Die juristische Presseschau vom 11. April 2018: Grund­steuer ver­fas­sungs­widrig / Hoff­nung für BGH / Ille­gale Film­auf­nahmen von Tier­leid

11.04.2018

Das BVerfG hat die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer gekippt. Außerdem in der Presseschau: Keine Prozessflut am BGH zu befürchten, MDR darf illegal aufgenommenen Film von Tierleid veröffentlichen und Zschäpes Verteidigung plädiert heute.

Thema des Tages

BVerfG zu Grundsteuer: Die Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer in den "alten Bundesländern" verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, entschied das Bundesverfassungsgericht. Dass der Gesetzgeber an dem Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 festhalte, führe zu gravierenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen und sei nicht zu rechtfertigen. Bis 31. Dezember 2019 muss der Gesetzgeber eine Neuregelung schaffen. Dann soll wegen des großen bürokratischen Aufwands der Neubewertung eine Übergangsfrist bis Ende 2024 gelten. Auch die Bemessungsgrundlage in den "neuen Bundesländern" steht in der Kritik, verfassungswidrig zu sein – hier gelten Kriterien aus dem Jahr 1935. Allerdings lagen den Karlsruher Richtern nur "westdeutsche" Fälle vor. Sowohl Kommunen als auch Grundeigentümer und Mieter sorgten sich um die kommende Neuregelung. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch), der Tsp (Jost Müller-Neuhof), das Hbl (Martin Greive/Donata Riedel) und swr.de (Gigi Deppe). Die taz (Christian Rath) bringt zusätzlich eine separate Darstellung möglicher Modelle. Die FAZ (Manfred Schäfers/Hendrik Wieduwilt) gibt auch Bedenken einiger Interessenvereinigungen zur anstehenden Reform wieder.

Heribert Prantl (SZ) betont, die anstehenden Reformen könnten nicht nur Gerechtigkeit in Sachen Grundsteuer bringen, sondern auch Ungerechtigkeiten bei den Wohnkosten tilgen, die die Mietpreisbremse nicht eindämmen konnte. Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) prognostiziert, dass die neue Steuer wohl aufkommensneutral bleiben werde, Verschiebungen im Einzelfall allerdings unvermeidbar seien. Ein ganz gerechtes System könne es nicht geben. Reinhard Müller (FAZ) hält die Frist für den Gesetzgeber für zu lang, nachdem es bereits verschiedene Vorschläge gebe, die "x-mal hin und her gewendet und durchgerechnet" wurden. Einig sind sich die Kommentatoren, dass der Gesetzgeber zu lange untätig blieb.

Das Hbl (Reiner Reichel) stellt in einem separaten Beitrag drei Modelle für die Reform vor: Nach Grundstückswert und Gebäudewert, nach Grundstücksgröße und nach Bodenwert. Die SZ (Wolfgang Janisch) erwägt zusätzlich das alte Einheitsmodell mit aktuellen Verkehrswerten als Option. Auch die Welt (Michael Fabricius) befasst sich mit Alternativmodellen. Martin Greive (Hbl) weist anlässlich der Entscheidung darauf hin, in welchen Punkten die Regierung in Steuersachen ebenfalls still stand und damit den "Reparaturbetrieb" nach Karlsruhe auslagerte. Sie müsse wieder selbst Steuerpolitik betreiben.

Rechtspolitik

Nichtzulassungsbeschwerden: Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, gab gegenüber der NJW an, dass die Streitwertuntergrenze von 20.000 Euro für Nichtzulassungsbeschwerden vor dem Bundesgerichtshof wohl bis Ende 2020 verlängert werde. Die BGH-Präsidentin Bettina Limperg hatte vor einer Prozessflut gewarnt, sollte § 26 des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung Ende Juni auslaufen, so die Vorabmeldung der NJW (Joachim Jahn).

Schutz der sexuellen Identität: Wie lto.de meldet, hat Berlin am vergangenen Freitag eine Bundesratsinitiative beschlossen, derzufolge Artikel 3 Grundgesetz künftig die sexuelle und geschlechtliche Identität vor Diskriminierung schützen soll.

