Als deutsche Anwältin in Kasachstan

Zwi­schen Büro­k­ratie und Clan-Tra­di­tion

Gastbeitrag von Claudia von SelleLesedauer: 5 Minuten

Claudia von Selle vertritt eine Wirtschaftskanzlei, die vor zwei Jahren ein Büro in Kasachstan eröffnet hat. Sie berichtet von Herausforderungen in der Kommunikation mit den dortigen Behörden – und kulturellen Besonderheiten des Landes.

Haben Sie schon einmal Ihre Hand in einen Goldfluss gehalten? Oder können Sie sich vorstellen, in einer Hauptstadt zu leben, die im Sommer mit bis 40 Grad und im Winter bis 50 Grad unter null bei unberechenbaren Steppenstürmen nur hartgesottenen Einwohnern auf Dauer ein Wohlfühlambiente zu vermitteln mag?

Seit 20 Jahren war ich in Berlin und Paris als Rechtsanwältin im deutschen internationalen Wirtschaftsrecht tätig. Eine Ausweitung meiner Beratungstätigkeit nach Russland, Zentralasien und China war jedoch lange mein Ziel.

Dem Berliner Büro unserer Kanzlei gelang es vor fünf Jahren endlich, einen anwaltlichen Fuß in die gigantische Neue Seidenstraße zu setzen, einem Investitionsprogramm, das neue Infrastrukturverbindungen zwischen Europa, Asien und Afrika schaffen soll. Alles Weitere folgte in nahtloser und logischer Konsequenz. Zunächst berieten wir chinesische Investoren für ein Logistik-Hub in Brandenburg.

Zwangsläufig tauchte in der Folge die Frage auf, ob wir die Koordination der Anschlussprojekte im Bereich Logistik in Kasachstan übernehmen könnten. Denn: Auf dem Weg zwischen Europa und China fahren die Züge auch durch Kasachstan. Diese Anfrage fiel genau in den Zeitpunkt des Jahres 2019, zu dem das erste und in Zentralasien einzige internationale Finanzzentrum, das Astana International Financial Center (AIFC), seine Tätigkeit aufnahm.

Zuvor hatten wir für westliche Investoren bereits Rohstoff-Projekte in Kasachstan und Russland (Sibirien) vor Ort besichtigt, mit den Behörden und Eigentümern verhandelt und die Vorhaben bewertet. Das AIFC arbeitet innerhalb Kasachstans auf der Grundlage einer eigenen, common-law-basierten Jurisdiktion. Diese Struktur überzeugte uns derart, dass wir entschieden, dort ein eigenes Büro zu eröffnen.

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Die Vorbereitung der Tätigkeit in Kasachstan

Wer als Anwalt oder Anwältin in Kasachstan tätig sein will, benötigt eine persönliche kasachische Steuernummer. Im Jahre 2019 war hierfür noch die Anwesenheit im Land erforderlich. Covid-19 hat erhebliche Erleichterungen verschafft: Nunmehr ist eine Registrierung am AIFC online möglich.

Im Anschluss folgt die Entscheidung, ob eine "innerkasachische" Gesellschaft oder eine AIFC-Gesellschaft gegründet werden soll – ob also die Vorteile einer etablierten Gesellschaft nach kasachischem Recht genutzt werden sollen oder die höhere internationale Verlässlichkeit einer Gesellschaft nach AIFC-Recht. Steuerliche Vorteile gibt es für beide Formen, jedenfalls im Bereich der Inlandsinvestitionen.

Maßgeblich ist, wo der Schwerpunkt der Aktivität gesehen wird: Soll die Gesellschaft länderübergreifend im Netzwerk der AIFC-Mitglieder tätig werden oder vor allem in Kasachstan? Ebenfalls von Bedeutung ist, ob mit kasachischen Partnern kooperiert wird oder – zunächst möglicherweise mangels Netzwerkes – eine reine "Ausländerbesetzung" gewählt wird. Der Geschäftsführer einer innerkasachischen Gesellschaft muss entweder kasachischer Nationalität sein oder über ein Arbeitsvisum verfügen.

Wir haben uns für beide Varianten entschieden. Die Gründung einer kasachischen GmbH ist unkompliziert und hängt nicht von einem bestimmten Stammkapital ab. Die Tücken liegen vielmehr in der Kommunikation mit den örtlichen Behörden bei der peniblen Einhaltung von Berichtsfristen. Die Konsequenzen von Fehlern können für Ausländer empfindlich sein – im schlimmsten Fall droht ein Verbot der Einreise.

Erheblich aufwendiger ist die Gründung einer Gesellschaft am AIFC. Für die zu wählende Rechtsform ist der Tätigkeitszweck entscheidend. Grundsätzlich stehen die Limited, die Partnership, die Non-Profit Organisation und die Foundation zur Auswahl. Es können sowohl bestehende juristische Personen am AIFC registriert als auch neue gegründet werden.

