Zur Reform des Jurastudiums

"Der Bachelor ist kein Ver­lierer-Füh­r­er­schein"

Interview von Marcel SchneiderLesedauer: 6 Minuten

Die Debatte über eine bessere Juristenausbildung ist wieder in vollem Gange. Ein Gespräch mit Anne Sanders und Barbara Dauner-Lieb über Hausaufgaben für Jurastudierende, das Bachelor-Backup und die richtige Einstellung zum Staatsexamen.

LTO: Frau Professorin Sanders, Frau Professorin Dauner-Lieb, Sie beide setzen sich schon seit geraumer Zeit für eine bessere Juristenausbildung und mehr Unterstützung auf dem Weg zum Examen ein, zum Beispiel mit einem Ratgeber zum Lernen in der Coronakrise oder einem Examensspezial für den "Irgendwas mit Recht"-Podcast, das ab 1. März abrufbar ist. Aktuell werden wieder zahlreiche Reformvorschläge diskutiert - wo aber sehen Sie persönlich den drängendsten Änderungsbedarf?

Prof. Dr. Anne Sanders: Zum einen im System selbst: Das Jurastudium ist anspruchsvoll, gleichzeitig geht man ein hohes Risiko ein, wenn man sich dafür entscheidet. Gut fünf Jahre plus viele Monate Vorbereitungszeit auf das Examen, nach denen man, wenn man durchfällt, Abiturient mit Führerschein und Rechtskenntnissen ist. Das ist weder für die Menschen noch für unsere Gesellschaft gut.

Zum anderen brauchen wir eine Juristenausbildung, die wieder mehr zum Denken und weniger zum Auswendiglernen anregt. Natürlich ist über die Jahre immer mehr Examensstoff hinzugekommen, zum Beispiel über das Europarecht. Klausurtaktik, Definitionen und so weiter werden immer eine Rolle spielen. Wenn Studenten aber glauben, das Examen nur durch stures Pauken erfolgreich bestehen zu können und nicht mehr mit Systemverständnis und logischem Denken, läuft definitiv etwas falsch.

Ihre Kollegin, die Professorin Ingeborg Puppe, sprach einmal davon, dass die Universitäten statt Juristen vielmehr "Klausurologen" ausbildeten...

Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb: Ein aktuelles Beispiel sind die Examensklausuren aus dem Dezember 2020 in NRW: Fünf Seiten Sachverhalt in einer Klausur! Das Staatsexamen muss verändert, Klausuren müssen anders gestellt werden. Da ergänzen eine gute Handvoll Aufgabensteller den Sachverhalt um immer mehr Details und am Ende sind wir bei 20 Seiten Musterlösung.

Womit wir beim nächsten Thema wären: Wir müssen bewusster korrigieren. Es gibt viele Korrektoren, die sind mit Herzblut bei der Sache und beschäftigen sich mit jeder einzelnen Examensklausur im Detail. Es gibt aber auch so manchen, der vergessen hat, wie es sich anfühlt, das Examen zu machen; da wird nur noch anhand der Lösungsskizze abgehakt und bewertet. Unter anderem so entstehen die nicht selten massiven Bewertungsunterschiede, wo ein und dieselbe Klausur mal "ausreichend", mal "vollbefriedigend" bewertet wird.

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"Viele ausgefeilte Reformvorschläge finden sich später in der Gesetzgebung nicht mehr wieder"

2003 gab es mit der Einführung des Schwerpunktbereichsstudiums die bisher letzte große Reform der Juristenausbildung, dann geschah lange nichts. 2016 hat der von der Justizministerkonferenz beauftragte Koordinierungsausschuss zur Reform der Juristenausbildung mit seinem Grundsatzpapier die Debatte wieder angestoßen. Nun endlich, Anfang dieses Jahres, gibt es einen Reformentwurf aus dem Bundesjustizministerium. Warum dauert das bei uns Juristinnen und Juristen so lange, warum tun wir uns mit Neuerungen so schwer?

Dauner-Lieb: Der Berg kreißte und gebar einen Floh: Da gab es so viele konstruktive Ideen und ausgefeilte Reformvorschläge, die finden sich in der Gesetzgebung später kaum oder gar nicht wieder. Die Ministerien und Prüfungsämter verheddern sich stattdessen im Fokus auf die Chancengleichheit bei den Prüfungsmodalitäten, so als hätten sie Angst, dass die Studierenden bald scharenweise zu den Verwaltungsgerichten rennen und ihre Prüfungen anfechten. Natürlich sind Vereinheitlichung und damit Vergleichbarkeit wichtig. Aber vieles andere, was man am Jurastudium einmal grundlegend verbessern könnte, darf nicht unter den Tisch fallen.

Und dann ist da ja noch dieses altbekannte Motto: "Weil die Alten gelitten haben, müssen die Jungen jetzt auch da durch."

Sanders: Ein Kollege nannte das einmal "erwartete Erwartungshaltung": Im Jurastudium spürt man schnell diese Art Geist, so als ob man erst einmal leiden müsse, bevor das Juristenleben dann irgendwann Spaß macht. Die ersten Klausuren und Hausarbeiten, Zwischenprüfung, dann Scheine sammeln, dann zum Repetitor, dann das gefürchtete Examen – viele, die in dieser Mühle stecken, hinterfragen das schon gar nicht mehr.

"Mehr Professorinnen und Professoren müssen im Examen prüfen"

Was könnte man denn schnell ändern, ohne jetzt auf die große Reform zu warten?