Kopftuchverbot: Die SZ (Constanze von Bullion) fasst die Reaktionen aus der Politik auf den Vorstoß des nordrhein-westfälischen Integrationsministers Joachim Stamp (FDP) zu einem Kopftuchverbot für unter 14-jährige Mädchen zusammen. Diese gehen über Zweifel an einem Verbot als Integrationsmaßnahme, verfassungsrechtliche Bedenken bis zur Zustimmung zum Vorhaben aus Kindesschutzgründen.

Constanze von Bullion (SZ) hält es für verfassungswidrig, das Erziehungsrecht ausschließlich von muslimischen Eltern auszuhöhlen. In den Fällen, in denen muslimische Mädchen das Kopftuch nicht freiwillig tragen, betont sie: "Muslimische Mädchen brauchen Ermutigung, ihren eigenen Kopf durchzusetzen. Mehr Bevormundung brauchen sie nicht."

Verschleierung: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman erklärte, die Scharia fordere lediglich dezente Kleidung, aber keine Kopfbedeckung. Auch das ägyptische oberste Verfassungsgericht erkennt eine entsprechend liberalere Kleiderordnung für Frauen. Der FAZ-Einspruch (Birgit Spießhofer) sieht hier eine Orientierungshilfe für deutsche Gesetzgeber und Gerichte in Bekleidungsfragen an Schulen und Gerichten.

Schärfere Streikregeln: Gegenüber dem Hbl (Frank Specht) fordert der Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann ergänzende Verhaltensregeln für Streiks im Luft- und Bahnverkehrssektor und anderen Sektoren der Daseinsvorsorge – etwa verbindliche Vorwarnzeiten. Sonst würden unbeteiligte Dritte unverhältnismäßig betroffen.

"Wenn Gewerkschaften Warnstreiks Tage im Voraus ankündigen sollen, können sie gleich die Kapitulationsurkunde unterzeichnen.", moniert Frank Specht (Hbl). Dennoch wünscht er einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Arbeitskampf.

Sanktionsrecht für Unternehmen: Die große Koalition will das Sanktionsrecht für Unternehmen reformieren, etwa klare Verfahrensregeln schaffen und die Sanktionsmöglichkeiten erweitern. Der Anwalt Bernd Mayer erörtert für die FAZ insbesondere die geplanten gesetzlichen Vorgaben zu internen Ermittlungen durch die Unternehmen selbst.

Vorsatz und Fahrlässigkeit: Anlässlich der Autoraser-Fälle erläutert die Strafrechtsprofessorin Tatjana Hörnle im FAZ-Einspruch ausführlich, warum sie befürwortet, die Dichotomie von Vorsatz und Fahrlässigkeit abzuschaffen und durch andere Kategorien – etwa Leichtfertigkeit – zu ersetzen. Sie hält es für fraglich, dass es verwerflicher sein soll, etwas zu wollen, als auf einen "guten Ausgang" zu setzen.

Justiz

BGH zu Aufnahmen von Tierleid: Illegal aufgezeichnete Filmaufnahmen dürfen veröffentlicht werden, wenn sie Missstände von erheblichem öffentlichen Interesse zeigen, entschied der Bundesgerichtshof. Damit darf der MDR weiterhin Aufnahmen von üblen, aber rechtmäßigen Zuständen eines Ökogeflügelhofs verbreiten. Der Erzeugerzusammenschluss Fürstenhof GmbH aus Mecklenburg-Vorpommern hatte sich in der Vorinstanz noch erfolgreich gegen die Verbreitung gewehrt. Die taz (Christian Rath) und die FAZ (Constantin van Lijnden) berichten.

BGH – Dashcam: Der Bundesgerichtshof befasst sich derzeit mit der Frage, ob Aufnahmen von Dashcams als Beweismittel vor Gericht zulässig sein können. Im vorliegenden Fall hatte ein Autofahrer in einem Zivilverfahren über eine Kollision mit einem anderen Autofahrer seine Dashcam-Aufnahmen als Beweis vorgebracht. Der KStA (Christian Rath) schildert auch die Rechtsauffassungen der Anwälte. Die Entscheidung des BGH sei am 15. Mai zu erwarten.

