Die juristische Presseschau vom 17. Januar 2018: BVerfG für Reform der Grund­steuer / Streik­recht für Lehrer / Anwalt­liche Feh­ler­kultur

17.01.2018

Dem BVerfG stellt sich kaum die Frage ob, vielmehr wann die Reform der Grundsteuer kommt. Außerdem in der Presseschau: Beamtete Lehrer klagen für Streikrecht, warum viele Anwälte Fehler nicht zugeben und OVG Lüneburg ehrt Niklas Luhmann.

Thema des Tages

BVerfG  Grundsteuer: Die Grundsteuer verstößt wegen ihrer Einheitsbewertung wohl gegen das Gleichheitsgebot – dies ließen die Bundesverfassungsrichter bei der mündlichen Verhandlung erkennen. Derzeit werden im Westen Einheitswerte von 1964 und im Osten von 1935 zur Berechnung herangezogen. Die Verfassungswidrigkeit nahmen daher auch nahezu alle anwesenden Vertreter aus Bund und Ländern an, sodass sich die Diskussion darauf fokussierte, wie lange die Reform dauern dürfe. Die Bitte nach einer zehnjährigen Frist erklärten Teile des Senats für eine Zumutung – der Gesetzgeber hätte eigentlich alle sechs Jahre die Werte anpassen müssen. Ein Urteil stehe in einigen Monaten aus. Es berichten die BadZ (Christian Rath) und swr.de (Gigi Deppe). Der Tsp (Jost Müller-Neuhof/Ralf Schönball), die SZ (Wolfgang Janisch) und die Welt (Michael Fabricius) skizzieren auch, wie Neuregelungen aussehen könnten. Die FAZ (Hendrik Wieduwilt/Manfred Schäfers) und das Hbl (Martin Greive/Silke Kersting) betonen die zu erwartenden Steuererhöhungen für Immobilieneigentümer.

Die Reform der Grundsteuer könne nicht nur Steuergerechtigkeit schaffen, sondern auch endlich das Problem bezahlbaren Wohnraums lösen, das die Mietpreisbremse nicht beheben konnte, betont Wolfgang Janisch (SZ). Auch Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) mahnt eine entsprechend differenzierte steuerliche Lösung an. Manfred Schäfers (FAZ) moniert: "Vorne und hinten passt die Grundsteuer nicht zusammen, weil die Finanzminister die Arbeit verweigert haben." "Die Quadratur des Kreises" müsse die Grundsteuerreform vollbringen, so Axel Schrinner (Hbl). Er schlägt vor, die Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer an die Länder zu übertragen.

Der Sachverständige für Grundstücksbewertung Hannes Wendt erklärt auf lto.de, weshalb auch der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf zur Reform der Grundsteuer verfassungswidrig sei. Dieser war im Jahr 2016 am Veto von Hamburg und Bayern gescheitert. Wendt erwartet eine kurze Übergangsfrist für den Gesetzgeber und prognostiziert, dass die Grundsteuer eine Zeit lang komplett entfallen könnte.

Rechtspolitik

Arbeitsrechtliche Sondierungsergebnisse: Rechtsanwalt André Zimmermann fasst für das Handelsblatt-Rechtsboard die Sondierungsergebnisse im Bereich des Arbeitsrechts zusammen. So wollen die Parteien unter anderem die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen nicht weiter verschärfen. Reformen sind etwa für das Recht auf befristete Teilzeit geplant.

Asylrechtliche Sondierungsergebnisse: In dieser Woche wollen SPD und CDU noch die Aussetzung des Familiennachzugs bis Ende Juli diesen Jahres verlängern. Dies vereinbarten die Parteien in den Sondierungsgesprächen unter der Maßgabe, bis zum Ende der Frist eine Regelung zu beschließen, die monatlich 1.000 Personen den Familiennachzug erlaubt. Zudem sollen jährlich 180.000 bis 220.000 humanitäre Flüchtlinge zuziehen dürfen. Das Hbl (Daniel Delhaes/Frank Specht) skizziert die asylrechtlichen Debatten von SPD und Union.

"Kein Integrationspapier, sondern ein Abschreckungspapier" sieht Heribert Prantl (SZ) in den asylrechtlichen Teilen des Sondierungspapiers von CDU, CSU und SPD. Großlager für Flüchtlinge und der weiterhin auszusetzende Familiennachzug erschwerten oder verhinderten die Integration.

Verbot der Abtreibungswerbung: "Die bestehenden Normen zum Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch sind eine ausgewogene Regelung, die den Schutz des ungeborenen Kindes in den Mittelpunkt stellt und zugleich die Selbstbestimmung der Mutter wahrt." Im Interview mit der taz (Dinah Riese) verteidigt die rechtspolitische Sprecherin der Union, Elisabeth Winkelmann-Becker, das Verbot der Werbung mit Schwangerschaftsabbrüchen.

