Diversity-Vorgaben von Novartis: Gut gemeint, mehr nicht

Gastbeitrag von Dr. Susanne Reinemann und Markus Hartung

28.04.2020

Der Pharmakonzern Novartis erwartet von seinen Kanzleien ein messbares Engagement bei der Förderung von Minderheiten. Was bahnbrechend klingt, ist es aber gar nicht, meinen Susanne Reinemann und Markus Hartung.

Auf der Welt geht es sehr bunt und divers zu. In rund 200 Staaten, die sich auf sieben Kontinente verteilen, gibt es mehr als 7,7 Milliarden Menschen. Wir Europäer machen dabei nur zehn Prozent der Weltbevölkerung aus. Der Anteil von Frauen und Männern auf der Welt ist ungefähr gleich, vielleicht sollte man genauer sagen: Zumindest was diejenigen betrifft, denen nach der Geburt ein bestimmtes Geschlecht zugeordnet wurde. Ähnliches gilt für Deutschland, hier leben sogar etwas mehr Frauen als Männer.

Natürlich gibt es weitere Unterschiede zwischen Menschen, jenseits von Herkunft und Geschlecht, etwa im Hinblick auf Religion und sexuelle Orientierung. Allerdings ist es mit der deutschen Sprache manchmal schwierig. Die Leichtigkeit, mit der in den USA oder England über "racial diversity" gesprochen wird, fehlt uns. Woanders ist man offenbar auch weiter, was die statistische Erfassung von Diversity angeht: Man findet neben Gender etwa Auswertungen über Faith/Belief, Race/Ethnicity, Sexual Orientation, Gender Identity, Disability und Disability Level.

Die Welt ist bunt, die Kanzleien sind es aber nicht

Die Welt ist bunt und divers – das gilt aber in der westlichen Welt leider nur vor den Türen der (großen) wirtschaftsberatenden Anwaltskanzleien. Dahinter bildet sich die Vielfalt der Menschen nicht ab. Zwar gibt es von Land zu Land Unterschiede, aber im Großen und Ganzen gilt das Phänomen, dass mehr Frauen als Männer Jura studieren und der Anteil von Anwältinnen beim Berufseinstieg häufig sogar größer ist als derjenige ihrer männlichen Kollegen. Dann aber nimmt über die Jahre der Frauenanteil ab, bis es schließlich auf Partnerebene nur noch knapp 20 Prozent sind, in manchen Ländern auch deutlich weniger. Auch in Deutschland ist das so, seit langem bekannt.

Woran das genau liegt, weiß man nicht, jedenfalls gibt es dazu kaum empirische Studien. Wir sind auf Vermutungen und das, was man anecdotal evidence nennt, angewiesen, alles im Bereich des empirischen Impressionismus. Vermutungen gehen dahin, dass die Arbeitsatmosphäre in Kanzleien, eher traditionell und männlich geprägt, für Mitarbeiterinnen per se unattraktiv ist und darüber hinaus ein Dogma der ständigen Verfügbarkeit herrscht, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht ermöglicht.

Dieser Befund erweist sich nicht erst, wenn Mitarbeiterinnen die Vereinbarkeit tatsächlich testen müssten. Viele Anwältinnen verlassen schon im Vorfeld einer konkreten Familienplanung die Kanzlei und bevorzugen die Justiz und die Verwaltung als Arbeitgeber, häufig auch Unternehmen, in deren Rechtsabteilungen, anders als in Kanzleien, modernere, jedenfalls zeitgemäße Personalentwicklungsmethoden angewendet werden.

Neben der Genderfrage gibt es in Deutschland, anders als in den USA oder England, keine weiteren Diversity-Themen – oder sagen wir besser: noch keine. Denn in Deutschland studieren längst nicht mehr nur weiße Biodeutsche Jura. Trotzdem spielt ethnische Verschiedenheit auf dem Rechtsmarkt bislang keine Rolle.

Novartis möchte das ändern

Es gilt bei Kanzleien als ausgemacht, dass sie sich nur auf Druck von Mandanten ändern. Vor diesem Hintergrund erregte eine Richtline von Novartis, einem der großen globalen Pharmaunternehmen mit Sitz in der Schweiz, Aufsehen. Dort wird erstmals ein an Zahlen orientierter Weg beschritten.

Nach der im Februar 2020 verkündeten "Policy" kommt es Novartis darauf an, zum einen anzuerkennen, wie wichtig die Rolle von Inhouse-Rechtsabteilungen für die (Weiter-)Entwicklung von Diversity und Inklusion ist. Zum anderen will das Unternehmen mit der Auswahl externer Kanzleien dafür Sorge tragen, dass diese Werte auch dort ernst genommen werden.