EuGH zur Auslieferung von EU-Ausländern: Deutschland durfte einen wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen verdächtigen Italiener an die USA ausliefern, entschied der Europäische Gerichtshof. Der Betroffene hatte sich darauf berufen, der Auslieferungsschutz für deutsche Staatsbürger müsse auch für EU-Ausländer gelten. Der EuGH sieht diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt, weil die Auslieferung verhindern solle, dass Straftäter straflos bleiben. Die FAZ (Reinhard Müller) gibt auch die rechtsstaatlichen Grundsätze bei Auslieferungen wieder.

OLG München – NSU: Die am gestrigen Dienstag erwarteten Plädoyers der Verteidiger von Beate Zschäpe sind auf den heutigen Mittwoch verschoben worden. Die taz (Dominik Baur) fasst zusammen, wie es zur Vertagung kam – ein Verhandlungstag, der "kaum das Bild einer ernsthaften Veranstaltung" abgebe.

OLG Schleswig – Carles Puigdemont: Die FAZ (Helene Bubrowski) schildert ausführlich die Rechtsgrundlagen des europäischen Haftbefehls und die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit im Fall Puigdemont durch das Oberlandesgericht Schleswig. Die Richter seien hier sehr ins Detail gegangen. Nachdem das Ergebnis der Prüfung auch anders hätte ausfallen können, sei es nachvollziehbar, dass Spanien erwäge, die Frage nach dem Prüfungsumfang der Richter im Rahmen des europäischen Haftbefehls vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen.

"Auch gewählte Politiker haben nicht das Recht, die Demokratie außer Kraft zu setzen." Der spanische Schriftsteller Javier Cercas zeichnet für die SZ die separatistischen Entwicklungen nach, die nach seiner Ansicht in einen Staatsstreich mündeten. Er wundert sich über Äußerungen aus Deutschland, Carles Puigdemont solle nicht ausgeliefert werden und Spanien sei kein Rechtsstaat.

BVerfG zu Brauerei Beck: Die Brauerei Beck ist mit ihrer Verfassungsbeschwerde zur Gewerbesteuerpflicht vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Seit dem Jahr 2002 sind auch Gewinne von Kapitalgesellschaften aus der Veräußerung von Anteilen an einer Mitunternehmerschaft gewerbesteuerpflichtig. Die Brauerei sah den Gleichheitsgrundsatz und insbesondere das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verletzt. Rechtsanwalt Stefan Diemer gibt auf lto.de wieder, warum die Karlsruher Richter diese Argumentation nicht teilten. Auch die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet.

BFH  Berliner Testament: Rechtsanwalt Christian Ritter erörtert für FAZ-Einspruch einen Sonderfall des Berliner Testaments, über den der Bundesfinanzhof im Laufe des Jahres zu entscheiden hat. Der BFH hatte bereits Anfang 2013 erlaubt, dass Kinder den noch nicht verjährten Pflichtteilanspruch gegenüber dem erstverstorbenen Elternteil bei ihrem Erbe nach dem Tod des zweiten Elternteils als partielle Steuererleichterung geltend machen können, als Ausgleich für die "verschenkten" Freibeträge beim Tod des ersten Elternteils. Fraglich ist nun, wie dies rechtlich zu beurteilen ist, wenn die Einrede der Verjährung gegen den Pflichtteilanspruch möglich ist, aber kein Berechtigter sie vorbringt.

LG Traunstein zu Kindesmissbrauch: Das Landgericht Traunstein hat Martin R. zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern in drei Fällen und zum schweren Missbrauch in fünf Fällen verurteilt. Laut Staatsanwaltschaft hat er eine philippinische Mutter dafür bezahlt, ihre unter zehnjährigen Kinder während einer Live-Übertragung über Webcam nackt zu zeigen und sexuelle Handlungen an ihnen vorzunehmen, so spiegel.de (Tobias Lill).

