Die juristische Presseschau vom 1. November 2022: RA Chan-jo Jun gegen "Quat­sch­jura" / Heikle Aus­sage im Neu­kölln-Pro­zess / Im Iran beginnen die Straf­ver­fahren

01.11.2022

Anwalt Jun bekommt Preis für Engagement gegen Fake News. Durfte ein Ermittler Aussagen eines Verdächtigen offenbaren, die nach der Vernehmung fielen? Etwa 1.000 Protestierende sind bereits vor iranischen Revolutionsgerichten angeklagt.

Thema des Tages

Anwalt Chan-jo Jun: Die Berliner Initiative "Der goldene Aluhut" verlieh erstmals ihren Facts Heroes Award für den Einsatz gegen Fake News und Verschwörungsideologien . Gewinner in der Kategorie "Gesellschaft & Politik" ist der Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Jun. Auf seinem YouTube-Kanal "Rechtsanwalt Jun" erklärt er rechtliche Hintergründe und klärt vor allem über "Quatschjura" auf. Quatschjura, so Jun, "sieht aus wie Jura, fühlt sich auch an wie Jura, ist in Wirklichkeit aber Quatsch.", ein Phänomen, das sich in den Jahren der Pandemie entwickelt habe. LTO berichtet.

Rechtspolitik

Volksverhetzung: Die Doktorandin Paula Rhein-Fischer ordnet auf dem Verfassungsblog die jüngst beschlossene Ergänzung von § 130 des Strafgesetzbuchs (StGB) in den europäischen Diskurs über Erinnerungsgesetze ein. Der EU-Rahmenbeschluss von 2008, der nun umgesetzt wurde, griff Forderungen aus Osteuropa auf, auch die Billigung, Leugnung und Verharmlosung sowjetischer Völkerstraftaten unter Strafe zu stellen. Nun gilt dies sogar für Völkerstraftaten aller Art. Die Autorin hätte es begrüßt, wenn Deutschland die Möglichkeit genutzt  hätte, die Strafvorschrift auf solche Völkerstraftaten zu begrenzen, die bereits von internationalen Gerichten festgestellt wurden. Sie appelliert nun an die Gerichte, § 130 Abs. 5 StGB verfassungs- und EMRK-konform eng auszulegen.

Cannabis: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat bereits vorige Woche die im Kabinett beschlossenen Eckpunkte zur Cannabis-Legalisierung an die EU-Kommission zur Stellungnahme geschickt. In einem Beitrag in der FAZ (Felix Schwarz) wird nun diskutiert, inwiefern die Freigabe von Cannabis völker- und europarechtskonform ist bzw. wie sie entsprechend gestaltet werden könnte. So sei eine Freigabe zu "wissenschaftlichen Zwecken" möglich. In den Niederlanden sei bereits seit 2021 in zehn Städten die Abgabe von Cannabis nur aus staatlich kontrolliertem und lizenziertem Anbau erlaubt. Im Rahmen eines auf vier Jahre angelegten wissenschaftlichen Experiments sollen die Auswirkungen auf die Suchtbekämpfung und den Schwarzmarkt untersucht werden. 

Drogen-Substitution: community.beck (Jörn Patzak) erläutert den Referentenentwurf zur Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV). Dabei geht es vor allem um die Flexibilisierung von Substitutionsverfahren, wie sie während der Corona-Pandemie erfolgreich ausprobiert wurde. So sollen Höchstmengenbeschränkungen fallen und Wochenend-Rezepte ausgeweitet werden. Außerdem sollen aus Klarstellungsgründen nun auch Justizvollzugsanstalten in die Liste solcher Einrichtungen aufgenommen werden, in denen Substitutionsmittel zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden dürfen.

