Interdisziplinäre Studiengänge

Spezialist oder Schmalspurjurist?

Anna K. BernzenLesedauer: 4 Minuten
Jura mit Wirtschaft, Jura mit Politik, Jura mit Technik: An immer mehr juristischen Fakultäten kriegen die Rechtswissenschaften einen "kleinen Bruder" an die Seite gestellt. Das rein juristische Staatsexamen wird durch einen interdisziplinären Bachelor ergänzt oder mancherorts sogar ersetzt. LTO sprach mit Professoren und Studenten, die sich für die neuen Studiengänge entschieden haben.

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"Jura light". Der englische Zusatz, der sonst für zuckerfreie Limonaden reserviert ist, zeigt: So richtig ernst nehmen viele Juristen die neuen Bachelor-Studiengänge ihres Fachs nicht. Ohne volle Konzentration auf Gesetzestexte und schwere Abschlussprüfungen kein echtes Jurastudium? Die Bewerberzahlen an juristischen Fakultäten mit interdisziplinären Angeboten lassen anderes erahnen: In Hamburg gingen 2009 für die beiden neuen Studiengänge "Arbeits- und Sozialmanagement" und "Finanzen und Versicherung" schon im ersten Jahr des Bestehens fast fünfmal so viele Bewerbungen ein wie Plätze zur Verfügung standen. In Mannheim steigen sie seit der Einführung des Studiengangs "Unternehmensjurist" im Jahr 2008, einer Kombination aus Jura, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, jedes Jahr um bis zu 30 Prozent an.

Kürzeres Studium, größere Spezialisierungsmöglichkeiten

Die Studierenden, die für den großen Andrang sorgen, versprechen sich von der neuartigen Ausbildung vor allem einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Kommilitonen, die "nur" Jura studieren. Martin Berner, der seit zwei Semestern in Mannheim studiert, entschied sich nach der Bankausbildung für den Unternehmensjuristen. Er sagt: "Die Vorzüge meines Studiums liegen eindeutig in der Verquickung der Lerninhalte. Juristen fehlt oft die entsprechende Kenntnis von wirtschaftlichen Vorgängen im Unternehmen." Auch die Verkürzung der Studienzeit – klassisch acht bis neun Regelsemester bis zum Staatsexamen, aber nur sechs bis zum Bachelor-Abschluss – spielt für viele Studierenden eine Rolle. Christian Jaeger, der an der Technischen Universität Dresden im seit 2007 bestehenden Studiengang "Law in Context" eingeschrieben ist, wollte nach dem Wehrdienst keine Zeit verlieren. Sein Studiengang kombiniert Jura mit Modulen aus Politik, Wirtschaft oder Technik. "Diese spezielle Ausrichtung hat mich gelockt", sagt Jaeger.
Doch was bewegt die oft als konservativ bekannten juristischen Fakultäten, das altbewährte juristische Staatsexamen gegen ein Bachelor-Studium einzutauschen, in dem neben den Rechts-, auch Wirtschafts-, Politikwissenschaften oder technische Kenntnisse gelehrt werden? "Der Trend geht hin zu interdisziplinären Studiengängen, weil die Wirtschaft diese nachfragt", sagt Georg Bitter. Der Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Bank-, Kapitalmarkt- und Insolvenzrecht an der Universität Mannheim war maßgeblich an der Gründung des dortigen Studiengangs beteiligt. Für ihn ist das wirtschaftswissenschaftliche Nebenfach nicht nur sinnvoll, sondern in manchen Rechtsgebieten geradezu notwendig: "Wer Wirtschaftsrecht praktiziert, muss sich auch mit wirtschaftlichen Hintergründen auskennen." Fundierte Kenntnisse über sämtliche Straftatbestände und alle Grundrechte dagegen müsse nicht jeder Unternehmensjurist besitzen.

Die Wirtschaft ist gespannt, die Wissenschaft skeptisch

Auch für die Arbeitgeber, besonders die in kleineren und mittelständischen Unternehmen, hat ein verkürztes und speziell ausgerichtetes Studium seinen Reiz: "Anders als klassische Juristen müssen unsere Absolventen nicht erst in die wirtschaftliche Materie eingearbeitet werden", sagt Dennis Basler, Referent der Hamburger Studiengänge. Von den potentiellen Chefs seiner Studierenden bekam er bereits positives Feedback. Sollten die Studierenden nach dem Bachelor alle Qualifikationen, die sie auf dem Papier erworben haben, auch in der Praxis aufweisen, wären sie für die Unternehmen etwa in der Versicherungs- oder Personalbranche durchaus attraktiv.
Unter vielen studierten Volljuristen der alten Schule herrscht jedoch weiterhin Skepsis. "Jura? Das ist doch das mit den zwei Staatsexamen!" hört zum Beispiel Detlev Sternberg-Lieben öfter. Als Studiendekan der Dresdner Juristischen Fakultät muss er viel Überzeugungsarbeit leisten. "Noch ist der interdisziplinäre Bachelor schließlich etwas völlig Neues in diesem Fachgebiet", sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Straf- und Strafprozessrecht. Die Einstellung mancher Jura-Professoren stört auch die Studierenden: "Es wäre konstruktiver und motivierender, wenn man uns nicht so oft auf die Möglichkeit hinweisen würde, das Staatsexamen nachzuholen, sondern die Chancen nach dem Bachelor aufzeigt“, sagt Christian Jaeger.

Am Ende doch noch fürs Staatsexamen entschieden

Solange man jedoch für die klassischen juristischen Berufe Staatsexamina braucht, würden viele Studierende sich wohl weiterhin für diese Option entscheiden, schätzt Georg Bitter. In Mannheim kann das Examen in einem Aufbaustudiengang nachgeholt werden, in Dresden und Hamburg ist für die Studenten dagegen nur der Weg zum Master of Laws (LL.M.) vorgesehen. "Momentan tendiere ich eher zum Staatsexamen, denn ich könnte mir die Arbeit in einer Großkanzlei vorstellen", sagt Martin Berner. Christian Jaeger will sich dagegen im Master weiter in Richtung Urheber- und Markenrecht spezialisieren. Ob das Staatsexamen als Zugangskriterium für den Anwaltsberuf in Deutschland auf Dauer Bestand haben wird, darüber sind sich die Professoren uneinig. Die Politik habe den Wandel angestoßen, also sei die Wahrscheinlichkeit einer Umstellung groß, schätzt Detlev Sternberg-Lieben. Georg Bitter allerdings glaubt: "In Zukunft wird es beides geben: das klassische Jurastudium und interdisziplinäre Studiengänge." Ein Bundesverfas-sungsrichter muss schließlich andere Dinge wissen als ein Jurist in einem Unternehmen. Mehr auf LTO.de: Wirtschaftsjuristen vs. Volljuristen: Konkurrenz oder Kooperation? Juristenausbildung: Vier gewinnt nicht Bachelor-Studiengang "Good Governance": Jura, aber anders

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