Brexit-Verfahren in der zweiten Instanz: Nicht ohne das Par­la­ment?

von John Hammond

06.12.2016

Darf die britische Premierministerin eine Mitteilung über den Austritt aus der EU ohne Zustimmung des Parlaments abgeben? John Hammond erklärt das Verfahren vor dem Supreme Court und mögliche Auswirkungen auf Brexit-Verhandlungen.

Seit Montag wird beim britischen Supreme Court das sogenannte Brexit-Verfahren verhandelt. Am Obersten Gericht soll darüber entschieden werden, ob die britische Premierministerin Theresa May die Austrittsverhandlungen selbständig durch eine Austrittsmitteilung gemäß Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) in Gang setzen darf, oder ob sie dafür vorher die Zustimmung des britischen Parlaments benötigt.

Kläger im Verfahren war zunächst eine Gruppe von Privatpersonen um die Fondsmanagerin Gina Miller, der sich nach erfolgreichem erstinstanzlichen Verfahrensausgang beim High Court unter anderem die Regierungen aus Schottland, Wales und Nordirland angeschlossen haben. Der Fall ist politisch höchst brisant: Sollte Theresa May im Berufungsverfahren abermals unterliegen, so könnte dies nicht nur ihren Brexit-Zeitplan beeinflussen, sondern auch eine schwere politische Krise hervorrufen.

Zunächst eine Frage für Jurastudenten im ersten Semester

Die im Gerichtsverfahren diskutierte, an sich relativ simple rechtliche Frage lautet, ob die Regierung (die im Vereinigten Königreich auch "the Crown" genannt wird) auf Basis ihrer prärogativen Befugnisse (prerogative power) - die sie ohne die Zustimmung des Parlaments ausüben kann - die Mitteilung zum Austritt aus der Europäischen Union (EU) für das Vereinigte Königreich abgeben kann. Selbst die Regierung räumt ein, dass der Austritt aus der EU weitreichende Auswirkungen auf nationales Recht in sämtlichen Rechtsordnungen des Vereinigten Königreichs haben wird. Kernfrage der Debatte ist daher, ob die britische Regierung nationales Recht ohne parlamentarische Zustimmung ändern kann.

An sich könnte diese Frage von jedem britischen Jurastudenten im ersten Semester beantwortet werden: Auf Basis der sogenannten Parlamentssouveränität im Vereinigten Königreich haben mit der Zustimmung beider Häuser des Parlaments von der Regierung erlassene Gesetze den höchsten Rang.* Das Parlament kann Gesetze in selbst gewählter Art und Weise erlassen und ändern. Vom Parlament verabschiedetes Primärrecht kann nicht von einer Regierungsentscheidung geändert werden, die Regierung ist damit diesbezüglich dem Parlament untergeordnet.

Der High Court zitierte im Brexit-Verfahren den berühmten englischen Richter Sir Edward Coke, der im Jahre 1610 schrieb, dass "der König weder durch Proklamation noch in anderer Weise legitimiert ist, das common law, geschriebenes Recht oder Gewohnheitsrecht zu ändern".

Die Schwierigkeit sind die Staatsverträge

Die Schwierigkeit ergibt sich nunmehr daraus, dass gemäß britischem Verfassungsrecht die Regierung die Befugnis hat, (Staats-)Verträge mit ausländischen Regierungen zu verhandeln und abzuschließen. Die Staatsverträge, durch die das Vereinigte Königreich EU-Mitglied wurde, sind internationale Staatsverträge, und sowohl Abschluss als auch Beendigung dieser Staatsverträge ist eine Angelegenheit der Regierung und nicht des Parlaments.

Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist allerdings mehr als eine Angelegenheit internationaler Staatsverträge. Bevor das Vereinigte Königreich 1973 Mitglied der EU wurde, erließ es den European Communities Act, durch den das EU-Recht in UK umgesetzt wird. EU-Recht umfasst Richtlinien, Verordnungen und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). EU-Richtlinien bedürfen spezieller Umsetzungsgesetze in den Mitgliedstaaten; Verordnungen und EuGH-Rechtsprechung dagegen gelten in den Mitgliedstaaten unmittelbar.

Die sich aus EU-Recht ergebenden und im Vereinigten Königreich geltenden Rechte waren Kernpunkt der Entscheidung des High Court, die Auswirkung einer Austrittsmitteilung nach Art. 50 EUV auf diese Rechte war entscheidend für die Beurteilung.

*hier stand zunächst: Auf Basis der sogenannten Parlamentssouveränität im Vereinigten Königreich haben von der Regierung erlassene Gesetze den höchsten Rang, da sie mit der Zustimmung beider Häuser des Parlaments verabschiedet wurden. (geändert am 19.12.2016, 11.45 h)

Zitiervorschlag

John Hammond, Brexit-Verfahren in der zweiten Instanz: Nicht ohne das Parlament? . In: Legal Tribune Online, 06.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21369/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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