Streit um Brennholz: Aus den ehr­wür­di­geren Zeiten stin­kender Öfen

von Martin Rath

09.10.2022

In der diesjährigen Heizsaison wird es wohl so stark wie seit langem nicht mehr nach verbranntem Holz riechen – aus den bekannten Gründen. Ums Holz gestritten wurde schon immer, wenn auch nicht wegen Umwelt- oder Gesundheitsanliegen.

In den vergangenen Jahren ist es in Mode gekommen, einen frischen Blick auf etwas entlegene Perioden der deutschen Vergangenheit zu richten.

Dass etwa im Vergleich der amerikanischen, britischen und deutschen Demokratie die Modernitätspotenziale hierzulande im 19. und frühen 20. Jahrhundert durchaus erheblich waren, tritt inzwischen etwa aus der lange vernachlässigten Geschichte der Frauen- und anderer sozialer Bewegungen schon des Kaiserreichs zu Tage.

Freunde der Technik- und Wirtschaftsgeschichte wissen ohnehin, dass beispielsweise die Chemieindustrie eben nicht nur den Gaskrieg des Ersten Weltkriegs, sondern auch die Apotheken der Welt belieferte – mit bis heute bekannten Markennamen von "Aspirin" bis "Heroin".

Wie ungeheuer modern war auch das seit 1913 industriell etablierte Haber-Bosch-Verfahren zur Synthese von Ammoniak, das der Landwirtschaft den Stickstoffdünger sicherte – für das 20. Jahrhundert war damit die kulturpessimistische Vorhersage des englischen Landpfarrers Thomas Malthus (1766–1834), die moralisch unzureichenden Menschen müssten stets hungern, weil sie sich stärker sexuell reproduzierten als landwirtschaftlich produzierten, erfolgreich dementiert.

Streit ums Holz – ein doppelter Verfremdungseffekt

Vor diesem vielleicht etwas dick kolorierten Hintergrund historischer Fortschrittserwartungen wirkt ein Urteil des Reichsgerichts vom 22. Februar 1901 (Az. VII 362/02) bereits ein wenig aus der Zeit gefallen – denn es führt zurück in eine Welt, in der es im deutschen Wald im Wesentlichen noch nach sehr altem, manche werden sagen feudalem Recht zuging.

Gestritten wurde um das Recht, Holz aus einem Wald bei der Gemeinde Lubnitz in Schlesien zu entnehmen, der heute polnischen Stadt Lubliniec. Es ging dabei um eine Gesamtmenge von rund 52 schlesischen Klaftern, die gut 170 Kubikmetern Holz entsprechen. Wer heute, etwa als Zeichen sozialer Distinktion, nur gelegentlich auf diesen Brennstoff zurückgreift, kommt während einer Heizperiode vielleicht mit drei oder vier Kubikmetern aus.

Ganz reizvoll ist die Entscheidung des Reichsgerichts, weil es bei der Frage, auf welches Rechtsinstitut sich der Anspruch auf Holzentnahme gegen die Eigentümer des Waldes stützen konnte, auf Regelungen zurückgreifen musste, die den Richtern in Leipzig ähnlich fremd geworden waren wie ihre Urteile und sie selbst uns heute vielleicht geworden sind.

Archaisch wirkendes Wald- und Wiesenrecht

Gerade erst – zum ersten Januar 1900 – war das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft getreten, das vielfach als Aufbruch in fortschrittliche Zeiten gefeiert wurde.

In diesem Fall stand jedoch das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) aus dem Jahr 1794 im Zentrum, das in der heutigen akademischen Lehre meist nur noch als Ursprung der modernen polizeirechtlichen Generalklausel, § 10 II 17 ALR eine Rolle spielt. Ungeachtet einiger, teils überraschend aufgeklärter Vorschriften enthielt dieses Gesetz einen wahren Wust an Regelungen zu den sogenannten Gerechtsamen.