Sanders: Auf jeden Fall müssten mehr Professorinnen und Professoren im Examen prüfen. Wenn wir den Eindruck verschwinden lassen wollen, dass stupides Auswendiglernen der Schlüssel zum Examenserfolg ist, dann müssen auch die Leute, die das Wissen, Denken und Systemverständnis an der Uni vermitteln, das entsprechend abfragen.

Dauner-Lieb: Volle Zustimmung. Und die Praktiker müssen davon wegkommen, in der mündlichen Prüfung Details ihres speziellen Rechtsgebietsabzufragen, nur weil das laut Studienplan irgendwann einmal am Rande einer Vorlesung thematisiert worden ist.

Sanders: Auch den Bachelorabschluss verknüpft mit dem klassischen Studiengang Rechtswissenschaften könnten die Unis vergleichsweise schnell auf den Weg bringen. Ob der jetzt automatisch integriert ist wie etwa an der Bucerius Law School in Hamburg oder ob man die Option anbietet, das Examen an den Bachelor sozusagen dranzuhängen, wie das an der Uni Mannheim möglich ist, wäre dann noch eine Frage der Ausgestaltung. Aber: Bachelor heißt natürlich nicht, dass das Examen abgeschafft werden sollte!

Dauner-Lieb: Wichtig wäre dabei, den Bachelor of Laws nicht als Verlierer-Führerschein zu sehen, im Gegenteil: Die Zeiten, in denen jeder zwei Examen macht, sind vorbei. Vielleicht würde der eine oder andere Kandidat nach dem Bachelor auch sagen: "Okay, das genügt mir, ich setze noch einen ausgewählten Master oben drauf und widme mich anderen beruflichen Interessen." Das wären tolle Flexibilisierungsmodelle, die gleichzeitig den Druck nehmen, als Durchfaller nach misslungenem Examen mit Nichts dazustehen.

Sanders: Ich halte auch verpflichtende Arbeitsgemeinschaften für eine gute Idee, in denen die Kandidaten regelmäßig Hausaufgaben erledigen müssen, die auch kontrolliert werden. Man muss die Leute von Anfang an mehr an die Hand nehmen.

"Viele verlieren den Anschluss - und dann wirkt das Examen noch einschüchternder"

"An die Hand nehmen" und "Hausaufgaben" - das klingt sehr nach Schule.

Dauner-Lieb: Natürlich beißt sich das mit dem Selbstverständnis und dem Leitbild des Selbststudiums an der Universität. Die Studierfähigkeit von Abiturientinnen und Abiturienten nimmt aber stetig ab, darauf muss man reagieren – und zwar gerade das Jurastudium, das am Ende nur eine einzige umfassende Prüfung hat und keine regelmäßigen, notenbestimmenden Prüfungen kennt, wie sie im Bachelor-Master-System vorgesehen sind.

Sanders: Selbstverständlich müssen Studierende Eigenverantwortung übernehmen. Aber wenn sie vom ersten Semester dazu gebracht werden, dann merken gerade die Studierenden, die nicht aus einer Akademikerfamilie kommen, dass kontinuierliches Mitarbeiten entscheidend für den Erfolg ist. Nicht wenige verlieren im Laufe des Studiums den Anschluss - und dann wirkt das Examen am Ende noch einschüchternder, als es ohnehin schon wahrgenommen wird. Das passende Mindset, dass man für ein gutes Examen kein Genie sein, aber von Anfang an mitarbeiten und mitdenken muss, kann man sich fürs Jurastudium nicht früh genug zulegen.

Unter anderem darum geht es auch in ihrem Buch "Recht aktiv – Erfolgreich durch das Examen", das Sie beide verfasst haben und das nun erschienen ist. Eine der zahlreichen Messages darin lautet: Das Examen ist kein Hexenwerk.

Sanders: Genau. In dem Buch gibt es zwar auch konkrete Ratschläge fürs Lernen, Klausurtaktik und so weiter. Die stammen nicht nur von uns, sondern auch von über 175 erfolgreichen Examensabsolventen, die wir groß angelegt befragt und die ihre Tipps gern weitergegeben haben. Es geht aber auch vor allem darum, zu realisieren, dass das Examen eine echte Herausforderung ist, aber eben eine machbare.

Dauner-Lieb: Wir wollen mit unserem Buch erreichen, dass die Leute weg von dem Gedanken kommen, alles auswendig lernen zu müssen. Das fördert sowieso nur das Mittelmaß. Der Sprung zum Vollbefriedigend oder besser ist ohne selbstständiges Denken nicht zu schaffen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Anne Sanders, M. jur. (Oxford) ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht, das Recht der Familienunternehmen und Justizforschung an der Universität Bielefeld.

Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb hat den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht und Europäische Privatrechtsentwicklung an der Universität zu Köln inne.

Das Buch der beiden Gesprächspartnerinnen "Recht aktiv – Erfolgreich durch das Examen" erscheint am 1. März im Reguvis-Verlag. LTO verlost fünf Exemplare. Wer am Gewinnspiel teilnehmen möchte, sendet bis Freitag, 5. März 2021 eine Mail mit dem Betreff "Gewinnspiel" und seiner bzw. ihrer Adresse an redaktion@lto.de. Bitte beachten: Zwecks Versand geben wir die Kontaktdaten der Gewinner:innen an den Verlag weiter.

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