Straffreie Exhibitionistinnen: Strafrechtsprofessor Tonio Walter lässt sich im FAZ-Einspruch darüber aus, dass exhibitionistische Handlungen von Frauen gemäß § 183 Strafgesetzbuch nicht strafbar sind. Er erklärt, wie sich dies aus dem "heterosexuellen Mainstream" ergebe und warum Nacktheit keine Gewalt sein könne. Walter fordert, das Verbot zu streichen oder zumindest geschlechtsneutral zu fassen, um die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tilgen.

Anwaltliches Berufsrecht: Der akademische Rat Christian Deckenbrock schildert im FAZ-Einspruch ausführlich nötige Reformen des anwaltlichen Berufsrechts. Er kritisiert unter anderem die bestehenden Mehrheitserfordernisse der interprofessionell ausgerichteten Anwalts-GmbH und das Fehlen von Berufsausübungsgesellschaften im elektronischen Rechtsanwaltsverzeichnis. Er fordert, die Zusammenarbeit in anwaltlichen Berufsausübungsgemeinschaften auch für andere verkammerte Berufe zu öffnen und die Zulassungsmöglichkeit aller Gesellschaftsformen in der Rechtsanwaltskammer.

Justiz

BVerfG  Streikrecht für Beamte: Dürfen Beamte streiken? Zu dieser Frage verhandelt das Bundesverfassungsgericht am heutigen Mittwoch die Verfassungsbeschwerden von vier Lehrern. Diese wenden sich dagegen, dass sie nach der Teilnahme an einem Streik disziplinarisch geahndet wurden. Sie argumentieren, das Grundgesetz erlaube ein Streikrecht für Beamte, die keine hoheitlichen Tätigkeiten ausführen, also auch für Lehrer. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte bereits in zwei türkischen Fällen ein absolutes Streikverbot für Beamte für europarechtswidrig erklärt. Die taz (Christian Rath) und die FAZ (Reinhard Müller) befassen sich mit dem Fall. Die SZ (Wolfgang Janisch) zeigt, wie das BVerfG sich von den EGMR-Entscheidungen abkehren könne, ohne Straßburg dabei direkt zu konfrontieren. Würde das BVerfG ein Streikrecht bejahen, "wäre das eine Revolution des in Deutschland stets hoch gehaltenen Berufsbeamtentums".

"Das Streikverbot ist aus der Zeit gefallen.", moniert Marlis Tepe, Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, an deren Streiks die Kläger teilgenommen hatten. In einem separaten Interview mit der SZ (Detlef Esslinger) erklärt sie, warum sie sich für ein Streikrecht für Beamte, insbesondere für Lehrer, einsetzt und wie die Arbeitsbedingungen der Lehrer verbessert werden könnten. Die taz (Ralf Pauli) schildert insbesondere den Fall und die Streikgeschichte des Klägers Carsten Leimbach.

BAG zu Bundesligaverträgen: Bundesligavereine dürfen die Verträge von Profifußballern weiterhin befristen. Das Bundesarbeitsgericht argumentierte, dass die nötigen sportlichen Höchstleistungen von Bundesligaspielern nur für eine begrenzte Zeit zu erwarten seien, weshalb ein berechtigtes Interesse an der Befristung der Arbeitsverhältnisse vorliege. Damit unterlag der ehemalige Bundesligatorwart Heinz Müller mit seiner Klage gegen den FSV Mainz 05. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht Patrick Esser befasst sich für lto.de mit dem Urteil. Der Arbeitsrechtsprofessor Michael Fuhlrott setzt sich für FAZ-Einspruch ausführlich mit den Entscheidungsgründen auseinander. Auch die FAZ (Marcus Jung) berichtet.

LG Berlin zu Holocaustleugner: Der Präsident des Zentralrats der Juden darf den baden-württembergischen AfD-Politiker Wolfgang Gedeon als Holocaustleugner bezeichnen. Gedeon hatte einzelne Aspekte der Schoa, etwa die Opferzahlen, in Frage gestellt – die Bewertung, ob dies bereits als Leugnen gelten könne, sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, urteilte das Landgericht Berlin. Die taz (Sabine am Orde) zeichnet den Fall nach.

Anwaltliche Fehlerkultur: Die anwaltliche Fehlerkultur ist das diesjährige Thema des Deutschen Anwaltvereins. Rechtsanwalt Markus Hartung analysiert im FAZ-Einspruch die Ursachen der mangelnden Fehlerkultur: Aus unterschiedlichen Gründen tendierten Anwälte dazu, Fehler nicht zu thematisieren. Dies obwohl gerade in ihrem Beruf, von dem Fehlerfreiheit erwartet wird, eine offene Kommunikation über Fehler wichtig sei, um das Vertrauen der Mandanten zu sichern.

