Die juristische Presseschau vom 29. April 2020: Künast siegt schon wieder / Aus­gang mit Abstand / Teurer Rechtsrat

29.04.2020

Renate Künast erringt den nächsten Sieg in ihrem Kampf gegen Hasskommentare. Im Saarland darf man sich mit Abstand auch wieder ohne triftigen Grund im Freien aufhalten und das Verkehrsministerium lässt sich Rechtsrat einiges kosten.

Thema des Tages

OLG Frankfurt/M. zu Künast-Äußerung: Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne) hat bei ihren Auseinandersetzungen über eine angebliche Äußerung zu Pädosexualität erneut einen Erfolg errungen. Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. untersagte dem Blogger Sven Liebich die Verbreitung eines Posts, in dem Künasts Äußerungen als vermeintliches Zitat zusammengefasst sind. Der Blogger habe durch das vermeintliche Zitat die Mehrdeutigkeit des von Künast 1986 getätigten parlamentarischen Zwischenrufs beseitigt. Hierdurch sei ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt worden, heißt es in dem unanfechtbaren Beschluss. Es berichten FAZ (Constantin van Lijndenlto.de und spiegel.de

Corona und Recht

Corona – Gebot und Pflicht: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch legt Rechtsprofessor Michael Kubiciel anhand der nun weitgehend eingeführten Maskenpflicht dar, dass "auch der mit sanktionsbewehrten Seuchenschutzmaßnahmen operierende Staat" auf die freiwillige Kooperationsbereitschaft seiner Bürger angewiesen ist. In diesem Sinne könnte die Wandlung des Maskengebots zur Maskenpflicht ein Modell für die angekündigte App sein.

Corona – Grundrechte: Jost Müller-Neuhof (Tsp) begrüßt in einem Kommentar die Äußerungen des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) als Rückkehr der Politik zur Politik "nach langen Wochen des Ausnahmezustands und des Handelns nach medizinischen Maximen". Wenn "Szenen wie in Bergamo" unwahrscheinlich würden, "sind Mittel zu erwägen und in Relation zu stellen", die auch einen Wiederanstieg des Infektionsgeschehens "einschließlich der gesundheitlichen Folgen für alle" kalkulieren. In einem Gastkommentar für die Welt meint Wolfgang Kubicki (FDP), Bundestagsvizepräsident, dass die Bundesregierung der Öffentlichkeit die Mitteilung ihres "epidemiologischen Ziels" schulde. Nach "mehreren regierungsamtlich vollzogenen Volten" herrsche diesbezüglich "weitestgehend Unklarheit". Die Menschen im Land verdienten "von der Politik keinen gütigen Applaus, sondern vernünftige Erklärungen" für die ihnen auferlegten Einschränkungen.

Corona – Tracing App: Die gefundene Lösung zur sogenannten Corona-App findet die Zustimmung von Jannis Brühl (SZ), sie lege angesichts der Beteiligung von Apple und Google aber auch offen, "wie abhängig ein Staat im Katastrophenfall von internationalen Marktherrschern" sein kann. Bedenklich sei ebenfalls die staatliche Möglichkeit, Daten aus der Bevölkerung in Echtzeit zu ziehen. Ein digitaler Immunitätsnachweis "wird Menschen vom gesellschaftlichen Leben ausschließen".

VG Hamburg zu Maskenpflicht: Das Verwaltungsgericht Hamburg hat einen Eilantrag gegen die seit Montag beim Einkaufen geltende Maskenpflicht abgelehnt. Wegen der zeitlichen und örtlichen Beschränkung der Maskenpflicht habe der Gesundheitsschutz Vorrang vor dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, berichtet lto.de.

Corona – Rechtsschutz gegen Einschränkungen: Viele coronabedingte Einschränkungen werden derzeit in verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft. lto.de nennt Beispiele zu anhängigen oder bereits entschiedenen Verfahren an den Oberverwaltungsgerichten in Schleswig-Holstein, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Bayern, Niedersachsen und dem Saarland.

VerfGH Saarland zu Ausgangsbeschränkungen: Die im Saarland verfügte Ausgangsbeschränkung, nach der Wohnungen nur mit einem triftigen Grund verlassen werden durften, wird nach einer Eilentscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Landes mit sofortiger Wirkung außer Kraft gesetzt. Für das Verbot ließen sich "aktuell keine belastbaren Gründe" finden, zitiert spiegel.de aus dem Beschluss. Die so erwirkte Lockerung sei von der Landesregierung ohnehin für den 4. Mai geplant gewesen.

