Konzernanwältin wechselt in die Kunst

"Mein Van ist mein mobiles Kun­s­ta­te­lier"

Interview von Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

Corinna-Rosa Falkenberg war lange Projektleiterin bei Siemens. Jetzt ist sie auch Künstlerin und malt in ihrem selbst ausgebauten Van. Im Interview erzählt sie, wie sie dazu kam und wieso sie trotzdem immer wieder Jura studieren würde.

LTO: Frau Dr. Falkenberg, Sie waren zwölf Jahre internationale M&A Projektleiterin bei Siemens und haben milliardenschwere Transaktionen begleitet. Jetzt haben Sie eineinhalb Jahre "Business Detox" hinter sich. Gegensätzlicher geht es wohl kaum.

Corinna-Rosa Falkenberg: Ja, tatsächlich waren auch viele in meinem Umfeld schockiert, als ich von meinen Plänen erzählt habe. Es war eine spannende Zeit bei Siemens, ich konnte viele große Deals mitbegleiten. Ich habe aber immer mehr gemerkt, dass es Zeit für etwas Neues wurde.

Seit meinem Studium war alles sehr eng getaktet: Promotion, LL.M. an der Sorbonne in Paris, dann Jobs bei den Vereinten Nationen, der Deutschen Bank und zum Schluss bei Siemens. Gerade im M&A geht es viel um Effizienz und Produktivität. Ich spürte, dass ich raus musste aus dem engen Korsett eines Großkonzerns, um stattdessen in der Unsicherheit Freiheit zu erfahren. 

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"Ich habe selbst einen Sprinter ausgebaut"

Was haben Sie in den eineinhalb Jahren gemacht? 

Um nicht in ein Loch zu fallen, bin ich sofort auf Reisen gegangen und habe unter anderem in Dörfern auf Bali, in Guatemala und in Peru gelebt und mich in Seminaren und Workshops ausprobiert – sozusagen ein Gegenpol zu M&A. Das waren auch keine Pauschalreisen, ich wollte die ungefilterte Realität. Dazu gehörte leider auch, dass ich sehr schweres Dengue-Fieber in Honduras bekommen habe und fast gestorben wäre, weil ich erst nach vier Tagen einen Arzt fand. Aber aus diesen Erfahrungen lernt man, ich habe keine Angst vor der Zukunft mehr. Kurz darauf habe ich einen Welpen aus Griechenland adoptiert. 

Ich habe kaum noch Zeit vor dem Computer verbracht und stattdessen viel gemalt, Bücher geschrieben, Workshops, Zeremonien und Lesungen gegeben. Und ich habe in vier Monaten einen Mercedes Sprinter selbst ausgebaut. Der Sprinter ist jetzt mein mobiles Kunstatelier, in dem ich kleine Zeichnungen mache, wenn ich auf Reisen bin. 

Ausbau des Sprinters

Was nehmen Sie ansonsten aus der Zeit mit?

Definitiv eine große innere Freiheit und Klarheit, wer ich bin und was ich will. Ich will mich nicht mehr nur für eine Sache entscheiden, sondern liebe die Abwechslung. Ich bin Projektmanagerin und M&A-Expertin, aber auch Achtsamkeitstrainerin, Autorin und Künstlerin. 

Und ich bin viel ruhiger und gelassener geworden und habe gelernt, mit Ablehnung umzugehen und trotzdem weiterzumachen. Ein Beispiel: Relativ zu Beginn meiner Auszeit hatte ich die Möglichkeit, auf einem gut besuchten Flohmarkt eine Lesung zu geben. Die Menschen waren aber alle damit beschäftigt, die besten Schnäppchen zu machen. Mir hat niemand zugehört. Ich habe mich aber entschieden, trotzdem 90 Minuten lang voller Inbrunst meine Gedichte vorzutragen. Das war natürlich sehr deprimierend. Gleichzeitig aber auch eine wichtige Erkenntnis, das Ego zu zügeln. Mittlerweile kommen viele Leute zu meinen Lesungen und Ausstellungen, und ich habe meine ersten Kunstwerke sehr gut verkauft.

"Wegducken war für mich nie eine Option"

Was hat Sie am M&A-Bereich fasziniert? Auf den ersten Blick passt das ja nicht zu Ihrer kreativen Ader.

Tatsächlich muss man kreativer sein, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint, gerade wenn es um strategische Unternehmensentwicklung geht. Auch den internationalen Bezug fand ich sehr spannend. Ich habe früher schon viel im Ausland gelebt und bei Siemens konnte ich Projekte unter anderem in Russland, Aserbaidschan und Algerien leiten.

Wegducken war für mich noch nie eine Option. Ich suche mir immer neue Herausforderungen und akzeptiere Dinge nicht einfach, sondern frage kritisch nach – und das muss man bei großen Deals auch. Auch die Zusammenarbeit mit vielen unterschiedlichen Menschen schätze ich sehr.

Sie arbeiten auch ehrenamtlich mit Menschen zusammen. Sie haben etwa eine NGO gegründet, die sich für Bildungsgerechtigkeit einsetzt. Wie kam es dazu?