Verfahren wegen Swap-Geschäften: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Christ fordert auf lto.de, den Freispruch für Kommunalpolitiker, die wegen Swap-Geschäften vor Strafgerichten stehen. Eine Strafbarkeit der Betroffenen wegen Untreue nach § 266 Strafgesetzbuch scheitere am Bestimmtheitsgebot.

Verfahren wegen VW-Skandal: Welche Strategie fährt der VW-Konzern bei den auf den Skandal folgenden Rechtsstreitigkeiten? Wie argumentieren die Gerichte? focus.de (Marco Rogert) gibt einen ausführlichen Überblick darüber, wie der VW-Skandal im Jahr 2018 juristisch weiter aufgearbeitet werde.

Recht in der Welt

Türkei  inhaftierte Journalisten: Türkische Strafgerichte weigern sich, der Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts aus der vergangenen Woche zu folgen und die Journalisten Sahin Alpay und Mehmet Altan freizulassen. Deren Anwalt Veysel Ok erkennt eine "Staatskrise". focus.de verweist darauf, dass diese Haltung der Gerichte auch für Deniz Yücel relevant werde.

EU/GB  Brexit: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk haben Großbritannien erneut den Verbleib in der EU angeboten, meldet spiegel.de. Dies schlug Premierministerin Theresa May allerdings aus.

Sonstiges

Niklas Luhmann: Das Lünebürger Oberverwaltungsgericht feierte postum den neunzigsten Geburtstag von Niklas Luhmann – nach seiner juristischen Ausbildung ging er den Weg des Soziologen. Die FAZ (Patrick Bahners) ergründet im Ressort Geisteswissenschaften die Lobreden im Gedenken an Luhmanns Arbeit als Jurist, die sich insbesondere um seine Thesen zu Verwaltungs- und Rechtsfehlern drehen.

Europäische Mitarbeitspflicht: Nachdem etwa Bundesfinanzminister Peter Altmaier (CDU) erklärte, er halte sich in seinem Engagement auf EU-Ebene zurück, um der nächsten Regierung nicht die Hände zu binden, ermahnt Rechtsanwalt Jens Brauneck in der FAZ die Bundesregierung dazu, ihrer europarechtlichen Loyalitätspflicht nachzukommen. Artikel 4 des Vertrags über die Europäische Union gebiete eine "Unterstützungs- und Befolgungspflicht". Ein Verhalten, das die Funktionsfähigkeit der Rechtsgemeinschaft der EU beeinträchtigt, untersage sie.

Unternehmerische Verantwortung: Wer kann in einer globalisierten Wirtschaft einen rechtlichen Ordnungsrahmen für die unternehmerische Verantwortung vorgeben? Dieser Frage geht der FAZ-Einspruch (Birgit Spiesshofer) unter Bezug auf die Thesen Milton Friedmans nach und denkt dabei über die Regelungsmacht der Nationalstaaten hinaus.

Großraumbüros in Kanzleien: Der FAZ-Einspruch (Corinna Budras) hat den Umbau einer Frankfurter Kanzlei von Einzelbüros zu Großraumbüros inspiziert und mit dem Partner Oliver Felsenstein über seine Vision gesprochen. "Transparenz statt Geheimniskrämerei, Zusammenarbeit statt Einzelkämpferattitüden" sollen die Modernisierungsmaßnahmen bezwecken. Rückzugsräume stünden zur Verfügung, die Integrität bei der Beratung von Wettbewerbern solle durch unterschiedliche Stockwerke für die jeweiligen Teams gewährleistet werden.

Das Letzte zum Schluss

Bingo! Kölner Senioren können aufatmen – sie dürfen wieder wöchentlich Bingo spielen. Das Ordnungsamt hatte ihnen ihr Vergnügen als möglichen Verstoß gegen das Glücksspielverbot untersagt. Nun sollen die zuständigen Sozial-Betriebe-Köln "unbürokratisch und so schnell wie möglich" eine Genehmigung erhalten – hier greife das vereinfachte Genehmigungsverfahren, meldet die FAZ. Die Bingo-Spieler dürfen dann mit amtlichem Segen wieder auf ihre Gewinne in Form von Geldbeträgen zwischen 50 Cent und einem Euro oder Schokolade fiebern.

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lto/vb

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. Januar 2018: BVerfG für Reform der Grundsteuer / Streikrecht für Lehrer / Anwaltliche Fehlerkultur . In: Legal Tribune Online, 17.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26509/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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