Dabei handelte es sich um teils aus uralten Zeiten überkommene Nutzungsrechte am grundsätzlich fremden Eigentum. Dazu zählten gelegentlich Wege und Brücken, häufiger aber Wiesen- und Waldgrundstücke. Für jede Nutzungsform regelte das Gesetz im Detail, was erlaubt sei, zum Beispiel heißt es zur sogenannten Hütegerechtsame:

"Wer das Recht hat, sein Vieh auf den Grundstücken eines andern Guts zu hüten, muß sich desselben so bedienen, daß der Eigenthümer dadurch an der Substanz der Sache keinen Schaden leide, und an der Landesart gewöhnlichen Cultur und Benutzung nicht gehindert werde" (§ 80 ALR I 22).

Ist der Umgang mit den Abstraktionen des BGB heute mitunter mühsam, erging sich der historische Gesetzgeber in schier endloser Anschaulichkeit. So klärte das Gesetz in nicht weniger als 90 Vorschriften unter anderem darüber auf, welche Tierarten in welcher Reihenfolge – "Schweine, Gänse, und anderes Federvieh, folgen erst hinter den Schaafen" – auf die Weide einer Hütungsgerechtsamkeit gebracht werden durften, dass Ziegen sich

nicht am jungen, zur Begrenzung gepflegten Gehölz verbeißen dürften, zu welchen Stunden des Tages Schafe im Winter aufs Feld zu bringen waren.

Von allgemeinen Nutzungsrechten hin zu privatem Eigentum

Weil in diesen grundbuchrechtlich noch nicht gesicherten Zeiten wegen der möglicherweise seit Generationen gepflegten Nutzung fremder Grundstücke in Vergessenheit geraten konnte, wer von Staats wegen als Herr über Feld, Wald und Flur zu gelten habe, beginnen die Vorschriften über die Holzungsgerechtigkeit – §§ 197–239 ALR I 22 – mit einer Norm, deren Regelungstechnik noch heute vertraut klingt:

"Wer das Holz in einem Walde ohne Einschränkung genutzt hat, ist im zweifelhaften Falle für den Eigenthümer des Waldes; derjenige aber, dem nur eine eingeschränkte Nutzung zusteht, für den bloßen Besitzer einer Grundgerechtigkeit zu halten."

Nicht ganz so wild wie zu den Weiderechten für Schwein, Gans oder Schaf, aber doch in ganz wunderbar verschachtelter Form folgen auf diese gesetzliche Vermutung allerlei Klarstellungen.

Geregelt war beispielsweise, ob im Fall einer Holzungsgerechtsamkeit dem fremden Wald auch Bauholz entnommen werden durfte. Die Antwort: grundsätzlich ja, aber nicht zur Errichtung neuer Gebäude. Von einer noch wenig dynamischen Gesellschaft geprägt war die Antwort des Gesetzes auf die Frage, welche Angehörigen einer Gemeinde berechtigt waren, wenn ihr das Recht zustand, im fremden Wald Brennholz zu sammeln. Dieser Vorteil stand "in der Regel nur den angemessenen Wirthen, nicht aber den Einliegern oder Häuslingen zu". Ausgeschlossen blieben damit etwa die Insassen von Armenhäusern, für die auf anderem Wege Brennholz zu beschaffen war.

Insgesamt lief eine von lokalen Gepflogenheiten und dem Gerechtigkeitsgefühl abhängige Verfügungsgewalt über Grund und Boden der modernen Idee zuwider, diese Güter wirtschaftlich effizient zu nutzen – auch wenn diese Frage selbstverständlich sehr im Auge des Betrachters liegt. Um dem formal berechtigten Eigentümer die Möglichkeit zu vermitteln, jedenfalls für ökonomisch besser berechenbare Verhältnisse im Wald zu sorgen, hieß es in § 235 ALR I 22:

"Bei einer unbestimmten Holzungsgerechtigkeit kann der Eigentümer des Waldes verlangen, daß dieselbe, in Ansehung des Brennholzes, auf ein mit der rechtmäßigen Benutzung im Verhältnisse stehendes bestimmtes Holzdeputat festgesetzt werde."