BayVGH zu 800-qm-Regel: Der Eilbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Verfassungswidrigkeit der im Freistaat verfügten Verkaufsverbote für Geschäfte mit mehr als 800 qm Verkaufsfläche, wird vom Akademischen Rat a.Z. Walther Michl auf verfassungsblog.de analysiert.

VG Hannover – Corona-Erlasse: Die NGO "Frag den Staat" versucht, das niedersächsische Justizministerium mithilfe des Verwaltungsgerichts Hannover zu einer Veröffentlichung bislang geheimgehaltener Corona-Erlasse an die Gerichte des Landes zu zwingen. Das Ministerium behaupte, dass es sich bei den Erlassen um interne Regelungen handele, schreibt die taz-Nord (Alina Götz).

Corona – Gerichtsbetrieb: Auch die SZ (Wolfgang Janisch) beschreibt nun, wie Gerichte sich angesichts des Infektionsrisikos auf einen vermehrten Einsatz von Videotechnik einstellen. Hätte die "Richterschaft bisher Neuerungen jeder Art geradezu reflexhaft abgelehnt", drehe sich nun der Wind.

Corona – Betriebsschließungsversicherungen: Können Hoteliers und Gastwirte den Zusammenbruch ihrer Einkünfte durch Leistungen aus sogenannten Betriebsschließungsversicherungen ausgleichen? Zahlreiche Versicherer bestreiten dies, hat lto.de (Hasso Suliak) in Erfahrung gebracht. Es mehrten sich Fälle, in denen Versicherten angeboten wurde, unter bestimmten Voraussetzungen und aus Kulanz 15 Prozent der vertraglich vereinbarten Tagessumme für 30 Tage zu leisten. Der Beitrag lässt Versicherer sowie Anwälte, die Klagen gegen die Praxis vorbereiten bzw. schon anhängig gemacht haben, zu Wort kommen. Das Bundesjustizministerium beobachte die Lage.

Corona – Virtuelle Versammlungsfreiheit: Rechtsanwalt Fiete Kalscheuer stellt auf community.beck.de Überlegungen an, wie sich die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Grundgesetz auf die virtuelle Welt übertragen ließe. Die wohl noch herrschende Meinung sei diesbezüglich skeptisch, dabei setze der Begriff der Zusammenkunft keineswegs zwingend eine körperliche Anwesenheit voraus.

Corona – Verdienstausfallentschädigung: Wer wegen einer Kinderbetreuung daheim Verdienstausfälle erleidet, kann nach neuen Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes staatliche Entschädigung erhalten. Rechtsanwältin Julia Alexandra Schütte erklärt auf lto.de die Voraussetzungen.

Rechtspolitik

Unternehmenssanktionen: Den jüngst vorgelegten Entwurf des "Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft" würdigen die Rechtsanwälte Simone Kämpfer und Norbert Nolte in einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ als ersten Versuch, "bislang weitgehend ungeregelten Phänomenen wie Internal Investigations einen gesetzlichen Rahmen zu geben". Damit stehe das Wirtschaftsstrafrecht in Deutschland vor einer "wichtigen Weichenstellung".

Justiz

BVerfG zu Deputatkohle: Eine Gruppe von Bergleuten ist am Bundesverfassungsgericht mit dem Versuch gescheitert, die tarifvertragliche Umwandlung ihrer Deputatkohle in eine sogenannte Energiebeihilfe als verfassungswidrig kennzeichnen zu lassen. Die Umstellung verfolge ein legitimes Ziel, zudem stehe jeder Tarifvertrag unter einem Änderungsvorbehalt, berichtet lto.de über den mit einer Begründung versehenen Nichtannahmebeschluss.

OLG Düsseldorf – IS-Rückkehrerin Carla-Josephine S.: Am Oberlandesgericht Düsseldorf ist Carla-Josephine S. wegen Mitgliedschaft beim sogenannten IS angeklagt. Vor dem für den heutigen Mittwoch terminierten Urteil erzählt die SZ (Annette Ramelsberger) in einer Seite Drei-Reportage die Geschichte einer Frau, die mit ihren Kindern viereinhalb Jahre beim IS verbrachte und dort ihren Sohn verlor.