LG Mühlhausen zu Mordversuch an Schule: Das Landgericht Mühlhausen hat einen 15-Jährigen zu einer Jugendstrafe von acht Jahren wegen versuchten Mordes und schwerer Körperverletzung verurteilt. Wie er gestand, habe er einen Mitschüler mit Messerstichen angegriffen, um zu erfahren, wie es sich anfühlt, einen Menschen zu töten. Dieser ist nun querschnittsgelähmt, meldet spiegel.de.

Recht in der Welt

EuGH – Aufenthaltsrecht von Lebenspartnern: Menschen aus Drittstaaten, die mit EU-Bürgern in einer rechtlich ungebundenen Beziehung leben, haben nicht automatisch ein Aufenthaltsrecht innerhalb der EU. Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Michal Bobek argumentiert in seinen Schlussanträgen, die Mitgliedstaaten müssten die Lebensumstände allerdings genau prüfen und begründen, wenn sie das Aufenthaltsrecht verweigern, schreibt lto.de (Tanja Podolski).

Sonstiges

U-Ausschuss Amri: Wie die SZ (Reiko Pinkert/Ronen Steinke) mitteilt, hat der Berliner Innensenator die Observationsberichte zum Zeitraum, in dem Anis Amri aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin reiste, noch nicht an den Untersuchungsausschuss übergeben. Die Dokumente sollen auch belegen, dass das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt das Berliner LKA über den Ortswechsel informiert und um heimliche Beobachtung Amris gebeten habe. Die Ausschussmitglieder betonten ihr Unverständnis.

Politische Werbung in sozialen Medien: Junior Researcher Amélie Heldt setzt sich auf juwiss.de mit politischer Werbung auf Facebook auseinander. Demokratieaspekte erforderten, dass Wahlberechtigte einen Rundumblick über die Wahlthemen erhielten und nicht aufgrund eines Algorithmus nur einen vorausgewählten Ausschnitt. Heldt betont, Transparenz würde die Nutzer und Bürger mündiger machen. 

Dekodieren von Emotionen: Die Anwältin Katy Ritzmann beschäftigt sich für die FAZ mit der Frage, wie das Dekodieren von Emotionen ("Emotional Decoding") durch Technologien datenschutzrechtlich erfasst werden könne. Fraglich sei hier etwa je nach Zweck der Dekodierung der Personenbezug. Sie fordert insbesondere vor dem Hintergrund der kommenden Datenschutzgrundverordnung einen verantwortungsvollen Umgang mit sämtlichen Daten.

Bürokratiekritik: Wie wird Bürokratie wahrgenommen? Warum gibt es Bürokratiekritik? Zu diesen Fragen forscht Pascale Cancik, Professorin für Öffentliches Recht. FAZ-Einspruch (Katja Gelinsky) schildert ausführlich bisherige Erkenntnisse und ordnet sie geschichtlich und in den derzeitigen politischen Kontext ein. Besonders kritisch sei die Entbürokratisierung mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit zu sehen.

Palandt: Die FAZ (Alexandra Kemmerer) zeichnet im Ressort Geisteswissenschaften ausführlich die Debatte um die Umbenennung des Palandts nach. Kritiker stoßen sich daran, dass der Namensgeber Otto Palandt ein nationalsozialistischer Justizfunktionär war.

Parlamentarische Staatssekretäre: Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Stefan Ruppert setzt sich im FAZ-Einspruch mit einer "Erosion der Gewaltenteilung" durch die Zunahme der Parlamentarischen Staatssekretäre auseinander. Einflussreiche Abgeordnete würden durch das Amt in eine "erweiterte Kabinettsdisziplin" eingebunden, was die Exekutive stärke und das Parlament schwäche.

Selbstverteidigungsrecht: Der Völkerrechtstutor Christian Richter legt im FAZ-Einspruch anlässlich des Falls Skripal die Voraussetzungen des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts dar. Die politische Rhetorik Großbritanniens, der USA und der Nato gegenüber Russland deute auf eine Anwendung des Selbstverteidigungsrechts hin und lasse hier einen Paradigmenwechsel vermuten.

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lto/vb

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. April 2018: Grundsteuer verfassungswidrig / Hoffnung für BGH / Illegale Filmaufnahmen von Tierleid . In: Legal Tribune Online, 11.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27985/ (abgerufen am: 02.05.2024 )

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