Wahlstation in Manhattan

Raub­kunst retten in New York

von Marcel SchneiderLesedauer: 5 Minuten
Wer sich seine Wahlstation geschickt aussucht, verbringt einen guten Teil seiner Arbeitszeit außerhalb des Büros. Für seine besondere Tätigkeit in einer Kanzlei in Manhattan war Doktorand Philipp Hardung regelmäßig on the road.

Die Luft in den Katakomben des Nachlassgerichts unter den Straßen von New York ist stickig. Die Hände des jungen Mannes schwitzen etwas in den weißen Stoffhandschuhen, mit denen er das jahrzehntealte, vergilbte Papier anfasst, dreht und wendet. Nach kurzer Begutachtung setzt Ernüchterung ein: Er ist doch noch nicht am Ziel der Reise, die ihn bis hierher geführt hat... Zugegeben: Nicht alle Tage seiner Wahlstation in New York kamen einem kleinen Abenteuer wie diesem gleich, als er für seine Arbeit in Amerika öffentlich zugängliche Testamente auswertete.  Eine Seltenheit waren sie allerdings auch nicht. Der ehemalige Referendar Philipp Hardung verbrachte im Frühjahr 2015 drei Monate bei der Kanzlei Rowland & Petroff in Midtown Manhattan, einem der bekanntesten Viertel der Weltmetropole New York. Die mit fünf Anwälten eher kleine Kanzlei beschäftigt sich vorwiegend mit der Restitution von Kunstwerken aus ehemals jüdischen Sammlungen, deren Eigentümer von den Nationalsozialisten zwangsenteignet oder zum Kauf weit unter dem Marktpreis gezwungen wurden (sogenannte "Raubkunst"). Da die Herausgabeansprüche der ehemaligen Eigentümer beziehungsweise ihrer Erben fast immer verjährt sind, ist eine Restitution nur noch nach der Washingtoner Erklärung von 1998 möglich. Darin verpflichteten sich viele Nationen, Raubkunst im Besitz der öffentlichen Hand an die Erben herauszugeben und so einen Beitrag zur Wiedergutmachung zu leisten. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Eigentumsverhältnisse setzt voraus, dass der Eigentümer beziehungsweise seine Erben zweifelsfrei ausgemacht werden können – und genau hier begann für Hardung die Arbeit: "Meine Aufgabe war oftmals die eines Schatz- oder Erbensuchers. So war ich häufig damit beschäftigt, die 'Lebensgeschichte' mutmaßlicher Raubkunst nachzuverfolgen und dafür belastbares Beweismaterial zu erstellen." Um also den aktuellen Standort von Raubkunst oder deren Zugehörigkeit zu bestimmten jüdischen Sammlungen zu ermitteln, recherchierte er in Museen, Archiven und bei Gerichten im gesamten Staat New York, sprach mit Kunsthistorikern überall in den USA und nahm Kontakt zu Botschaften in aller Welt auf. Bevor Hardung allerdings mit seiner Tätigkeit beginnen konnte, musste er einige Nerven lassen.

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America, Land of the Free – oder halt auch nicht

Bereits im Februar 2014 begann der mittlerweile fertig ausgebildete Jurist mit der Suche nach interessanten Wahlstationen. Für ihn stand von vornherein fest: "Ich wollte ins Ausland und mich möglichst nach kleineren Kanzleien umsehen." Der Name Rowland & Petroff tauchte bei seinen Recherchen bereits im Vorfeld auf, den Ausschlag aber gab ein Verzeichnis des Kammergerichts Berlin, in dem die amerikanische Kanzlei ausdrücklich als mögliche ausländische Wahlstation gelistet ist.
So bewarb er sich bei den zwei amerikanischen und drei deutschen Anwälten zunächst schriftlich. Dabei kamen ihm die Englischkenntnisse aus seinem Auslandssemester zugute, sodass er nach einem zusätzlichen Telefoninterview die Zusage erhielt. Dann folgte der, wie sich herausstellen sollte,  weitaus schwierigere Teil. Hardung erinnert sich: "Voraussetzung für die Arbeitsaufnahme in den USA war das sogenannte 'J1-Visum'. Bis ich dieses endlich erhalten habe, sind satte sieben Monate vergangen." Das benötigte Formular stellen nur ausgewählte, vom US-Außenministerium beauftragte Unternehmen bereit. Um es zu erhalten, musste er unter anderem das konkrete "Praktikumsangebot" der Kanzlei nachweisen, gültige Hin- und Rückflugtickets vorzeigen und darlegen können, mit mindestens 1.000 US-Dollar im Monat für sein eigenes Auskommen sorgen zu können. Allein dieser Verwaltungs- und Organisationsprozess kostete ihn rund 1000 Euro – und eine Menge Nerven: "Mit diesem Formular musste ich beim amerikanischen Generalkonsulat in Frankfurt vorstellig werden. Der Termin fiel ungünstiger Weise auf den letzten Tag vor meinen Examensprüfungen", erzählt der ehemalige Referendar. Aber die Mühe lohnte sich: Im April 2015 flog er, ganz  legal und mit allen nötigen Papieren ausgestattet, nach New York - nachdem sein Reisepass mit dem gültigen Visum saloppe vier Tage vor Abflug mit der Post wieder angekommen war.