Strenge Vorgaben zur Geldwäschebekämpfung

Für Rechtsberatungsleistungen wird in Kasachstan eine ausdrückliche Zulassung benötigt, die sogenannte Astana Financial Service Authority (AFSA)-Lizenz. Die Lizenzerteilung ist an strenge Vorgaben im Hinblick auf interne Anti Money Laundering (AML, übersetzt Geldwäschebekämpfung)-Richtlinien, Weiterbildung, Dokumentation und Reporting geknüpft. Für die Gesellschaft muss ein AML Officer bestellt werden, der eine entsprechende Qualifikation nachweisen muss.

Der Aufwand der Gesellschaftsgründung und Lizenz-Beantragung war für uns erheblich, aber lohnend. Durch die hohen Anforderungen haben wir uns auch für unsere Tätigkeit in Deutschland mit internen Verfahrensabläufen und Kontrollen im Bereich der Geldwäschebekämpfung befassen müssen – für kleinere Kanzleien regelmäßig ein größerer Sprung als für Großkanzleien.

Die fast ausschließlich kasachischen Mitarbeiter des AIFC bieten Unterstützung im Registrierungsprozess. Gleichwohl kann die fehlende internationale Erfahrung im Arbeitsablauf eines Finanzzentrums zu nervenaufreibenden und mitunter grotesken Gesprächssituationen führen.

Uns ereilte das Schicksal etwa bei der Anerkennung der Qualifikation unseres AML Officers, der Autorin dieses Beitrags, die über zehn Jahre Senior Advisor des Basel Institute on Governance war. Dass das Institut seit Jahrzehnten die Grundlagenarbeit im Bereich AML international mitgestaltet bzw. initiiert hatte und sogar mit der kasachischen Regierung zusammenarbeitet, war den Mitarbeitenden am AIFC nicht bekannt. Auch die Wolfsberg-Prinzipien, die von elf der größten international tätigen Banken zur Bekämpfung der Geldwäsche aufgestellt worden sind, kannten sie nicht, obwohl diese auf der Webseite des AIFC als Referenz genannt sind.

Clan-Tradition in Kasachstan macht Investoren das Leben schwer

Für Spezialisten im Bereich Investment, Legal Management und Projektentwicklung ist Kasachstan ein lukrativer Standort – insbesondere in den Wirtschaftszweigen Rohstoffe, Energie, Logistik, Landwirtschaft und Infrastruktur. Deutschland genießt in Kasachstan den Bonus als Wirtschaftspartner. Leider kann dieses Wohlwollen nicht als gegenseitig bezeichnet werden, immerhin haben beide Staaten aber im Jahr 2019 nach fast zehn Jahren Stillstand ihre Wirtschaftsbeziehungen intensiviert.

Die kasachische Gesellschaft ist eine Nomadenkultur von nur 16 Millionen Einwohnern in einem neunmal so großen Land wie Deutschland. Traditionell sehr versiert als Transitland der großen Nachbarn Russland, China, Indien und Europa, können die Kasachen als großartige Gastgeber verschiedene Kulturen in Ausgleich bringen. Gleichzeitig sind sie sehr offen für Innovationen. Das AIFC ist dafür ein beredtes Zeugnis und keinesfalls zufällig in Kasachstan als wichtigster Wirtschaftsnation in Zentralasien angesiedelt.

Die eigentliche Referenz am Ende ist jedoch eine Balance zwischen den verschiedenen jahrhundertealten Clans. Dies führt zum berühmt-berüchtigten "Behördenkreisel" – Minister wechseln teilweise im Drei-Monats-Rhythmus. Für Investoren sind jegliche ministerielle Zusicherungen daher relativ.

Hinzukommt, leider, die starke Tendenz kasachischer Joint-Venture-Partner, den ausländischen Partner komplett aus einem Projekt zu drängen, je erfolgreicher es sich entwickelt. Spiegelbildlich dazu steht ein starker kasachischer Stolz, der sich am Anfang von Kooperationen darin äußert, alles in jedem Fall besser zu wissen. Wie viele ausländische Finanzierer am AIFC mussten auch wir feststellen, dass ca. 90 Prozent aller vorgestellten Projekte nicht in einem Maße durchgearbeitet waren, dass sie Investoren unterbreitet werden konnten.

Den Blick nach Kasachstan richten

Kasachstan hat in Pandemie-Zeiten vieles gesetzlich auf den Weg gebracht, um seinen Platz als Investorenland zu stärken. Das deutsche Netzwerk in Kasachstan ist überschaubar, funktioniert gut und ist ein wesentlicher Garant für erfolgreiches Arbeiten.

Die Europäische Union hat Kasachstan ebenfalls in eine neue Priorität der Zusammenarbeit und Förderung gehoben. Trotz der Eigenheiten, die Kasachstan wie jedes andere Land aufweist, lohnt sich eine Öffnung des anwaltlichen Blickes in Richtung Zentralasien.

Dank der historisch starken Position der kasachischen Frau in der Nomadenkultur ist es für eine Anwältin kein Problem, in Kasachstan gleichberechtigt am Verhandlungstisch zu sitzen – einen gewissen und nachvollziehbaren Respekt für kulturelle Gepflogenheiten vorausgesetzt.        

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