Eine nachdenkliche Frau lächelt, symbolisiert den Austausch von Ideen und das Lernen zwischen Europa und Afrika.
Vorständin bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit

"Wir in Europa können viel von Afrika lernen"

Interview von Vanessa Meilin Rolke17. Dezember 2025, Lesedauer: 6 Minuten

Anna Sophie Herken ist Mitglied des GIZ-Vorstands. Im Interview erzählt sie von den Hürden für Frauen in Führungspositionen, der Innovationsfreude junger Menschen in Afrika und ihrem Antrieb bei der Arbeit.

LTO: Frau Herken, Sie sind Juristin und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), vorher waren Sie u.a. bei der Weltbank in Washington, beim Generalsekretariat der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London und bei der Allianz Asset Management GmbH. Weshalb haben Sie sich gegen die "klassische" Karriere in einer Kanzlei oder in der Justiz entschieden?

Anna Sophie Herken: Es war für mich nie eine Entscheidung gegen die klassische juristische Laufbahn. Mir hat Jura immer Spaß gemacht. Aber ich war auch schon immer sehr an internationalen und gesellschaftlichen Themen interessiert, etwa globaler Gerechtigkeit. Ich gestalte gerne aktiv und setze Ideen in konkrete Projekte um. Das hat mich Schritt für Schritt in sehr verschiedene berufliche Kontexte geführt – zunächst in internationale Organisationen und die Bundesregierung, später auch in die Privatwirtschaft. Aber in allen Stationen habe ich mein Jurastudium als wichtige Grundlage nutzen können. Die analytische Klarheit und die strukturierte Herangehensweise prägen meine Arbeitsweise bis heute. 

Welche Aufgaben haben Sie bei der GIZ?

Als Mitglied des dreiköpfigen Vorstands beschäftige ich mich zum einen mit der digitalen Transformation unserer Organisation. Daneben bin ich aber auch Vorständin für operative Bereiche wie Afrika und den Bereich International Services. Gemeinsam mit Regierungen, Unternehmen, Start-ups und zivilgesellschaftlichen Organisationen versuchen wir, Programme zu entwickeln, die in den Bereichen wirtschaftliche Entwicklung, Energie, Ernährungssicherung, Beschäftigung und Governance substanzielle Fortschritte ermöglichen. Und als Juristin freue ich mich natürlich, auch die Bereiche Recht, Versicherung und Revision zu verantworten. 

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"Wir müssen grundlegend neu auf Afrika blicken"

Was liegt Ihnen bei Ihrer Arbeit besonders am Herzen?

Mich beschäftigt besonders, wie wir junge Talente und Unternehmertum in Afrika stärken können. Afrika ist der jüngste Kontinent der Welt: Rund 60 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre, und bis 2050 wird sie auf über 2,5 Milliarden Menschen anwachsen. Schon heute zeigt sich, welches Potenzial in dieser Generation steckt: eine lebendige Start-up-Szene, mehrere Tech-Unicorns und digitale Lösungen, die mit bemerkenswerter Geschwindigkeit, Pragmatismus und Kreativität entstehen. In Europa können wir viel davon lernen. 

Wir müssen grundlegend neu auf Afrika blicken: nicht als Empfänger von Unterstützung, sondern als Partner. Afrika ist kein "Follower" – in vielen Bereichen sehen wir enorme Innovation und echtes "Leapfrogging": Technologien, die Entwicklungsstufen überspringen und ressourcenschonender, effizienter und oft skalierbarer sind als etablierte Modelle im globalen Norden. Ob digitale Gesundheitsdienste oder neue Ansätze für Landwirtschaft und Klimaresilienz – vieles davon zeigt Wege auf, die weltweit relevant sind. 

Entscheidend ist, dass junge Menschen die Rahmenbedingungen vorfinden, um ihre Ideen umzusetzen: Zugang zu Kapital, zu Wissen, zu Märkten und zu Technologie. So entstehen Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen, Innovation treiben und ganze Regionen wirtschaftlich stabilisieren können. 

"Unsere Arbeit verändert sichtbar etwas"

Was macht Ihnen an Ihrem Job am meisten Spaß?

Besonders inspirierend ist für mich der Austausch mit unseren Kolleginnen und Kollegen weltweit. Die GIZ hat überall eine starke Präsenz vor Ort. Dieses Wissen aus erster Hand – was Menschen bewegt, was funktioniert und wo Herausforderungen liegen – ist unbezahlbar. 

Ich schätze auch die Vielfalt unserer Themen. Da viele Entwicklungen rasant verlaufen, ist kein Tag wie der andere. Das fordert uns und eröffnet auch immer wieder neue Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen und Dinge voranzubringen. 

Und unsere Arbeit verändert sichtbar etwas: durch stärkere Institutionen, bessere Dienstleistungen oder Programme, die Menschen neue Perspektiven eröffnen. Dieser unmittelbare Bezug zur Realität treibt mich am meisten an. 

Sie haben durch Ihre Arbeit schon in verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet. Wo hat es Ihnen am besten gefallen?

Das ist schwer zu sagen. In den USA und UK hat mir die "just do it"-Mentalität sehr gefallen. Ich finde es toll, wenn auf neue Ideen erstmal mit Begeisterung und Offenheit reagiert wird, da ich selber auch schnell zu begeistern bin. Ich habe sehr gerne in Indien und China gearbeitet und viel lernen können – diese Energie, neue Technologien zu probieren. Und ich liebe natürlich den afrikanischen Kontinent.  Von meiner Arbeit dort habe ich so viel Inspirationen und innovative Ansätze mitgenommen und Lösungen die oft schneller, mutiger und näher am tatsächlichen Bedarf sind, als wir es aus Europa kennen. 