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2/2: Stein um Stein zum Mosaik

Drei Monate sind für die Arbeit als Kunstdetektiv eine vergleichsweise kurze Zeit: "Den Werdegang von Raubkunst zu rekonstruieren, dauert bei größeren Sammlungen auch schon mal länger als ein Jahr", weiß Hardung. So hat er viel angefangene Arbeit von seinen Vorgängern übernommen und ebenso viel seinen Nachfolgern zurückgelassen. "Die Schwierigkeit ist immer, dass es nur Stück für Stück vorangeht und viele unvorhersehbare Dinge die Planung wieder über den Haufen werfen." So forderte er beispielsweise den Obduktionsbericht einer kanadisch-jüdischen Familie an, die bei einem Brand in den sechziger Jahren ums Leben kam, um die Frage des Erstversterbens des Erblassers klären zu können. Der Bericht kam zwar, war aber leider in der zweiten kanadischen Amtssprache, Französisch, verfasst. So musste er sich erst um eine juristisch fehlerfreie Übersetzung kümmern, was den gesamten Nachverfolgungsprozess weiter verzögerte. Es gab aber auch Erfolge zu feiern: "Das eine oder andere Projekt konnte ich während meiner Zeit auch zu Ende bringen. Das waren dann sehr erfüllende Momente", erinnert Hardung sich gern.

Wohnungsmarkt und Justiz: typisch amerikanisch

Der Schatzsucher wohnte den Großteil der Zeit im Kolpinghaus Manhattan, einer Art Wohnheim für ausländische Studenten. 1.000 US-Dollar im Monat kostete der vergleichsweise günstige Wohnraum von acht Quadratmetern Größe. Ohne die Möglichkeit, zu kochen oder Wäsche zu waschen, geduscht wurde im Gemeinschafts-Bad. Typisch amerikanisch eben.  Kaum weniger stereotyp war das Sentencing Hearing, ein Verhandlungstag, zu dem eine mit seinen Ausbildern  befreundete Strafverteidigerin Hardung mitnahm. Entschieden wurde über die Strafe für einen gerade volljährigen Einwanderer, der in geringem Maße an einem innerhalb der USA staatsgrenzüberschreitenden Betrugsdelikt beteiligt war. Die Verhandlung wurde in einer Manier geführt, wie man sie aus dem Fernsehen kennt: "Anklage und Verteidigung gehen sich verbal sehr scharf und vor allem sehr lautstark an", berichtet der Deutsche von den für ihn ungewohnten Eindrücken. Ein wenig schockiert und perplex ließ ihn außerdem die Unnachgiebigkeit des Richters zurück: "Während ein deutscher Kollege in Erwägung gezogen hätte, den jungen Mann nach Jugendstrafrecht zu verurteilen, gab es für den 'Judge' keinen Kompromiss: Zweieinhalb Jahre Haftstrafe für einen gerade volljährigen Ersttäter wegen eines Vermögensdelikts – die amerikanische Justiz hat schon eine recht harte Gangart." Hardung,  der neben seiner Promotion aktuell in einer Wirtschaftskanzlei arbeitet, könnte sich vorstellen, später zumindest temporär als Jurist in New York zu tätig zu werden: "Abgesehen davon, dass die Stadt viel zu bieten hat, war es einfach eine tolle Zeit, aus der ich viele – auch berufliche – Kontakte mitgenommen habe. Die Arbeit war anspruchsvoll und in so manchen Situationen fühlte ich mich ins kalte Wasser geworfen – aber genau daraus habe ich am meisten gelernt", resümiert der Referendar. Auf Dauer wäre das aber nichts für ihn: "New York ist eine Stadt der Superlative und wäre mir dann vermutlich doch irgendwann zu groß."

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