Ein lächelnder Jurist vor einer Ziegelwand, der sich für Diversity und offene Queer-Identität in der Berufswelt einsetzt.
Jurist engagiert sich für Diversity

"Men­schen ermu­tigen, ihr Berufs­leben als offen queere Person zu gestalten"

Interview von Dr. Franziska Kring11. Dezember 2025, Lesedauer: 7 Minuten

Der Unternehmensjurist Kai Wörner war lange Anwalt und Diversity-Specialist in einer Großkanzlei. Im sehr persönlichen Interview schildert er, wie ihn eigene Erfahrungen und ein Soziologiestudium dazu gebracht haben.

LTO: Herr Wörner, Sie waren in diesem Jahr neben zwei anderen als "Rising Star of Change" des Karrierenetzwerks ALICE für LGBTIQA+-Jurist:innen nominiert. Seit Jahren engagieren Sie sich für Vielfalt und Gleichberechtigung. Wie kam es dazu?

Kai Wörner: Ich bin sehr früh mit Gleichheitsfragen konfrontiert worden und musste selbst Erfahrungen mit Diskriminierung machen. Ich bin in einem schwäbischen Dorf mit 120 Einwohner:innen aufgewachsen. In der Schule bin ich homophob angegangen worden, weil die anderen Kinder scheinbar spürten, dass ich queer bin, bevor ich es selbst wusste oder wahrhaben wollte. Deshalb habe ich mir schon früh gesagt, dass ich mich für Vielfalt und gegen Diskriminierung einsetzen möchte. 

Sie haben nach der Schule zunächst Jura studiert.

Ja. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Meine Eltern haben mich immer ermutigt, selbst zu entscheiden, was ich studieren möchte. Ich kannte niemanden, der Geisteswissenschaften wie Philosophie, Politik oder Soziologie studiert hat, eigentlich ging es immer nur um Medizin, Lehramt oder Jura. Da ich immer gerne geredet habe und gerne recht hatte, lag Jura nahe. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass das allein mich nicht erfüllt.

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"Während Auslandssemesters zu Identität gefunden"

Wie kam das?

Ich hatte ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung und habe mich dort unter anderem in der AG "Aufbruch Inklusion" engagiert. Dabei habe ich gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, mit Studierenden anderer Fachrichtungen zusammenzuarbeiten, von Geisteswissenschaften bis Naturwissenschaften.

Während eines Auslandssemesters in Paris habe ich zu meiner Identität gefunden. Mein inneres Coming-out hatte ich schon vorher, mein äußeres Coming-out dort. Ich habe vieles hinterfragt und mir auch gesagt, wenn mich ein geisteswissenschaftliches Studium so interessiert, muss ich damit jetzt oder nie beginnen. Also habe ich 2015 – da war ich im fünften Jura-Semester – einen Bachelor in Soziologie und Psychologie im Nebenfach angefangen. Nach sechs Wochen war ich so überzeugt, dass ich mein Jurastudium abbrechen wollte. 

Wieso haben Sie das nicht gemacht?

Wegen meines Stipendiums. Ich hätte nur bis zum dritten Semester den Studiengang wechseln können, ansonsten wäre die Förderung ausgelaufen. Auf das Geld war ich aber angewiesen. Ich habe Jura also durchgezogen – und durch diese Quervernetzung hat es mir viel mehr Spaß gemacht. Ich habe auch am Lehrstuhl für Verfassungsrecht bei Prof. Dr. Masing gearbeitet. Ich wollte das gesellschaftspolitische Jura kennenlernen und über Gerechtigkeitsfragen diskutieren.

"Erst zwei Fälle lösen, dann einen Text von Karl Popper lesen"

Das Jurastudium und insbesondere das Examen sind für sich genommen schon eine Herausforderung. Wie schafft man es, parallel noch ein Soziologiestudium durchzuziehen?