Justiz

AG Berlin-Tiergarten – rechtsextreme Anschläge Neukölln: Im Verfahren um die rechtsextremen Brandanschläge in Neukölln gibt es Streit um eine Aussage des Leiters der Ermittlungsgruppe "Rechte Straftaten in Neukölln". Der LKA-Polizist berichtete vor Gericht, wie Tilo P., einer der beiden Hauptverdächtigen, 2018 ihm gegenüber den anderen Hauptverdächtigen, Sebastian T. als Täter der Anschlagsserie nannte. Beide sind in diesem Verfahren angeklagt. Die Verteidigung fordert, die Aussage des Polizisten nicht zu verwerten, da sie außerhalb einer förmlichen Vernehmung zustandekommen war. Schließlich habe Tilo P. klar gesagt, er wolle nicht aussagen. Doch nach dem förmlichen Ende der Vernehmung habe der Ermittler immer weiter auf Tilo P. eingeredet und an dessen Gewissen und die Verantwortung für sein Kind appelliert. Die Anklage hält die Aussage des Polizisten dagegen für verwertbar, weil Tilo P. freiwillig mit ihm gesprochen habe. Es berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).

KG Berlin – Entführung Trinh Xuan Thanh: Ab Mittwoch beginnt der Prozess gegen einen 32-jährigen Vietnamesen, der in Verdacht steht, 2017 bei der Entführung des vietnamesischen Ex-Politikers Trinh Xuan Thanh von Berlin nach Hanoi mitgewirkt zu haben. Der Prozess beginnt erst jetzt, fünf Jahre später, da sich der Angeklagte Anh Tu L. bisher durch Flucht nach Vietnam der Strafverfolgung entzogen hatte. Wie die taz (Marina Mai) schreibt, war Thanh auf Anweisung von Vietnams Innenminister To Lam nach Hanoi entführt worden, wo er in einem nicht rechtsstaatlichen Verfahren wegen eines vermeintlichen Wirtschaftsdelikts zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt wurde.

LG Frankfurt/M. – Sommermärchen und Steuerhinterziehung: Das Landgericht Frankfurt am Main hat das Verfahren gegen die früheren DFB-Funktionäre Horst R. Schmidt, Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach eingestellt. Das Steuerhinterziehungs-Verfahren rund um die Fußball-WM 2006 sei wegen "nicht behebbarer Verfahrenshindernisse" eingestellt worden, zitieren die FAZ (Michael Horeni) und LTO die Verteidigung von Schmidt. Ein Verfahren in der Schweiz gegen Zwanziger, Schmidt sowie den ehemaligen FIFA-Generalsekretär Urs Linsi – ebenfalls zum Verdacht der Steuerhinterziehung – war bereits im Frühjahr 2020 wegen Verjährung eingestellt worden. Dies habe zu einem Strafklageverbrauch auch in Deutschland geführt.

LG Leipzig – "Kinderzimmerdealer": Nun berichtet auch LTO, dass das Landgericht Leipzig ab dem 2. Dezember gegen den "Kinderzimmerdealer" Maximilian S. wegen Drogenhandels verhandeln wird. S war durch eine Netflix-Dokumentation unter dem Namen "Shiny Flakes" bekannt geworden und schon einmal verurteilt worden. 

VG Oldenburg zu Wolfsjagd: Die Jagd auf einen Wolf aus dem sogenannten Friedeburger Rudel im Landkreis Wittmund in Niedersachsen ist vorerst verboten. Das entschied das Verwaltungsgericht Oldenburg am vergangenen Freitag und gab damit dem Antrag des Freundeskreises freilebender Wölfe statt. Das Land hatte den Abschuss dieses bestimmten Wolfes zuvor genehmigt und weil dessen Identifizierung quasi unmöglich ist, auch den Abschuss anderer Wölfe aus dem Rudel gestattet. Landesumweltminister Olaf Lies (SPD) kündigte bereits an, Beschwerde gegen das Urteil zu erheben. Es berichtet die taz (Reimar Paul).

