Historische Urteile: Das Reichs­ge­richt trickst einmal mehr

von Martin Rath

28.08.2016

2/2: Justizfreier Hoheitsakt – ein ewiger Stammtischtraum

Der Gläubiger kommunistischer Schuldner war also auf polizeiliche Gnade angewiesen. Es sei denn, er fand – womöglich – eine gesetzliche Hintertür. Eine Möglichkeit mochte darin bestehen, zumindest gegen die polizeilich eingezogenen Forderungen etwas aufrechnen zu können.

In das Vermögen des "Hamburgischen Staats" übergegangen waren hier Forderungen des Stauereibetriebs "Einheit" GmbH in Höhe von mehr als 37.000 Reichsmark gegen die Derutra, die Deutsch-Russische Lager- und Transport-Gesellschaft mbH. Gegen die zunächst eingeklagte Teilsumme von 6.100 Reichsmark erklärte die Derutra, Schadensersatzansprüche wegen schlechter Stauereileistungen aufrechnen zu wollen.

In ihren Maßnahmegesetzen waren die neuen Herren Deutschlands noch schlampiger als in ihrer übrigen Gesetzgebung: Das Gesetz sagte nichts darüber, ob das eingezogene kommunistische Vermögen durch Aufrechnung geschmälert werden durfte.

Für die Gerichte ergab sich damit ein Problem: Wer die Aufrechnung für statthaft erklärte, schmälerte womöglich die Allmacht der Exekutive – hier also das justizfreie Ermessen der hamburgischen Polizeibehörde. Und bekanntlich ist mit jenen, die Allmacht besitzen, noch weniger zu spaßen als mit denen, die nur unter Allmachtsfantasien leiden.

Die lieben deutsch-sowjetrussische Beziehungen

Im vorliegenden Fall kam erschwerend hinzu, dass die Firma Derutra zu Berlin, die hier gegen die Forderung aus Hamburg aufrechnen wollte,  nichts anderes als die Außenhandelsstelle der Sowjetunion im Deutschen Reich war.

Deren Anspruch war gleichwohl nicht einfach mit dem Argument beizukommen, sie sei – wie das enteignete Hamburger Unternehmen – Fleisch vom Fleische des Weltkommunismus. Denn Geschäfte machte man in Deutschland seit dem Vertrag von Rapallo 1922 gerne mit der UdSSR.

Unter Bruch des Versailler Vertrags gewährten sich das Deutsche Reich und die Sowjetunion beispielsweise die Meistbegünstigung. Und natürlich vereinbarten das Deutsche Reich und das kommunistische Russland Schiedsgerichte. Damals erschien derlei ja noch nicht so dämonisch wie heute im europäisch-amerikanischen Verhältnis.

Heikle politische Frage juristisch umschifft

Das Handelsabkommen von 1925 verschaffte der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin sogar gleichsam extraterritoriale Sonderrechte. Nationalkonservative Kreise und kommunistische Unruhestifter profitierten von den deutsch-russischen Beziehungen. Das deutsche Militär testete an Gerät auf russischem Boden, was ihm in Deutschland völkerrechtlich verboten war. In diesem Zwielicht war kaum barsch, mit "gesundem Volksempfinden" oder ähnlichen Phrasen über die Aufrechnungsmöglichkeiten der sowjetischen Firma aus Berlin zu richten.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht Hamburg folgten dem Aufrechnungsbegehren nicht, das Reichsgericht aber wies mit seinem Revisionsurteil die Richtung: Wenn sich die wechselseitigen Ansprüche zwischen der Berliner Derutra und der Hamburger "Einheit" gleichsam im Werklohnkonto beider Firmen auflöste, so lagen die strittigen Stauereiarbeiten vor  der Einziehung des KPD-Stauereiunternehmens zugunsten des "Hamburgischen Staats". Anders als die Aufrechnung nach der polizeilichen Vermögensentziehung tangierte diese Abrechnung nicht die polizeilich-exekutive Allmacht.

Zweiter großer Vermögensentzug

Dreiundzwanzig Jahre später sollte die KPD nochmals Gegenstand einer Vermögensentziehung werden, jedenfalls im freien Teil Deutschlands. Das KPD-Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956 gab den Innenministern und -senatoren der Bundesrepublik Deutschland auf, das Vermögen der Kommunistischen Partei einzuziehen.

Erstaunlicherweise hat zum 60. Jahrestag dieses Urteils ein Abgeordneter der KPD-Nachfolgepartei "Die Linke" dazu aufgerufen, die vom westdeutschen Rechtsstaat betroffenen KPD-Leute zu rehabilitieren – gleichsam im Schwung, den die Beseitigung strafrechtlicher Rechtskraft in Angelegenheiten kujonierter homosexueller Männer jener Epoche zur Zeit hat. Das ist albern.

Jenes vermutlich etwas taktisch eingefärbte Judiz, das dem Reichsgericht eine Eselsbrücke in Angelegenheiten deutsch-sowjetischer Beziehungen aufgab, fand später seine höchsten politischen Ausdruck in einem Abkommen, das im Reichsgesetzblatt II vom 5. Januar 1940 veröffentlicht wurde.

Wer, abgesehen von zahllosen weniger "amtlichen" Belegen totalitärer Verbrüderung, im Wissen allein hierum, einer leninistischen Kaderpartei die Treue hielt, kann sich wohl kaum darauf berufen, in seiner Weltanschauung jemals hinreichende Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten gepflegt zu haben.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Historische Urteile: Das Reichsgericht trickst einmal mehr . In: Legal Tribune Online, 28.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20403/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen