Bewertungsunterschiede im Pflichtfachteil

Sind Männer in Jura ein­fach besser als Frauen?

Gastbeitrag von Prof. Dr. Jörn Griebel und Prof. Dr. Roland SchimmelLesedauer: 7 Minuten

Im Abitur und anderen Studiengängen schneiden Frauen besser ab als Männer. Nur in der juristischen Pflichtfachprüfung ist das deutlich anders. Jörn Griebel und Roland Schimmel fragen: Wann beschäftigen sich die Verantwortlichen damit?

Unter den vielen denkwürdigen Zahlen zur Juristenausbildung sticht ein Phänomen immer noch hervor: In bemerkenswertem Umfang erzielen männliche und weibliche Prüflinge im staatlichen Pflichtteil der Ersten Juristischen Prüfung unterschiedliche Ergebnisse. Towfigh et al haben das bereits vor über zehn Jahren in zwei Beiträgen (hier und hier) festgestellt. Haben sich hierfür eigentlich Erklärungen gefunden? Und hatten diese womöglich Konsequenzen? Was sagen die aktuellen Zahlen?

Betrachtet man als Vergleichsbasis die allgemeine Performance von Frauen zunächst im Abitur und später generell an Hochschulen, stehen Absolventinnen gut da. Unter den jungen Frauen beträgt die Abiturientinnenquote (Stand 2019) etwa 38,2 Prozent, unter den jungen Männern dagegen circa 28,8 Prozent. Die von Frauen erzielten Abiturnoten liegen im Durchschnitt über denen der Männer.

Die fächerübergreifenden Studienleistungen von Frauen im Vergleich zu Männern liefern wiederum für Frauen erfreuliche Belege. Die im Sommer 2023 erschienenen Erfolgsquotenberechnungen des Statistischen Bundesamts für die Studienanfängerjahrgänge 2009 bis 2013 weisen aus, dass vom 2013er-Anfängerjahrgang 79,5 Prozent der Frauen erfolgreich abgeschlossen haben, während es bei den Männern nur 70,9 Prozent waren. Auch für die vier Vorjahre kann ein Vorsprung der Frauen von 7,1 bis 8,9 Prozentpunkten festgestellt werden. Ein anderes Beispiel: In Prüfungen an der Hochschule fallen Frauen nur etwa halb so häufig durch wie ihre männlichen Kollegen (Stand: 6. Februar 2025).

Auch im universitären Teil der Juristenausbildung finden sich keine geschlechterspezifischen Notenunterschiede. Die Studie von Bock et al hat die Anfänger- und Fortgeschrittenenübungen an der Universität Marburg auf Geschlechterunterschiede in der Benotung überprüft und keine relevanten Unterschiede identifiziert. Die Statistiken des Bundesamts für Justiz zeigen zudem, dass im universitären Schwerpunktstudium Frauen und Männer (trotz einzelner Schwankungen über die Jahre hinweg in beide Richtungen) entsprechend ihren Anteilen bestehen und nicht bestehen.

Nach diesen Ergebnissen würde man erwarten, dass auch im staatlichen Pflichtfachteil der Ersten Juristischen Prüfung die Noten der weiblichen Prüflinge mindestens so gut sein müssten wie die ihrer männlichen Mitbewerber. Dem ist aber weiterhin nicht so.

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Die meisten Nichtbesteher sind Frauen

Blickt man zunächst auf die Bestehensschwelle (diese wird in den Statistiken des Bundesamts geschlechterspezifisch in der "Übersicht über die Ergebnisse der staatlichen Pflichtfachprüfung" ausgewiesen), dann zeigen sich über Jahre hinweg markante Unterschiede im Abschneiden von weiblichen und männlichen Kandidaten. So weist etwa die Übersicht zu den Ergebnissen der staatlichen Pflichtfachprüfung 2022 die Beteiligung von Frauen in der Gesamtschau aller Bundesländer mit 61,3 Prozent aus. In der Gruppe der Nichtbesteher sind sie dann aber mit 67,6 Prozent deutlich überrepräsentiert. Ähnliche Abweichungen zulasten der weiblichen Prüflinge lassen sich für die Vorjahre durchweg feststellen (2021: 61,3 zu 67,6; 2020: 60,6 zu 67,6; 2019: 60,0 zu 66,0; 2018: 60,3 zu 65,7; 2017: 59,3 zu 65,9).

In den einzelnen Bundesländern sind die Abweichungen unterschiedlich deutlich. Die Abweichungen zwischen Teilnehmerinnen und erfolglosen Prüflingen für die 16 Bundesländer über den Fünf-Jahres-Zeitraum von 2018 bis 2022 lassen unter den 80 Vergleichspaaren nur fünf Fälle erkennen, in denen die Frauen bei den erfolglosen Prüflingen im Verhältnis zu ihrer Teilnehmerzahl unterrepräsentiert sind. Dreimal handelt es sich um Kleinstkohorten mit Prüflingszahlen zwischen 124 und 184 (Saarland 2019: 47,3 zu 32,3; Thüringen 2022: 53,2 zu 39,3 und für 2018 55,6 zu 43,8). Daneben sind es die Prüfungsergebnisse in NRW 2022 (63,8 zu 63,6) und in Berlin 2019 (57,0 zu 56,3), bei denen das Pendel ganz leicht zugunsten der Frauen ausschlägt. Die anderen 75 Vergleichspaare sind durchweg unerfreulich für die Frauen. In einigen Fällen liegt der Anteil der erfolglosen Frauen sogar zehn Prozentpunkte über dem Anteil der teilnehmenden Frauen.

In manchen Bundesländern lassen sich erhebliche Abweichungen zulasten der Frauen mit hoher Konstanz nachweisen. Speziell die überwiegend weiblichen Landesjustizminister von Bundesländern mit größeren Prüflingskohorten sollten dringend auf ihre Zahlen schauen. Hierzu gehören insbesondere Bayern (2022: 60,5 zu 70,7; 2021: 60,9 zu 68,5; 2020: 60,9 zu 67,5; 2019: 61,6 zu 70,5; 2018: 62,1 67,4), Hamburg (2022: 59,4 zu 71,8; 2021: 57,4 zu 69,2; 2020: 56,4 zu 61,9; 2019: 57,9 zu 61,2; 2018: 57,8 zu 68,0), Niedersachsen (2022: 62,7 zu 69,5; 2021: 59,1 zu 68,1; 2020: 64,7 zu 71,8; 2019: 60,5 zu 66,5; 2018: 57,4 zu 62,0) und Schleswig-Holstein (2022: 65,9 zu 75,7; 2021: 63,7 zu 72,8; 2020: 62,7 zu 71,4; 2019: 52,2, zu 58,5; 2018: 64,1 zu 76,4).

Mitunter gibt es in einzelnen Bundesländern auch ordentliche Schwankungen zwischen gravierenden Abweichungen und gemäßigteren Zahlen. So besteht etwa in Baden-Württemberg in einem Jahr kaum ein Unterschied (2021: 59,4 Prozent Frauenanteil an der Prüfung zu 60,5 Prozent Frauenanteil bei den Nichtbestehern), im Folgejahr ist er hingegen sehr beachtlich (2022: 60,1 zu 68,2). In NRW ist es umgekehrt: Noch 2021 zeigte sich ein großer Abstand (61,6 Prozent zu 68,1 Prozent), während man dort 2022 scheinbar mustergültig dasteht (63,8 Prozent zu 63,6 Prozent).

Frauen haben wesentlich weniger Prädikate

Schauen wir uns als Nächstes statt der magischen Vier-Punkte-Grenze die oberen Bereiche der juristischen Notenskala an. Ein Blick etwa auf die Statistik von NRW für 2022 zeigt dem zuständigen Landesjustizminister, dass es auch erhebliche Bewertungsunterschiede oberhalb der Bestehensgrenze gibt: Betrachtet man in besagter Landesstatistik nur Noten von Männern und Frauen im Prädikatssegment (verstanden als die Notenstufen "vollbefriedigend" bis "sehr gut"), sind die Unterschiede massiv.

Obgleich 1.501 Frauen (61,22 Prozent der Prüflinge) in Relation zu 951 Männern (38,78 Prozent) zur ersten Prüfung angetreten sind, holen sie nur zweimal ein "Sehr gut", während die Männer hier mit vier Prüflingen vertreten sind. Auch beim "Gut" sind 30 erfolgreiche Frauen gegenüber 65 Männern deutlich unterrepräsentiert, ebenso wie auch noch beim "Vollbefriedigend" (232 Frauen zu 205 Männern).

Diese Notenunterschiede im Spitzensegment kann man noch plastischer beschreiben: In NRW brauchte es 2022 für 100 Prädikatsexamina 647 Frauen, während bei den Männern hierfür bereits 347 Prüflinge reichten. Die Zahlen der Landesstatistik für 2021 bestätigen diese deutliche Tendenz: Man musste 346 Männer ins Examen schicken, um 100 Prädikatsexamina hervorzubringen, bei den Frauen brauchte es 597 Prüflinge.