Recht in der Welt

Iran – Prozesse gegen Demonstrant:innen: Vor den Revolutionsgerichten in Teheran sollen noch in dieser Woche die Prozesse gegen Protestierende beginnen, kündigte die Staatsanwaltschaft an. Etwa 1.000 Menschen seien unter anderem wegen Sabotage, Angriffen gegen Sicherheitskräfte und Zerstörung öffentlichen Eigentums angeklagt. Wie die FAZ (Rainer Hermann) berichtet, gehen die Proteste trotzdem weiter.

USA – Wahlgesetze: Seit der Wahl des Demokraten Joe Biden zum US-Präsidenten, ändern immer mehr republikanisch regierte Bundesstaaten ihre Wahlgesetze. Denn auch noch zwei Jahre nach der Abwahl Donald Trumps zweifelt mehr als die Hälfte der republikanischen Kandidaten, die in der nächsten Woche bei den Zwischenwahlen zur Wahl stehen, dass Biden der rechtmäßig gewählte US-Präsident ist. Indem sie nun die Bedingungen verändern, unter denen gewählt wird, wie die Stimmen gezählt werden und wer am Ende über das Ergebnis befindet, zielen sie darauf ab, ein unerwünschtes Wahlergebnis im Zweifel besser anfechten zu können, erläutert die FAZ (Sofia Dreisbach).

Großbritannien – Red Bull/Bullards: Zwischen dem kleinen britischen Gin-Hersteller Bullards und dem großen österreichischen Energydrink-Hersteller Red Bull besteht keine Verwechslungsgefahr. Dies entschied die britische Behörde für geistiges Eigentum (IPO) und lehnte den Antrag Red Bulls ab, dass Bullards auf die Nutzung der Marke für eine Reihe von Waren und Dienstleistungen verzichten solle. Es berichtet LTO.

Juristische Ausbildung

VG Berlin – Freistellung von Prüfer: Ein Berliner Oberstaatsanwalt (OStA) und Examensprüfer wehrt sich mit einem Eilverfahren beim Verwaltungsgericht Berlin gegen die Freistellung von seiner Tätigkeit als Prüfer. Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz hatte ihn vorübergehend freigestellt, um die Kandidat:innen in der Prüfung nicht zusätzlich zu belasten. Denn der Berliner Untersuchungsausschuss zu einer rechtsextremistischen Straftatenserie im Berliner Bezirk Neukölln soll auch prüfen, ob der Oberstaatsanwalt gegenüber Rechtsextremisten angedeutet hat, dass er als AfD-Wähler auf ihrer Seite stehe. Im Einsetzungsbeschluss für den Ausschuss tauche der Name des Oberstaatsanwalts zweimal auf. LTO-Karriere (Markus Sehl) berichtet. 

Master statt Examen: Statt nach dem Ersten Staatsexamen das Referendariat und das Zweite Staatsexamen zu absolvieren, entscheiden sich einige Jurastudierende für ein Masterstudium. Auf LTO-Karriere (Sabine Olschner) erzählen zwei Jurist:innen ihren Werdegang, wie es zu ihren Entscheidungen kam und wie die beruflichen Möglichkeiten aussehen.

Sonstiges

NSU-Bericht des LfV Hessen: Im Zusammenhang mit dem veröffentlichten NSU-Bericht hat das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Strafanzeige gegen Unbekannt beim LKA Hessen gestellt. Die Strafanzeige bezieht sich ausschließlich auf die unrechtmäßige Weitergabe des als Verschlusssache eingestuften Berichts, nicht gegen dessen Veröffentlichung. LTO (Felix W. Zimmermann) erläutert, dass bei den für die Veröffentlichung Verantwortlichen von "Frag den Staat" und "ZDF-Magazin-Royale" jedoch psychische Beihilfe oder Anstiftung zum Geheimnisverrat nach § 353b Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht komme. Dies setze freilich voraus, dass die Person zur Weiterleitung überredet worden sein muss.

 

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LTO/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. November 2022: RA Chan-jo Jun gegen "Quatschjura" / Heikle Aussage im Neukölln-Prozess / Im Iran beginnen die Strafverfahren . In: Legal Tribune Online, 01.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50039/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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