Die juristische Presseschau vom 29. Dezember 2017: Chaos beim Anwalts­post­fach / VW-Ver­fas­sungs­klage gegen Son­der­er­mittler / Mehr TV-Mord­opfer als im echten Leben

29.12.2017

Die Bundesrechtsanwaltskammer wird für Debakel beim Anwaltspostfach beA massiv kritisiert. Außerdem in der Presseschau: VW klagt in Karlsruhe gegen Ermittler in Abgasaffäre, Todesrisiko in TV-Serien höher als im realen Deutschland.

Themen des Tages

BeA-Chaos: Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat zugesichert, dass Gerichte oder andere Kommunikationspartner keine Dokumente über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) zustellen können, solange die beA-Plattform nicht am Netz ist. Das berichtet lto.de (Pia Lorenz/Christian Dülpers) in einem ausführlichen Report. Ein Berliner Anwalt hat zudem beim Bundesverfassungsgericht  beantragt, per einstweiliger Anordnung die ab Jahreswechsel beginnende "passive Nutzungspflicht" für das beA auszusetzen, "bis das System verlässlich zur Verfügung steht". Grundproblem der IT-Sicherheit beim beA sei, dass die privaten Schlüssel aller Nutzer identisch sind. IT-Experten empfehlen die Reparatur des Systems nicht dem bisherigen französischen Vertragsparner Atos anzuvertrauen. In der Anwaltschaft gebe es massive Kritik an der internen und externen Kommunikation der BRAK. Das Justizministerium, das die Rechtsaufsicht über die BRAK innehat, wolle sich derzeit zum Anwaltspostfach nicht äußern.

Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) macht neben dem fachlich zuständigen Vizepräsidenten Martin Abend vor allem den BRAK-Vorsitzenden Ekkehard Schäfer für das Debakel verantwortlich und bringt auch einen Rücktritt ins Gespräch.

Sexualstrafrecht: Reinhard Müller (FAZ) stellt im Leitartikel fest, das eigentliche Problem des Sexualstrafrechts seien Abhängigkeitsverhältnisse, in denen sich mächtige Männer (und Frauen) übergriffig verhalten können. Hier böten auch strenge gesetzliche Regelungen wenig Schutz. Allerdings seien Frauen in anderen Konstellationen (z.B. junge Journalistin/alter Politiker) eher überlegen oder nutzten die Vermischung von Sex und Beruf sogar selbst für berufliche Zwecke.

Die emeritierte Rechtsprofessorin Monika Frommel kritisiert in der SZ massiv das neue schwedische Sexualstrafrecht, nach dem jede sexuelle Handlung strafbar sei, bei der nicht zuvor explizit eine Zustimmung eingeholt worden ist. Sie behauptet, dass diese Zustimmung vom Beschuldigten bewiesen werden müsse. "Eigentlich bedeutet dies, dass man den In-dubio-pro-reo-Grundsatz (Im Zweifel für den Angeklagten) nicht nur nicht mehr beachtet, sondern in sein Gegenteil verkehrt." Das Recht auf Privatheit und das Rechtsstaatsprinzip würden in Schweden missachtet.

Rechtspolitik

Glücksspiel: Jan Wilmroth (SZ) kritisiert im Wirtschafts-Leitartikel die Unfähigkeit der Länder den Glücksspielstaatsvertrag zu novellieren, obwohl derzeit große Teile des Marktes (insbesondere im Internet) ungeregelt seien. Vor allem Schleswig-Holstein, das eine laxere Regulierung verlange, verhindere eine Einigung. Wilmroth fordert: "Es ist Zeit für eine länderübergreifende Kommission, die bundesweit für die Glücksspielregeln und deren Durchsetzung zuständig ist, mit dem Ziel, in einigen Jahren eine schlagkräftige Behörde ähnlich der Finanzaufsicht Bafin einzurichten".

Lohnvergleich: Am 6. Januar gibt das Gesetz über Entgelttransparenz einen individuellen Auskunftsanspruch über den Verdienst von Kollegen in vergleichbaren Jobs. Das Gesetz dient der Gleichstellung von Männern und Frauen. Bisher sind nur Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten zur Auskunft verpflichtet. Familienministerin Katarina Barley (SPD) brachte eine Ausweitung auf kleinere Betriebe ins Gespräch, berichtet die Welt (Inga Michler/Sabine Menkens).

Bauvertragsrecht: Ab 1. Januar tritt das neue Bauvertragsrecht in Kraft, über das die SZ (Berrit Gräber) informiert. So könne ein Verbraucherbauvertrag, der nicht vom Notar beurkundet wurde, künftig binnen 14 Tagen widerrufen werden. Private Bauherren hätten rechtzeitig vor Vertragsschluss Anspruch auf eine präzise Baubeschreibung. Der Schlüsselfertiganbieter müsse ab 2018 "verbindlich angeben, wann der Bau fertig ist oder zumindest die Dauer der Baumaßnahme klar benennen".

MiFID II/PSD 2: Am 3. Januar tritt die Umsetzung der EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II) in Kraft. Die SZ (Stephan Radomsky/Nils Wischmeyer) erläutert die Grundprinzipien der Richtlinie, die Bankkunden vor hochriskanten Papieren schützen soll. Unter anderem müssten Telefongespräche mit Beratern künftig aufgezeichnet werden. Anbieter müssen definieren, für welche Art von Kunden ihre Produkte geeignet sind. Kosten und Provisionen müssten transparent sein und würden eingeschränkt. Die Payment Service Directive (PSD 2) tritt zum 13. Januar in Kraft und schafft Rechtsicherheit für den Einsatz von Apps, die Zugriff auf verschiedene Konten ermöglichen.

Neue Gesetze 2018: Die FAZ (Marcus Jung/Hendrik Wieduwilt) stellt 41 neue Gesetze vor, die 2018 in Kraft treten.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. Dezember 2017: Chaos beim Anwaltspostfach / VW-Verfassungsklage gegen Sonderermittler / Mehr TV-Mordopfer als im echten Leben . In: Legal Tribune Online, 29.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26225/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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