Natürlich war das eine anstrengende Zeit und ich konnte nicht bei jedem Treffen meiner Freund:innen dabei sein. Ich musste für mein Jurastudium lernen, parallel aber noch Hausarbeiten in Soziologie schreiben. Aber spätestens in der Examensvorbereitung wäre mir wohl irgendwann die Decke auf den Kopf gefallen, wenn ich jeden Tag nur in der Jura-Bibliothek gesessen hätte, ins Uni-Repetitorium gegangen wäre und meine Lerngruppen gehabt hätte. Ich brauchte die Abwechslung, zuerst zwei Examensfälle vorzubereiten, dann aber zur Belohnung einen Text des Philosophen Karl Popper zu lesen. Und das Soziologiestudium lief gut, das hat mir etwas den Druck genommen, denn ich wusste, dass ich einen Bachelor habe, auch wenn ich durchs Examen falle. So kam es dann aber nicht. Im Sommer 2018 habe ich mein erstes Examen gemacht und ein Semester später meine Bachelorarbeit geschrieben.

"Ich konnte mir nicht vorstellen, nur Anwalt zu sein"

Nach dem Referendariat und dem zweiten Staatsexamen sind Sie als Rechtsanwalt im Öffentlichen Wirtschaftsrecht und Diversity & Inclusion (D&I) Specialist bei Eversheds Sutherland in Düsseldorf eingestiegen. Sie waren damit wohl der erste D&I-Manager einer Großkanzlei, der gleichzeitig als Anwalt arbeitete. Wie kamen Sie auf die Idee?

Ich konnte mir nicht vorstellen, nur Anwalt zu sein und wollte beide Themen verbinden. Eines Abends, als ich mit meiner damaligen Mitbewohnerin in unserer Berliner Wohnung saß, kam mir die Idee, in einer Kanzlei einfach beides zu machen: Anwalt und D&I-Specialist. Ich bin dann auf Eversheds Sutherland zugegangen und die Kanzlei war offen für meinen Vorschlag.  

Welche Aufgaben hatten Sie als D&I Specialist? 

Ich habe die Diversity-Strategien und Maßnahmen mit erarbeitet. Wir haben für unsere Kolleg:innen und teilweise auch mit Mandant:innen oder NGOs und Verbänden Trainings, Workshops und Awareness-Kampagnen durchgeführt. Außerdem habe ich Change-Management-Prozesse zu inklusiver Führung begleitet, also Führung, bei der sich alle mitgenommen fühlen. Mein Ziel war es immer, ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Kolleg:innen gerne zur Arbeit gehen, sie selbst sein können und beruflich und persönlich das Beste aus sich herausholen können.

"In meinen ersten Praktika in Kanzleien gab es bewusst homofeindliche Äußerungen"

Auch wenn sich mittlerweile viel getan hat, erleben laut Daten von ALICE 27 Prozent der LGBTIQA+-Jurist:innen Diskriminierung im Job, aber melden dies nicht. Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie gemacht?

In meinen ersten Praktika in Kanzleien gab es bewusst transfeindliche und homofeindliche Äußerungen, sowohl hinter meinem Rücken als auch direkt mir gegenüber. Niemand hat eingegriffen oder Flagge gezeigt. Das war in den Jahren 2015 und 2016, also kurz bevor die Ehe für alle kam. Häufiger waren es unüberlegte oder uninformierte Fragen, die dennoch verletzen können. Einmal hat einer der Partner der Kanzlei eine Grillparty veranstaltet. Ich bin gefragt worden, ob ich meine Freundin mitbringe – damals war ich beruflich noch nicht geoutet. Die Frage war nett gemeint, hat mich aber überfordert. Alles, was ich in dem Moment hätte sagen können, hat sich falsch angefühlt. Ich habe nur "nee" geantwortet. Das war auch der Moment, in dem ich mich zum beruflichen Coming Out entschieden habe. Ich wollte mich mit solchen Fragen gedanklich nicht beschäftigen, wenn ich bei der Arbeit bin. 

Sie haben auch bei der Aktion "Gesicht zeigen" von ALICE mitgemacht, bei der sich mittlerweile über 100 queere Jurist:innen öffentlich outen. Was bedeutet diese Aktion für Sie?

Sehr viel. Ich möchte Menschen ermutigen, ihr Berufsleben als offen queere Person zu gestalten. Berufliche Outings werden in der Gesellschaft oft überschattet von Diskussionen um queere Fußballer oder Schauspieler. Es heißt immer, Outings seien schlecht fürs Geschäft oder fürs Mannschaftsklima und man schade sich damit nur selbst. Diese Diskussion betrifft nur einen sehr geringen Anteil der Arbeitswelt, ist aber trotzdem bestimmend. Heutzutage gibt es tausende Karrieren, in denen man geoutete Menschen trifft – und das auch in der konservativen Rechtsbranche. Wenn sich durch mein Engagement auch nur eine Person zu einem beruflichen Coming-out entscheidet, würde mich das sehr freuen.

