Ronja von Poschinger-Camphausen.
"Als 'junge Frau' im Litigation-Bereich falle ich dort nicht auf"
LTO: Frau von Poschinger-Camphausen, Sie sind jetzt seit gut einem Jahr Associate bei RSM Ebner Stolz in Hamburg mit dem Schwerpunkt Arbitration, aber auch Trainerin für Schiedsgerichtsbarkeit in afrikanischen Ländern. Wie kam es dazu?
Ronja von Poschinger-Camphausen: Ich war schon immer sehr international interessiert. In der Schule habe ich jeden Schüleraustausch mitgenommen, ich war in den USA, habe aber auch mal ein Jahr in China verbracht. Wenn man seine gewohnte Umgebung verlässt, kann man sich selbst viel besser reflektieren und wachsen.
Ich habe das Glück, dass ich bei RSM von Anfang an viele Freiheiten hatte, meine eigenen Bereiche zu schaffen. Ich habe mich auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit spezialisiert und bin auch in verschiedenen Netzwerken aktiv, unter anderem im Hamburg Arbitration Circle. Der Verein setzt sich für die Förderung der Schiedsgerichtsbarkeit ein.
Bei einer Veranstaltung vor einiger Zeit hat mir jemand von der African-German Arbitration Cooperation (AfGAG) erzählt, und dass sich gerade niemand findet, der sich aktiv darum kümmern will, weil es natürlich viel Zeit kostet. Es ging darum, das internationale Verständnis zu fördern, Mechanismen zur Streitbeilegung zu schaffen und eine deutsch-afrikanische Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu etablieren. Das hat mich direkt angesprochen.
"Afrika ist ein absoluter Zukunftsmarkt mit vielen Chancen"
Wie kann man sich die Ausgangssituation in den afrikanischen Staaten vorstellen?
In Deutschland haben wir etablierte Schiedsgerichtsbarkeitsinstitutionen und Verfahren, die sehr gut funktionieren und für viele Unternehmen eine echte Alternative zur staatlichen Prozessführung sind. In vielen afrikanischen Staaten entsteht diese Struktur gerade erst, nur in manchen afrikanischen Ländern gibt es schon etwas mehr, auf das man aufbauen kann.
Afrika ist ein absoluter Zukunftsmarkt mit vielen Chancen, und China, die Emirate und die Türkei investieren auch schon. Deutsche Unternehmen sind bislang aber noch zurückhaltend. Aus meiner Sicht wird so Potenzial verschenkt.
Wieso sind deutsche Unternehmen so zurückhaltend – und was könnte die Schiedsgerichtsbarkeit daran ändern?
Aus meiner Sicht ist die Rechtsunsicherheit ein wesentlicher Faktor. Afrika ist ein Kontinent mit 54 sehr unterschiedlichen Ländern, gerade was das Rechtsstaatsniveau und das Vertrauen in staatliche Systeme angeht.
Die Schiedsgerichtsbarkeit könnte dabei helfen, sich von den staatlichen Strukturen zu lösen. Die Parteien sind freier, Institutionen zu schaffen, und können den Schiedsort und die Schiedsrichter wählen. Und einer der größten Vorteile ist die internationale Vollstreckbarkeit: Schiedssprüche können zumindest in den 172 Vertragsstaaten des New Yorker Übereinkommens vollstreckt werden.
"Wir arbeiten als Co-Trainer mit Juristen aus Kenia zusammen"
Was machen Sie als Trainerin für Schiedsgerichtsbarkeit?
Die AfGAG veranstaltet regelmäßig Konferenzen in verschiedenen afrikanischen Staaten, zuletzt war ich im März in Nairobi auf einer Konferenz mit etwa 150 Teilnehmern. Die Zielgruppe des Programms sind Juristen aller Art, also nicht nur Anwälte, sondern auch etwa Unternehmensjuristen, Richter und Studierende. Bei den Konferenzen halten internationale Schiedsrechtler Vorträge, anschließend wird diskutiert und die Teilnehmer erarbeiten gemeinsam Themen. Das Programm ist also gerade nicht so aufgebaut, dass man als deutscher Jurist nach Kenia fährt und den Menschen von unserer Schiedsgerichtsbarkeit erzählt, damit sie etwas lernen können. Das fände ich schrecklich. Es ist vielmehr eine Art Tandemprinzip. Man arbeitet mit verschiedenen Juristen, meistens Anwälten, zusammen und ist dann Co-Trainer.
"In Afrika ist es normal, mit Ende 20 ein gestandener Jurist zu sein"
Welche Erfahrungen haben Sie in Kenia gemacht?
