond

06.12.2016

2/2: Mitteilung führt zum zeitnahen Austritt

Nach Einleitung des Austrittsverfahrens haben das austretende Land und die übrigen Mitglieder zwei Jahre Zeit, um das Austrittsabkommen auszuhandeln. Ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens, oder – falls bis dahin keine Vereinbarung abgeschlossen wurde – zwei Jahre nach Abgabe der Austrittsmitteilung, finden die EU-Verträge keine Anwendung mehr auf den austretenden Staat. Es sei denn, alle EU-Mitgliedstaaten beschließen einstimmig, diese Frist zu verlängern.

Sobald die Austrittsmitteilung in der Welt ist, muss also der austrittswillige Staat zwangsläufig zeitnah die EU verlassen. Für das Vereinigte Königreich bedeutet der Austritt aus der EU, dass der European Communities Act 1972 vollständig aufgehoben wird. Damit werden britische Staatsbürger ihre aktuell durch das EU-Recht gewährten Rechte verlieren, die bis dahin nicht in britisches nationales Recht überführt wurden.

Dieser Umstand war Kern des vor dem High Court verhandelten Falls, und die drei Richter dort waren einstimmig der Meinung, dass eine Austrittsmitteilung nach Art. 50 EUV zwangsläufig dazu führen wird, dass britische Bürger aktuell gewährte Rechte verlieren, die ihnen nur durch das Parlament entzogen werden können. Die Urteilsbegründung bezog sich dabei ausdrücklich auf die oben dargestellten fundamentalen Prinzipien des britischen Verfassungsrechts.

"Regierung argumentiert technisch und spitzfindig"

Das Urteil des High Court ist hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Grundlagen sehr deutlich und klar. Welche Chancen also kann die Regierung haben, bei den elf Richtern des Supreme Court eine Aufhebung zu erwirken?

In der Berufungsbegründung argumentiert die Regierung weiterhin damit, dass die auf EU-Ebene geschaffenen Rechte und Pflichten nur auf Basis der EU-Verträge existieren und deswegen davon abhängen, ob und wie diese Verträge bestehen. Eben diese Verträge könnten aber von der britischen Regierung selbst geändert oder beendet werden.

Diese Begründung ist eher technisch und spitzfindig und übersieht nach Meinung einiger Kommentatoren den Einfluss des EU-Rechts auf das verfassungsrechtliche Gefüge des Vereinigten Königreichs und der prärogativen Befugnisse.

Daneben wird von der Regierung argumentiert, dass das dem Referendum zugrunde liegende Gesetz als verfassungsmäßige Grundlage für die Umsetzung des Referendums durch die Regierung anzusehen sein sollte. Allerdings gehen Verfassungsrechtler ganz überwiegend davon aus, dass das Referendum lediglich als beratendes Referendum ausgestaltet und legitimiert war, so dass die Regierung rechtlich nicht zur Umsetzung verpflichtet (und berechtigt) ist – auch wenn sie sich politisch und moralisch zu seiner Umsetzung verpflichtet fühlen mag.

Parlament wird Austrittsverhandlungen nicht blockieren

Die Argumente werden vom Supreme Court in den nächsten Tagen diskutiert; eine Entscheidung ist allerdings wahrscheinlich erst Ende des Jahres oder Anfang Januar zu erwarten. Falls die Regierung keinen Erfolg mit ihrem Vorgehen gegen das Urteil des High Court hat, wird Theresa May die Zustimmung des Parlaments einholen müssen, bevor sie den Austrittsprozess starten kann.

Das würde einen herben politischen Schlag für sie bedeuten und dazu führen, dass sie ihre Politik zwangsläufig ändern muss. Aktuell äußert sie sich nicht zu ihrer Exit-Strategie und den verfolgten Zielen. Eine Parlamentsbeteiligung würde allerdings zu einer Diskussion im Parlament und Zustimmung desselben führen. Im aktuellen politischen Umfeld erwartet allerdings niemand, dass das Parlament tatsächlich die Austrittsmitteilung blockiert – das könnte zu einer verfassungsrechtlichen Krise und höchstwahrscheinlich auch zu Neuwahlen führen.

Aber allein die Notwendigkeit einer Parlamentszustimmung wird politische Spannungen hervorrufen, die wahrscheinlich auch dazu führen werden, dass die Austrittsmitteilung nicht wie geplant Ende März 2017 erfolgen wird und sich damit auch die Austrittsverhandlungen zeitlich nach hinten verschieben werden.

Der Autor John Hammond ist britischer Rechtsanwalt (Solicitor) und Partner bei CMS in Deutschland. Er ist auf internationale M&A-Transaktionen einschließlich Private Equity und Joint Ventures spezialisiert.

Zitiervorschlag

John Hammond, Brexit-Verfahren in der zweiten Instanz: Nicht ohne das Parlament? . In: Legal Tribune Online, 06.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21369/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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