Gerade nach den US-Sanktionen gegen Kanzleien mit Diversity-Programmen sind die Rechte queerer Menschen nicht nur in den USA in Gefahr. Was ist jetzt in Deutschland wichtig?

Weltweit gibt es immer mehr autokratisch regierende Despoten und rechtsnationale Regierungen und man hat das Gefühl, man kann gegen diesen Weltschmerz nichts tun. Man sollte sich aber darauf besinnen, welchen Einfluss wir auf die Menschen in unserem Umfeld haben können. Manchmal hilft die einfache Frage, wie es dem anderen geht. Wir arbeiten in der Rechtsbranche und werden oft als juristische Subsumtionsmaschinen bezeichnet, aber in erster Linie sind wir Menschen. Wir sind nicht machtlos, sondern können uns unterstützen und füreinander einstehen. Besonders von nicht-queeren Menschen wünsche ich mir, dass sie eingreifen, wenn sie Zeuge von Diskriminierung queerer Personen werden. Das gilt nicht nur im Alltag, sondern auch bei politischen Entscheidungen. Tut etwas, wenn Register für trans Personen eingeführt werden sollen, die erlauben, dass man ihre Identität wieder zu Dead Names zurückverfolgen kann. 

"Möchte für ein Unternehmen arbeiten, das eine klare Mission hat"

Beruflich sind Sie vor kurzem von der Kanzlei ins Unternehmen gewechselt und sind jetzt Senior Legal Counsel beim Grünen Punkt. Wie kam es dazu?

Der Anwaltsjob hat mir viel Spaß gemacht, aber ich habe mit der Zeit gemerkt, dass mir die Interdisziplinarität fehlt. Ich möchte nicht nur mit Jurist:innen zusammenarbeiten, sondern mit Menschen verschiedenster Disziplinen. 

Und ich wollte für ein Unternehmen arbeiten, das eine klare Mission hat. Dann hat sich die Möglichkeit bei Der Grüne Punkt ergeben, dem Pionier der Kreislaufwirtschaft in Deutschland. Schon bei Eversheds Sutherland war mein Steckenpferd das grundstücksbezogene und produktbezogene Umweltrecht, das heißt unter anderem das Batterie-, Verpackungs- und Abfallrecht. Deshalb passt Der Grüne Punkt sehr gut.

Welche Aufgaben haben Sie dort?

Ich bin erst seit zwei Monaten da. In der Zeit konnte ich aber schon an spannenden Projekten mitarbeiten, von klassischen Vertragsänderungen über die Aushandlung und Erarbeitung neuartiger Verträge in der Lieferkette fürs chemische Recycling hin zu Compliance-Assessments für neue Gesetze. Vor kurzem hatten wir zudem einen fachlichen Austausch mit einer Delegation aus Jordanien. Dort wurde ein Verpackungssystem gegründet, das ab 1. Januar 2026 an den Start geht.

Inwiefern werden Sie sich weiterhin für Diversity engagieren?

Zu meinem Tätigkeitsprofil gehören Diversity-Themen bei Der Grüne Punkt nicht – und ich möchte auch nicht direkt am Anfang einem Unternehmen mit bestehenden Strukturen erzählen, was aus meiner Sicht besser laufen müsste. Ich hatte im Sommer ein paar Wochen Urlaub, um die letzten Jahre zu reflektieren. Ich habe mir auch Gedanken darüber gemacht, wie ich meine Zeit künftig nutzen und was ich priorisieren möchte. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, mein Engagement für Diversity wieder gesellschafts- oder parteipolitisch einzubringen. Gerade fokussiere ich mich aber darauf, bei Der Grüne Punkt anzukommen und gemeinsam mit meinem Mann eine Wohnung in Köln zu finden.

Viel Erfolg dabei und vielen Dank für das Gespräch!

Kai Wörner hat Jura sowie Soziologie mit Psychologie im Nebenfach in Freiburg studiert. Nach dem Referendariat war er knapp vier Jahre lang Rechtsanwalt und Diversity & Inclusion Specialist bei Eversheds Sutherland in Düsseldorf. Seit Oktober 2025 ist er Senior Legal Counsel bei Der Grüne Punkt in Köln.

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