Die Bewertungsunterschiede sind beachtlich

Es liegt nahe, die Bewertungsunterschiede in Notenpunkte umzurechnen. Towfigh et al hatten die Differenz für ihre oben genannte Untersuchung mit 0,3 Punkten berechnet. Die insoweit allein aussagebereiten Statistiken von Niedersachsen bestätigen diesen Wert in einer Gesamtschau der Jahre 2014 bis 2023, wobei 2019 allerdings eine Abweichung von 0,8 Notenpunkten festgestellt wurde. Zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten aus NRW in 2022 kommt man auf eine Notendifferenz von 0,65 Punkten (mangels Notenangaben anhand der erreichten Punktzahlen wurde bei dieser überschlägigen Berechnung jedes "Sehr gut" mit 16 Punkten angesetzt, jedes "Gut" mit 13, jedes "Vollbefriedigend" mit zehn, jedes "Befriedigend" mit acht, jedes "Ausreichend" mit fünf und jedes "Nichtbestehen" mit zwei).

Für 2021 ist es in NRW mehr als ein Notenpunkt (1,04) Unterschied zwischen Männern und Frauen. Dies deutet an, dass sich der Abstand zwischen den Durchschnittsnoten von Frauen und Männern in der staatlichen Pflichtfachprüfung über die Jahre vergrößert haben könnte. Gerade auch mit Blick auf die Notengläubigkeit unter Juristen sind Punktabstände von 0,5 bis 1,0 Punkten beachtlich. Sie können für Karrieren entscheidend sein und auch Gehälter massiv beeinflussen.

Hinzu kommt, dass die marktrelevante Notenskala faktisch bei 4 Punkten beginnt (knapp bestandenes Examen) und bei 14 Punkten endet (beste gelegentlich erzielte Durchschnittsnote); eine unerklärte Differenz von bis zu einem Punkt fällt da erheblich ins Gewicht.

Die Prüfungsverantwortlichen müssen sich mit diesen Zahlen beschäftigen

Man muss sich vor Augen führen: Die hier vorgestellten Zahlen sind öffentlich zugänglich, aber längst nicht jedes Bundesland stellt sie in aussagekräftiger Weise zur Verfügung (oder erhebt sie auch nur). Dieses Zahlenmaterial kann daher nur ein kleiner Ausschnitt an denkwürdigen Befunden zur Ersten Juristischen Prüfung sein. Vermutlich steckt in den Juristenausbildungsstatistiken des Bundes und der Länder noch weitaus mehr Material, das einmal systematisch ausgewertet werden sollte.

Die angesprochenen Zahlen belegen jedenfalls deutliche Ungleichheiten in der Benotung von Frauen und Männern im so karriererelevanten staatlichen Pflichtteil der Ersten Prüfung. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine (absichtliche oder strukturelle) Diskriminierung im Rechtssinne stattfindet. Sie sind aber doch so erklärungsbedürftig, dass man von den Landesjustizministerien und den Justizprüfungsämtern als den für die Prüfung verantwortlichen Institutionen erwarten darf, von Amts wegen nach sachlichen Erklärungen zu suchen. Denn wer prüfungsrechtliche Literatur aufmerksam liest, stößt mitunter auch auf den Begriff der prüfungsbehördlichen Fürsorgepflicht, die individuell und kollektiv gegenüber bestimmten Prüflingsgruppen gilt.

Dass die Justizministerkonferenz 2024 (auf Grundlage der Vorarbeiten einer Kommission, deren Mitglieder anonym geblieben sind), ohne auf solche und andere kritische Zahlen einzugehen, festgestellt hat, es bestehe kein Reformbedarf in Ausbildung und Prüfung, verwundert immer wieder neu. Vielleicht ändert sich ja doch etwas, wenn die zahlreichen Landesjustizministerinnen gefragt werden, sachliche Begründungen für die ungleiche Benotung von Frauen und Männern zu liefern. Man darf hierauf gespannt sein.

Der Autor Prof. Dr. Jörn Griebel ist Professor für Öffentliches Recht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Siegen und beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit Verbesserungsvorschlägen für die Juristenausbildung und Besonderheiten der juristischen Examina.

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt an der Frankfurt University of Applied Sciences Wirtschaftsprivatrecht und Bürgerliches Recht und hat regelmäßig im Examen geprüft. Mit der juristischen Ausbildung befasst er sich schon seit Jahren, unter anderem in zahlreichen Publikationen, auch in der LTO.

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