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Der Strafprozess gegen mutmaßliche Mitglieder des syrischen Geheimdienstes wurde am Oberlandesgericht Koblenz mit einer sachverständigen Einführung in den Zustand Syriens fortgesetzt. Die hierzu von der Bundesanwaltschaft bestellte Gutachterin habe sich dabei nicht als Syrien-Expertin zu erkennen gegeben, schreibt die SZ (Moritz Baumstieger).

LG Koblenz zu sozialem Netzwerk: Dem Betreiber eines sozialen Netzwerkes können Löschungen und Sperrungen von Posts auch dann nicht verboten werden, wenn die betroffenen Posts die Grenzen zulässiger Meinungsäußerungen nicht überschreiten. "Extreme, unnötig provozierende und einschüchternd" empfundene Beiträge gefährdeten schließlich das Geschäftsmodell des Netzwerks, das durch die Löschung sein virtuelles Hausrecht ausübe. Dies entschied nach Meldung der FAZ (Corinna Budras) das Oberlandesgericht Koblenz.

GStA Dresden – Gruppe Freital: Nach der Verurteilung von acht Mitgliedern der rechtsterroristischen "Gruppe Freital" erhebt die Generalstaatsanwaltschaft Dresden nun Anklage gegen weitere vier mutmaßliche Mittäter oder Helfer. Dies berichtet die taz (Konrad Litschko).

Recht in der Welt

Ungarn/Polen – Rechtsstaat: Im Leitartikel bezeichnet es Jacques Schuster (Welt) als "politisch weise", dass die EU-Kommission derzeit kein Strafverfahren gegen Ungarn ergreift und es vielmehr bei warnenden Worten belasse. Wie in Polen müsse auch in Ungarn "die Kehrtwende zurück zur offenen Gesellschaft" aus dem Staat selbst und einem "Mut zur Bürgerlichkeit" kommen.

Brasilien – Präsident: Ein Richter des Obersten Gerichts Brasiliens hat die Einleitung eines Verfahrens gegen den Präsidenten Jair Bolsonaro genehmigt. In diesem sollen die vom zurückgetretenen Justizminister Rodrigo Moro erhobenen Vorwürfe untersucht werden, Bolsonaro übe Druck auf die Bundespolizei aus, Ermittlungen gegen seine Söhne zu unterlassen, schreibt die SZ (Christoph Gurk). Christoph Gurk (SZ) untersucht in einem separaten Kommentar mögliche Folgen. Ein Amtsenthebungsverfahren wäre langwierig und böte Bolsonaro die Möglichkeit, sich als Märtyrer zu inszenieren. Ein Militärputsch entspreche unseligen, undemokratischen Traditionen in Land und Kontinent. So bliebe am Ende "nur das Warten".

Sonstiges

Anwaltskosten von Ministerien: In den Jahren 2018 und 2019 gaben die Bundesministerien rund 35 Millionen Euro für externen Rechtsrat aus. Dies geht aus einer lto.de (Markus Sehl) vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion hervor. Im Ranking der Ministerien liege das von Andreas Scheuer (CSU) geleitete Verkehrsministerium mit deutlichem Abstand an der Spitze. Weil die Aufträge ihrer Höhe nach in der Regel unter die in der Unterschwellenvergabeordnung festgelegte Wertgrenze fallen, dürfte die Vergabe üblicherweise freihändig erfolgen. Gleichwohl behaupte die Antwort, dass sich die Ministerien regelmäßig an vergaberechtliche Vorgaben halten.

Diversity in Kanzleien: Ein großer Pharmakonzern hat angekündigt, bei der Beauftragung von Kanzleien künftig Diversity-Vorgaben zu stellen. Dass dabei auch konkrete Quoten genannt werden – bei deren Nicht-Erreichung der Konzern das von ihm zu leistende Honorar kürzen will – beeindruckt die Rechtsanwälte Susanne Reinemann und Markus Harting auf lto.de nur wenig. Die festgesetzten Quoten für die Beteiligung von Minderheiten und Frauen seien so gering, dass sie nurmehr den Status Quo abbildeten.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. April 2020: Künast siegt schon wieder / Ausgang mit Abstand / Teurer Rechtsrat . In: Legal Tribune Online, 29.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41448/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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