Gleichzeitig merke ich, wie stark mich meine schwedischen Wurzeln prägen. Immer wenn ich Zeit in Schweden verbringe, fällt mir auf, wie selbstverständlich Gleichstellung dort gelebt wird: Elternzeit wird partnerschaftlich geteilt, flexible Arbeitsmodelle sind die Norm und Kinderbetreuung ist flächendeckend verfügbar. Schweden liegt seit Jahren an der Spitze des EU-Gender-Equality-Index und erreichte 2024 einen Wert von 82,0 Punkten; Deutschland liegt hingegen bei 72,0 Punkten. Und auch beim Frauenanteil in Führungspositionen steht Schweden deutlich besser da – 2024 waren es 44,4 Prozent, in Deutschland waren es 29,1 Prozent. In den Vorständen der 160 börsennotierten Unternehmen in Deutschland ist aktuell nur etwa jeder fünfte Posten mit einer Frau besetzt. Bei Neubesetzungen sind es sogar nur rund 20 Prozent.

"Vielen ist gar nicht bewusst, wie unmodern unsere Strukturen sind"

Sie selbst haben bereits einige Führungspositionen innegehabt, in meist männlich dominierten Branchen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich habe oft erlebt, dass Organisationen stark von altmodischen Strukturen und Rollenbildern geprägt sind. Sowie von Netzwerken und Entscheidungswegen, die nicht automatisch Vielfalt fördern. Manchmal zeigt sich das subtil: wessen Stimme zuerst gehört wird oder wer selbstverständlich als "führungserfahren" gilt. 

Als ich mit zwei Kleinkindern zurück nach Deutschland kam, fiel mir das besonders auf. Wir alle haben unbewusste Vorurteile und ich glaube, dass vielen gar nicht bewusst ist, wie unmodern unsere Strukturen sind. Wieso nehmen die Männer hier so wenig Elternzeit, wieso machen die Kitas und Schulen so früh zu? Wieso gilt in den meisten Organisationen immer noch die Präsenzkultur? Wieso assoziieren wir starke Führung immer noch mit dem deutschen "Thomas" der vorne lange in sonorer Stimme spricht? Gleichzeitig bin ich immer wieder Menschen begegnet, die bewusst anders handeln. Beides gehört zur Realität: die strukturellen Hürden und die positiven Beispiele. Es wird deutlich, wie wichtig es ist, Organisationskulturen aktiv weiterzuentwickeln, damit Vielfalt wirklich gelebt werden kann. 

"Ungleichheit ist auch ein massiver Wohlstandsverlust"

Sie haben auch ein Buch veröffentlicht: "Machtgebiete – Was Managerinnen erleben und wie sie gegenhalten". Welche Erfahrungen oder Erkenntnisse haben Sie dazu bewegt, dieses Buch zu schreiben?

Machtgebiete ist aus vielen Gesprächen mit Frauen entstanden, die in verantwortungsvollen Positionen arbeiten und dennoch immer wieder mit ähnlichen, oft unsichtbaren Barrieren konfrontiert werden. Gemeinsam mit meinen Co-Autorinnen Christina Sontheim-Leven und Bettina Weiguny haben wir über 50 Topmanagerinnen, Unternehmerinnen und Gründerinnen interviewt. Sie berichten sehr offen darüber, wie sie mit Diskriminierung, Sexismus, Ausschlussmechanismen oder unfairen Dynamiken umgehen und welche Strategien ihnen helfen und geben konkrete Tipps. Zugleich zeigen wir im Buch auch die ökonomische Dimension dieser Ungleichheit:  Durch ungleiche Chancen, eine geringere Erwerbsbeteiligung von Frauen und ihren Ausschluss aus Führungspositionen entstehen jedes Jahr wirtschaftliche Kosten von rund 372 Milliarden Euro. Das zeigt: Ungleichheit ist nicht nur ungerecht, sie ist auch ein massiver Wohlstandsverlust. 

Hatten Sie auch das Gefühl, dass Sie sich besonders beweisen mussten, um in Organisationen Erfolg zu haben?

In manchen Situationen ja. Ich habe aber recht früh die bewusste Entscheidung getroffen, mich davon nicht einschüchtern zu lassen und auch entschieden, ich selbst zu bleiben. Das ist der größte Druck auf uns Frauen in Führungspositionen, diese unausgesprochene Erwartung, uns an die männlich geprägten Kulturen und Normen anzupassen. Genauso wichtig ist, dass wir Frauen uns gegenseitig stärken – gerade dort, wo Vielfalt noch nicht selbstverständlich ist. Ich sehe aber auch Bewegung: Die Bedeutung vielfältiger Teams für gute Entscheidungen wird heute stärker verstanden. Gleichzeitig bleibt noch viel zu tun. Und Vielfalt umfasst ja viel mehr Dimensionen. Genau deshalb ist Zusammenhalt und Haltung so wichtig. 

Vielen Dank für das Gespräch!

 Anna Sophie Herken ist Juristin und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Daneben ist sie noch Autorin, und Mitgründerin der Initiative #DieNächste gegen häusliche Gewalt.

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