Dass bloße Appelle und Selbstverpflichtungen vielleicht nicht reichen, ahnte Novartis wohl. Das Unternehmen setzte daher mandats- oder projektbezogene Zielwerte und verband diese mit einer Honorarkürzung von 15 Prozent für solche Projekte, in denen die Vorgaben nicht erreicht werden. Mindestens 20 Prozent der abrechenbaren Stunden auf Partner- und 30 Prozent auf Associate-Level müssen von bestimmten Minderheitsgruppen erbracht werden. Ziel ist, über die nächsten Jahre Gleichstand zu erreichen.

Der Pharmakonzern will selbst ein gutes Beispiel sein

Novartis nimmt Diversity und Inklusion auch bei sich sehr ernst. Der Pharmakonzern hat sich verpflichtet, spätestens im Jahr 2023 "pay equity & transparency" erreicht zu haben und unterstützt darüber hinaus die "UN Human Rights global LGBTI business standards" (LGBTI steht für "Lesbian, Gay, Bi, Trans, & Intersex"). Diese Standards gehen weit über die bloße Akzeptanz von LGBTI-Menschen hinaus. Sie verpflichten Unternehmen unter anderem, die Menschenrechte zu respektieren und so sicherzustellen, dass es im Unternehmen keine Diskriminierung gibt.

Diversity bei Novartis drückt sich auch in Zahlen aus: Die Belegschaft, knapp 104.000 Menschen im Jahr 2019, stammt aus 149 Ländern. Geschlechterparität ist in der Belegschaft komplett (50:50) und im Management weitgehend erreicht (44 Prozent Frauen vs. 56 Prozent Männer). Im Board of Directors jedoch sind von den 14 Mitgliedern sind vier weiblich, das sind gut 28 Prozent.

Panelkanzleien dürfen trotzdem weiß, männlich, heterosexuell sein

In der Policy für die Panelkanzleien spiegelt sich das aber nicht. Natürlich ist eine Honorarkürzung von 15 Prozent schon eine Ansage. Dennoch: Novartis akzeptiert Kanzleien, die ganz überwiegend weiß, männlich und heterosexuell sind, einerseits. Dann gibt es da "die anderen": Frauen, Queers, Nicht-Weiße. Von dieser "schützenswerten Minderheit" reichen 20 Prozent, wenn es um Partner geht, nur bei Associates dürfen es zehn Prozent mehr sein.

Woran liegt das? Auf Nachfrage teilte das Unternehmen unter Verweis auf Zahlen der National Association of Law Placement (NALP) und der Minority Corporate Counsel Association (MCCA) mit, dass 2018 nur ein Drittel der Absolventen ethnischen Minderheiten angehört und sich nur sechs Prozent als LGBTQ+ identifiziert hätten. Zwar seien die Hälfte der Absolventen Frauen gewesen, aber nur 21 Prozent der Equity-Partner in Kanzleien seien weiblich. Man wolle dringend verstehen, warum dies so sei.

Es scheint also die Anerkennung einer Notwendigkeit zu sein – die Policy bildet mehr oder weniger den Status Quo ab. Offenbar findet Novartis sonst keine Kanzleien, die man noch beauftragen könnte.

Der Status quo wird nur fortgeschrieben

Novartis hat in einem recht: Es geht im Moment nicht ohne Quote. Die Zahlen der großen Wirtschaftskanzleien sprechen hier eine eindeutige Sprache. Es scheint sie bislang weder zu beeindrucken, dass diverse Teams als erfolgreicher gelten, noch dass sie sich mehr und mehr der Frage stellen müssen, wie sie Nachwuchs finden, der ihren Ansprüchen genügt. Daher ist die Tatsache, dass der Pharmakonzern nun feste Vorgaben für seine Panelkanzleien macht und damit ein Zeichen setzt, aller Ehren wert.

Gut gemeint ist aber oft das Gegenteil von gut gemacht; so auch hier. Denn bei Novartis finden sich Frauen – immerhin die Hälfte der Bevölkerung und in der gleichen Zahl erfolgreiche Absolventinnen des Jura-Studiums – in einer Gruppe mit "weiteren" schützenswerten Minderheiten.

Der Status Quo wird also fortgeschrieben, und Frauen sind schlechter dran als vorher, denn die Forderung nach Parität wird durch die Novartis-Policy jedenfalls nicht unterstützt. Geht man nämlich davon aus, dass es die männliche Kanzleikultur ist, wegen derer Frauen in der westlichen Welt keine Karriere in großen wirtschaftsberatenden Kanzleien machen (wollen), so kann es sein, dass die Novartis-Quote daran gerade nichts ändert.

