Arbeitszeitmodelle in Kanzleien

Mit Teil­zeit in die Part­ner­schaft?

von Pauline Dietrich, LL.M. und Dr. Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

60 Stunden die Woche, am Wochenende erreichbar: Für einige Anwälte ist das normal, andere wollen mehr Zeit für Familie und Hobbys. Ist Teilzeitarbeit in Großkanzleien überhaupt realistisch? Und wie sieht es mit der Partnerschaft aus?

Abendessen in der Kanzlei, Feierabend mit Glück um 22 Uhr und danach noch ein paar Mails checken: Ein Familienleben ist mit einem solchen Alltag kaum vereinbar. Nicht nur die "Generation Z" legt Wert auf eine Work-Life-Balance. Auch bei denjenigen, die schon länger im Berufsleben sind, scheint der Wunsch nach mehr Zeit für Familie und Hobbys zu wachsen.

"Als Mutter bzw. Vater möchte man auch etwas von seinen Kindern haben", so eine Senior Associate in einer Großkanzlei gegenüber LTO, die anonym bleiben möchte.* Das sei mit einer Vollzeitstelle schlicht nicht möglich. Deshalb arbeitet sie in Teilzeit und viel im Homeoffice – und hat diese Bedingungen von Anfang an klar kommuniziert.

Immer mehr Kanzleien werben damit, sich für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf einzusetzen. Aber wie sieht das in der Realität aus? Wie beliebt sind Teilzeitmodelle und was bedeutet das für den Weg zur Partnerschaft?

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Nur wenige Equity Partner arbeiten in Teilzeit

Nach wie vor ist Teilzeit in Kanzleien eher eine Rarität. LTO hat bei großen Kanzleien nachgefragt: Dort arbeiten zwischen knapp neun und rund 27 Prozent in Teilzeit. Die Anzahl der Teilzeitler:innen steigt mit der Seniorität – allerdings nur bis zur Schwelle der Salary-Partnerschaft. Nach wie vor sind kaum Equity-Partner:innen in Teilzeit tätig – in den befragten Kanzleien jeweils maximal zwölf Prozent.

Woran kann das liegen? "Es gibt immer noch viele Vorurteile gegenüber der Anwaltstätigkeit in Teilzeit", weiß Kanzleiberaterin Carmen Schön. Kanzleien befürchteten häufig, dass man Mandanten verliert, wenn man nicht rund um die Uhr erreichbar ist – gerade als Partner:in.

Partnerschaft und Teilzeit schließen sich aber nicht grundsätzlich aus. Im LTO-Karriere-Podcast "Irgendwas mit Recht" berichtet etwa Andreas Dimmling von seinen Erfahrungen als Equity Partner in Teilzeit bei GSK Stockmann in München.

Am beliebtesten scheint die Teilzeittätigkeit bei den Counsel zu sein: In nahezu allen Kanzleien, die Angaben dazu machten, arbeiten mindestens 30 Prozent der Counsel in Teilzeit. Bei Baker McKenzie sind es 42 Prozent, bei Hogan Lovells sogar knapp 48 Prozent. Bei den Associates wagen noch nicht besonders viele den Schritt in die Teilzeit, in den meisten Kanzleien zwischen zehn und 15 Prozent. Unter den Senior Associates liegt der Anteil der in Teilzeit Beschäftigten bei rund 20 Prozent. Ausreißer nach oben waren wiederum Hogan Lovells, CMS Deutschland und Taylor Wessing mit Werten zwischen 25 und 29 Prozent aller Senior Associates.

Teilzeit in der Großkanzlei – oder: Vollzeit in anderen Jobs

Teilzeit ist nicht gleich Teilzeit. In den befragten Kanzleien spricht man von "Teilzeit", wenn 50 bis 80 Prozent der üblichen Arbeitszeit geleistet werden. Es stellt sich also die Frage nach dem jeweiligen kanzleiinternen Maßstab. Eine Associate, die ebenfalls anonym bleiben möchte,** ist im M&A-Team einer Großkanzlei tätig und arbeitet als Teilzeitkraft bei einer 60-Prozent-Stelle 40 bis 42 Stunden, wenn sie auf Deals ist. In jedem Fall ist ein Teilzeitjob in einer Kanzlei etwas anderes als Teilzeit in Jobs mit geregelteren Arbeitszeiten.

Die Kanzleien bieten dabei unterschiedliche Modelle, zum Beispiel kann man sich einen oder mehrere Tage komplett freinehmen oder aber jeweils weniger Stunden am Tag arbeiten. Starre Regeln haben hier die wenigsten Kanzleien, Absprachen werden in den jeweiligen Teams getroffen, heißt es auf LTO-Anfrage.

Dabei kommt es auch immer auf das akute Arbeitspensum an und oftmals wird eine zeitliche Flexibilität der Teilzeitmitarbeitenden erwartet. "Als Anwältin muss ich damit rechnen, abends nochmal in meine Mails zu schauen, auch wenn ich nachmittags Feierabend mache. Aber das ist für mich in Ordnung", sagt die Senior Associate, die mit LTO gesprochen hat.

Nur "Associates zweiter Klasse"?