Auf meinen Reisen habe ich immer wieder gesehen, wie viele Kinder keinen Zugang zu Bildung haben. Ich dachte: Das kann ich wenigstens für einige junge Menschen ändern. Deshalb habe ich den Verein "Stella Bildung Bewegt e.V." im Jahr 2008 ins Leben gerufen. Wir bauen zum Beispiel Schulbibliotheken in Indien und Indonesien auf und beraten NGOs vor Ort und konnten so schon mehr als 6000 Menschen helfen. Ich organisiere auch Spendengalas, damit wir unsere Projekte finanzieren können. Ich finde, wir alle haben eine Verantwortung, uns für weniger privilegierte Menschen einzusetzen. Mich hat das Ehrenamt gerade in meiner anstrengenden Karrierezeit immer sehr geerdet. Die Kunst hatte ich in der Zeit leider aus dem Blick verloren.

"Alles, was ich tue, zielt auf mentale Freiheit – auch meine Kunst" 

Jetzt nimmt die Kunst wieder viel Raum in Ihrem Leben ein. Sie malen, schreiben Bücher, fotografieren – woher kommt Ihre Begeisterung für Kunst?

Erst während meiner Auszeit wurde mir klar: Die Kunst half mir schon in jungen Jahren, dem Alltag und den Konventionen meiner Erziehung zu entfliehen. Mit großer Leidenschaft malte und zeichnete ich bereits als Kind. Ich komme aus einem kleinen Dorf nahe Memmingen im Allgäu. Alles spielte sich im Dorf ab, der Austausch mit anderen Menschen fand samstags beim Kaffeetrinken mit den Nachbarn statt. Hierzu passt ein Satz aus meinem letzten Buch: "Ich bin groß geworden in einem Umfeld, in dem die Mütter sich wünschten, dass ihre Töchter unsichtbar werden." Doch ich war laut, präsent und habe immer schon meine Meinung gesagt. 

Schon als Jugendliche wollte ich die Welt verstehen und hinaus in die Ferne. Die Kunst war dabei mein ständiger Begleiter. Als kleines Mädchen saß ich mit meinem Großvater im Garten und wir haben Blumen und Blüten gezeichnet. Er hat mir die Augen für die Schönheit des schöpferischen Aktes geöffnet und dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Beim Malen

Wie würden Sie Ihre Kunst beschreiben, was malen Sie?

Allem, was ich tue, liegt der Gedanke zugrunde, die mentale Freiheit zu erforschen – auch meiner Kunst. Viele meiner Bilder sind sehr bunt. Ich male großflächig auf Leinwand und mische Farben. Ich probiere gerne Neues aus. Am liebsten mag ich es, eine weiße Leinwand vor mir zu haben und aus dem Nichts etwas Neues zu kreieren und mich selbst mit dem Ergebnis zu überraschen. Gerade experimentiere ich mit Cashew-Milch und Farbpigmenten. 

Sehr gerne male ich aber auch Porträts. Ich habe zum Beispiel eine Bilderreihe, die sich "bites and tarts" nennt, das sind Bilder auf Tortentellern. Ich war im Van unterwegs und hatte kein Aquarellpapier dabei und im nächsten Supermarkt gab es nur Tortenteller. Darauf habe ich dann die Menschen gemalt, denen ich auf meinen Reisen begegnet bin. So ist eine ganze Reihe von Porträts entstanden.

"Mehr Raum für Experimente und Zufälle"

Wie geht es jetzt beruflich für Sie weiter? Welche weiteren Ziele haben Sie?

Klar für mich ist, dass ich in keine große Struktur zurück möchte, sondern mich weiter auf Projektarbeit und Beratung konzentrieren werde. Aktuell berate ich Unternehmen im Mobility- und Energy-Bereich. Dazu habe ich verschiedene Beiratsmandate inne. Das möchte ich beibehalten und ausbauen.

Die Kunst wird weiterhin eine große Rolle in meinem Leben spielen. Im Dezember darf ich meine Bilder in der Galerie der Kunstakademie München ausstellen. Normalerweise ist das den Absolventen der Kunstakademie vorbehalten, deshalb freue ich mich als Quereinsteigerin umso mehr. Außerdem schreibe ich gerade an meinem fünften Buch.

Würden Sie rückblickend an Ihrer beruflichen Laufbahn etwas anders machen?

Ich hätte auf jeden Fall noch einmal Jura studiert. Das sorgt für Klarheit und Struktur im Denken und für Disziplin im Leben. Aber ich würde versuchen, meine Kunst nicht so zu vernachlässigen. Leider habe ich sehr früh Pinsel und Leinwände gegen Verhandlungen und Business Meetings eingetauscht. Das würde ich jetzt anders machen und mir deutlich mehr Raum für Experimente und Zufälle lassen. Das Gefühl der Freiheit ist mir heute beinahe jedes Risiko wert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Corinna-Rosa Falkenberg war seit Januar 2011 als M&A-Projektleiterin bei Siemens tätig. Ab Januar 2023 machte sie einen "Business Detox". Seitdem arbeitet sie vor allem als Künstlerin, berät aber auch weiterhin Unternehmen im Mobility- und Energy-Bereich und hat verschiedene Beiratsmandate.

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