Was galt für den Wald in Schlesien?

Auf der Grundlage dieser Vorschrift war für den strittigen Wald bereits im Jahr 1808 eine Begrenzung der erlaubten Holzentnahme geregelt worden – besagte rund 52 Klafter oder circa 170 Kubikmeter Holz.

Knapp 100 Jahre später war den Parteien – bzw. ihren Nachkommen – schon nicht mehr ganz klar, was damit gemeint gewesen war: Schuldete der Eigentümer des Waldes den Berechtigten nun die Entnahme des Holzes weiter allein nach dem alten Allgemeinen Landrecht, lag eine vertragliche, schuldrechtliche Lösung vor oder war die Holzungsgerechtsame sogar eine moderne Reallast des Grundstücks?

Das Reichsgericht entschied: Durch die Festlegung auf eine gewisse Holzmenge, die im Rahmen der Holzungsgerechtsame entnommen werden dürfe, sei eine Umwandlung in eine Reallast nicht erfolgt – der Gesetzgeber des Jahres 1794 habe nur bezweckt, die Verhältnisse für die Waldeigentümer übersichtlicher zu machen. Eine so weitgehende wirtschafts- und rechtspolitische Entscheidung, die oft uralten Ansprüche in Reallasten umzuwandeln, habe man seinerzeit in Preußen nicht treffen wollen.

Wer weiß. Hätte das Reichsgericht hier anders entschieden, fände sich das ganze Gestrüpp mittelalterlicher Ansprüche – von der Holzentnahme bis zur Schweine-Mast auf fremdem Boden – heute vielleicht in den Grundbüchern fortgeschrieben.

Ganz modern: Lehrer streiten um Besoldung

Auch wenn das anbrechende 20. Jahrhundert Hoffnungen auf zentral beheizte Gebäude und sogar fortschrittliche Wasserklosetts – zumindest je einem zwischen zwei Etagen der modernen Mietshäuser – machte, ums Brennholz wurde nicht nur auf dem Gebiet der uralten Holzungsgerechtsamkeiten gestritten.

Ebenfalls im Jahr 1901 kämpfte beispielsweise ein ostpreußischer Lehrer bis vor das Königlich Preußische Oberverwaltungsgericht in Berlin um 1,70 Mark: Nach der einschlägigen Schulordnung hatte der Lehrer vom Schulträger verlangen dürfen, dass er nicht länger Brennholz in Natur geliefert erhielt, sondern ihm dessen Wert in Geld ausgehändigt wurde. 1,70 Mark waren bis dahin als Entgelt für das Schlagen des Holzes abgezogen worden – eine längere Darstellung findet sich hier.

Nicht genug damit, dass die Entscheidungssammlung dieses höchsten preußischen Verwaltungsgerichts überraschend zahlreiche Prozesse um die Lehrerbesoldung – und dann oft genug um die (Holz-) Heizung der kargen Dienstwohnungen – dokumentiert: Vom streitlustigen ostpreußischen Dorflehrer bis zu den Weinbauern am Rand der Eifel, die sich nach dem Ende der klösterlichen Feudalherrschaft und des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation mit ihrer Gemeinde ums Holz stritten wie die Kesselflicker – vor der Epoche von Kohle, Erdgas und der friedlichen Nutzung der Atomenergie zankte man sich in der deutschen Gesellschaft beinahe fortlaufend ums Brennholz.

Gemütlich muss man das nicht finden, gut zum Durchlüften erst recht nicht

Zitiervorschlag

Streit um Brennholz: Aus den ehrwürdigeren Zeiten stinkender Öfen . In: Legal Tribune Online, 09.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49827/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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