Niedrige Hürden gesetzt

Und überhaupt: Eine Quote, von der Novartis selbst annimmt, dass sie den Status quo abbildet, ist eine niedrige Hürde. Wenn dies ein Baustein hin zu gleicher Bezahlung und Transparenz sein soll, so ist es zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wird das Kanzleien motivieren, etwas zu ändern? Wohl nicht, nichts anderes lehrt die bisherige Erfahrung. Es bräuchte also weitere perspektivische Vorgaben, etwa in welchem Zeitraum die Quote gesteigert werden soll.

Nicht zuletzt kann man zumindest in Deutschland die sexuelle Orientierung nicht über eine Quote regeln. Es ist nicht nur ein datenschutzrechtlich geschütztes Datum, sondern geht einen Arbeitgeber auch schlichtweg nichts an. Eine Policy, die diejenigen berücksichtigt, die sich "freiwillig outen", ist keine Diversity-Policy.

Wenn man erreichen will, dass die Dienstleister von Novartis sich den Menschenrechten verpflichten und alles tun, um Diskriminierung am Arbeitsplatz zu vermeiden, dann geht das in einigen Fällen über eine zahlengebundene Vorgabe, in anderen Fällen nicht. Nicht zuletzt macht Novartis das im eigenen Unternehmen auch nicht, trotz eines hohen Anspruchs an Diversity.

Quoten sind schlecht und gut zugleich

Wie also lassen sich Anwältinnen und andere "Minderheiten" als Associates und Partnerinnen an große wirtschaftsberatende Kanzleien binden? Denn darum geht es. Dies ist nicht nur eine Frage von Zeitgeist oder Gutmenschentum. Es liegt nicht zuletzt im eigenen Interesse der Kanzleien, nicht nur weil diverse Teams als erfolgreicher gelten, sondern auch, weil es für diese Kanzleien immer schwieriger werden wird, Nachwuchs zu gewinnen, der ihren Ansprüchen genügt.

Eine Quote ist grundsätzlich eine schlechte und eine gute Idee: Schöner wäre die Welt, wenn wir keine Quoten benötigten. Aber um diesen Zustand zu erreichen, brauchen wir Quoten. Wenn man damit operiert, sollte man smart vorgehen, nicht schematisch: Quoten sollten zwischen den einzelnen Gruppen differenzieren. Was das Geschlecht betrifft ist es einfach: Eine entsprechende Vorgabe könnte sich an dem Anteil der Frauen richten, die erfolgreich das Jura-Studium abgeschlossen haben.

Im Hinblick auf die Herkunft wird es schon schwieriger. In Deutschland wäre eine Quote hierfür eine arbiträre Größe, denn wir wissen nicht, wie hoch der Anteil an verschiedenen Ethnien unter den Absolventen und Absolventinnen ist, und darüber hinaus weiß niemand, ob und wie viele Menschen sich von einem Jurastudium abhalten lassen, weil sie befürchten, auf dem Arbeitsmarkt ohnehin keine Chance zu haben. Soziale Mobilität in juristischen Berufen ist in den USA und in England längst ein Thema, bei uns (noch) nicht. Eine Quote vermag da nichts auszurichten.

Und bei der sexuellen Orientierung ist die Sache wieder klar: Sie geht schlichtweg niemanden etwas an, vor allem und besonders nicht im beruflichen Umfeld. Eine Quote, oder auch nur eine Förderung aufgrund freiwilligen Outings, wäre unangebracht.

Es gibt auch andere Methoden

Über Policies hinaus erweisen sich in anderen Ländern auch andere Methoden als hilfreich: Naming & Shaming. Nachdem in der New York Times die Wahl von elf weißen Männern und nur einer Frau in die Partnerriege der US-amerikanischen Kanzlei Paul Weiss heftig kritisiert worden war, begann ein Umdenken bei der Kanzlei. Sie verpflichtete sich öffentlich, Diversity ernst zu nehmen und das in Partnerernennungen zu berücksichtigen.

Und nachdem Allen & Overy in Großbritannien von Regierung und Parlament heftig wegen ausbleibender Gender Pay Gap-Reports kritisiert wurde, hat sich die Magic-Circle-Kanzlei inzwischen insoweit zum Musterknaben entwickelt. Geht doch.

Die Autoren: Dr. Susanne Reinemann ist Rechtsanwältin und Redakteurin der NJW. Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Senior Fellow am Bucerius Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School.

Zitiervorschlag

Diversity-Vorgaben von Novartis: Gut gemeint, mehr nicht . In: Legal Tribune Online, 28.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41435/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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