Viele glauben, dass der Umstieg auf Teilzeit das Karriere-Aus bedeutet und dass man so nicht mehr Partner:in werden kann. Das stimmt nicht in allen Fällen – dennoch kann eine Teilzeittätigkeit den Weg zur Partnerschaft verlängern. "Man ist eher auf der langsamen Karrierespur", bestätigt die Senior Associate. Die Associate wird noch deutlicher: Sie fühle sich wie eine "Associate zweiter Klasse", an die interessanten Deals komme sie nicht, denn sie sei ja "nicht immer da – und das geht auf M&A-Deals nicht", wie die Kolleg:innen es ausdrückten.

Es gebe auch viele Vorbehalte gegenüber einer Teilzeittätigkeit: "Von manchen Kanzleien und Vorgesetzten wird man direkt als diejenige abgestempelt, die sich nur noch um die Kinder kümmern will und keine beruflichen Ambitionen mehr hat", sagt die Senior Associate. Gegen dieses Klischee müsse man sich wehren.

Alicia Pointner, Associate bei einer internationalen Großkanzlei und Mutter von bald zwei Kindern, arbeitet ebenfalls in Teilzeit. Sie stößt dort regelmäßig auf Verständnis für ihre Situation, weiß aber, dass das nicht überall so ist – und dass Teilzeit nach wie vor ein Karrierehindernis sein kann: "Viele glauben immer noch, dass man sich zwischen Karriere und Familie entscheiden muss. Ich bin der Meinung, dass beides geht. Dass man für die berufliche Karriere immer noch eine Vollzeittätigkeit voraussetzt, ist aus der Mode gekommen".

Wann kann man Partner werden?

In den meisten Kanzleien steht die Beförderung zur bzw. zum Senior Associate nach zwei oder drei Jahren an, nach weiteren Jahren in der Sozietät folgt dann die Ernennung zum Counsel und unter Umständen die Partnerschaft. Allerdings hat dabei jede Kanzlei ihre eigenen Regeln. 

In vielen Kanzleien mit starren Jahresgrenzen für die Beförderung hat die Teilzeit nach Kanzleiangaben keine Auswirkungen auf den Karrieretrack, zumindest bei einer Arbeitszeit von mindestens 80 Prozent. 

Andere verlängern die Wartezeit pauschal oder abhängig vom jeweiligen Tätigkeitsumfang. Dementsprechend kann die Teilzeit dann auch die Gehaltsentwicklung beeinflussen.

"Den meisten Kanzleien kommt es auf 'billable hours' an"

Auch bei den Kanzleien selbst ist Teilzeit mittlerweile – zumindest in der Außendarstellung – zum Thema geworden. In der Realität sieht es manchmal anders aus. Bei der besagten Senior Associate funktioniert das Teilzeitmodell jedenfalls gut. "In meinem Team arbeiten mehrere Leute in Teilzeit, deshalb ist das Bewusstsein dafür schon da", sagt sie.

Dr. Dominik Seehawer arbeitet in Teilzeit, also 80 Prozent, und wurde im Januar 2023 zum Principal Counsel bei CMS befördert. Seine reduzierte Arbeitszeit war nie ein Problem, erzählt er. "Ich bin im Dispute-Bereich tätig. Da gibt es – anders als etwa im M&A – berechenbarere Fristen", so Seehawer.

Die Associate hat weniger gute Erfahrungen gemacht. "Letztlich kommt es den meisten Kanzleien immer noch auf die 'billable hours' an", sagt sie. Das habe sie in den Feedback-Gesprächen gemerkt. "Diejenigen, die bis Mitternacht arbeiten, werden belohnt – auch wenn die Arbeit anderer qualitativ besser ist", ergänzt sie. Sie wünscht sich mehr Wertschätzung für Ihre Arbeit – und eine Abkehr von alten Arbeitsweisen und Rollenmustern. "Ansonsten verliert man gute Leute", sagt sie.   

Verbesserungspotenzial sehen beide bei der Gleichberechtigung von Männern und Frauen. "Kanzleien sollten auch Männer ermutigen, in Teilzeit zu arbeiten, um ihre Kinder zu betreuen", so die Senior Associate. Bei Frauen werde eine Teilzeittätigkeit toleriert, bei Männern sei das noch nicht überall der Fall. Kanzleien wie Baker McKenzie und Hogan Lovells gaben gegenüber LTO an, proaktiv zu kommunizieren, dass Teilzeit kein Frauenthema sei.

"Eine Erreichbarkeit rund um die Uhr wird nicht immer erwartet"

Wer in Teilzeit arbeiten will, sollte aktiv auf die Vorgesetzten zugehen. Viele wollen eigentlich weniger arbeiten, befürchten aber Nachteile für die eigene Karriere und trauen sich deshalb nicht, so die Anwältin Pointner. "Man muss auch fordern, was man sich wünscht, sonst bleiben andere immer die Ausnahme und ein Wandel in den Köpfen bleibt aus", sagt sie. Je mehr Menschen Veränderung fordern, umso mehr seien die Kanzleien gezwungen, sich entsprechend anzupassen.

"Außerdem sollte man mit den Mandanten sprechen. Eine Erreichbarkeit rund um die Uhr wird nicht immer erwartet", sagt Kanzleiberaterin Schön.


*Name der Redaktion bekannt, Position verifiziert.
** Die Person ist der Redaktion namentlich bekannt, ihre Position in der Kanzlei, die nicht zu den für diesen Text befragten Kanzleien gehört, bestätigt.

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