Am spannendsten fand ich, dass ich als "junge Frau" im Litigation-Bereich gar nicht aufgefallen bin – das kenne ich aus Deutschland anders, wenn ich mich vor Gericht gegen die etablierten Anwälte beweisen muss. Afrika insgesamt hat eine sehr junge Bevölkerung. Dort ist es absolut normal, mit Ende 20, Anfang 30 ein gestandener Jurist zu sein. Niemand ist auf die Idee gekommen, mich als jung und damit unerfahren anzusehen, sondern es war von Anfang an ein Austausch auf Augenhöhe.
Und ich habe unfassbar viele starke und selbstbewusste Frauen kennengelernt, die auch selbst Raum einfordern. Das fand ich sehr beeindruckend. Viele Frauen, die einen Vortrag gehalten haben, haben sich zwischendurch einfach jemanden aus dem Publikum herausgepickt und nach seiner Meinung gefragt. Das ist in Deutschland anders – aber ich fand es sehr erfrischend und habe mich nach wenigen Tagen daran gewöhnt.
Welche weiteren großen Unterschiede zu deutschen Juristen haben Sie festgestellt?
Die Menschen in Nairobi sind spontaner, alles ist nicht so geplant und durchstrukturiert wie in Deutschland – aber es gibt keinerlei Qualitätseinbußen. Sehr beeindruckend und mitreißend fand ich auch die Zukunftsgewandtheit der Menschen. Wenn man in Kenia mit den Juristen diskutiert, merkt man sofort, warum sie Anwälte sind. Sie möchten dort wirklich ein System aufbauen.
Und die Menschen haben ein viel größeres kollektives Bewusstsein als in Deutschland. Zum Beispiel habe ich vor einer Studierendengruppe zwei Vorträge gehalten. Immer, wenn sie merkten, dass manche unkonzentriert wurden, haben sie diese Leute mit kleinen Spielen, die man vielleicht noch aus der Schule kennt, wieder zurückgeholt. Davon können wir auch noch viel lernen.
"Nach eineinhalb Jahren schon mindestens 100 mündliche Verhandlungen"
Wie sieht Ihr Job aus, wenn Sie nicht gerade in Nairobi unterwegs sind?
Als Anwältin für Litigation und Arbitration beschäftigte ich mich mit Konfliktlösung in sämtlichen Bereichen mit wirtschaftlichem Bezug. Zum einen mache ich klassische Schreibtischarbeit, also verfasse Schriftsätze und Klagen. Daneben – und das ist wahrscheinlich der Lieblingspart jedes Litigators – bin ich sehr oft vor Gericht. Ich habe mindestens zwei mündliche Verhandlungen pro Woche. Gerade als Berufseinsteigerin ist das sehr hilfreich, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Wir betreuen auch viele Massenverfahren. Deshalb hatte ich schon mindestens 100 mündliche Verhandlungen, auch wenn ich erst seit eineinhalb Jahren Anwältin bin.
Daneben beschäftige ich mich viel mit Legal Tech und arbeite daran, die juristische Arbeit mithilfe von Künstlicher Intelligent noch effizienter zu machen.
"Ich schätze die fachliche Streitkultur"
Was macht Ihnen an Ihrem Job am meisten Spaß?
Zum einen auf jeden Fall die Vielfältigkeit der Themen, mit denen ich mich beschäftige. Man muss sich immer wieder in neue, komplexe Sachverhalte einarbeiten und wird ständig mit neuen Problemen konfrontiert. Zum anderen mag ich, dass man auch als Berufseinsteiger schon viel Verantwortung übernehmen kann. Und ich schätze die fachliche Streitkultur. Es ist mein Job, mich zielführend mit der Gegenseite zu streiten, danach wünscht man sich aber einen schönen Feierabend. Ich glaube, von der Diskussionskultur kann man auch im Privatleben profitieren.
Wann reisen Sie das nächste Mal nach Afrika?
Das steht noch nicht fest. Es kommt immer darauf an, welche Förderungen wir bekommen, deshalb lebt man wie so oft in solchen Projekten von Jahr zu Jahr. Als Wunschziele habe ich Kairo und Kigali angegeben. Beides fände ich super spannend, Ägypten ist natürlich ein Vorreiter in Afrika und Ruanda ist mit Sicherheit sehr anders geprägt.
Viel Erfolg weiterhin und vielen Dank für das Gespräch!
Ronja von Poschinger-Camphausen ist seit Oktober 2024 Associate im Bereich Arbitration und Litigation bei RSM Ebner Stolz in Hamburg. Außerdem engagiert sie sich in der African-German Arbitration Cooperation und trainiert regelmäßig Juristen in afrikanischen Ländern. Zuletzt war sie im März 2025 in Kenia.
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