Die juristische Presseschau vom 8. September 2020: Pop-up-Rad­wege müssen weg / WEG-Reform kommt / Ver­tei­diger belastet Ver­tei­diger

08.09.2020

Nach einem Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts müssen die neuen Pop-up-Radwege wieder weg. Die Koalition hat sich auf eine Änderung des WEG verständigt und im Lübcke-Prozess wird der ehemalige Verteidiger schwer belastet.

Thema des Tages

VG Berlin zu Pop-up-Radwegen: Die von der Berliner Senatsverwaltung kurzfristig eingerichteten Radwege sind nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin rechtswidrig. Für die Radwegeinrichtung sei eine Gefahrenlage erforderlich, die nicht dargelegt worden sei. Der Verweis auf die Corona-Pandemie genüge nicht. Der Eilantrag war von einem AfD-Abgeordneten (als Autofahrer) gestellt worden. Die Senatsverwaltung hat Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht angekündigt, wie die SZ (Markus Balser), die FAZ (Markus Wehner), die taz (Bert Schulz) und LTO berichten.

Für Bert Schulz (taz) offenbart die Entscheidung die "Autolastigkeit der StVO", die dringend überarbeitet werden müsse. Torsten Krauel (Welt) sieht hingegen die Kritik an der Senatsverwaltung bestätigt: "Das Rechtsstaatsgefüge eignet sich nicht für demonstrative Gedankeneingebungen und Mal-eben-Beschlüsse."

Rechtspolitik

Wohnungseigentumsgesetz: Laut spiegel.de (Gerald Traufetter) haben sich Rechtspolitiker der Koalition auf eine Reform des Wohnungseigentumsgesetzes geeinigt. Danach soll künftig die Mehrheit der Wohnungseigentümer bauliche Veränderungen am Gebäude durchsetzen können, wenn sie selbst dafür zahlt. Bei einer Zweidrittelmehrheit sollen alle Eigentümer zahlen, vorausgesetzt die Kosten sind verhältnismäßig. Zudem sollen umweltfreundliche Modernisierungen erleichtert werden.

Gewalt gegen Polizisten: Das Bundesjustizministerium sieht keinen Bedarf für eine Verschärfung der Bestimmungen, die Widerstand und tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte unter Strafe stellen. Das schreibt LTO (Hasso Suliak). Aus der Union sind entsprechende Forderungen laut geworden, nachdem es am Wochenende in Leipzigs linkem Szeneviertel Connewitz zu Ausschreitungen gekommen war.

Geldwäsche: Die Rechtsanwälte Daniel Kaiser und Sophie Bruckner beschäftigen sich im FAZ-Einspruch mit der geplanten Verschärfung des Geldwäscheparagraphen. Künftig soll das Einschleusen illegaler Vermögenswerte in den legalen Wirtschaftskreislauf unabhängig davon strafbar sein, aus welchem Delikt sie stammen. Im Gegenzug soll die Strafbarkeit der leichtfertigen Begehung entfallen. Der Gesetzentwurf statuiere einen Grundsatz, der als "Know your business partner and their payment sources-Prinzip" bezeichnet werden könne, so die Autoren. Kritik an den Plänen des Justizministeriums kommt aus dem Bankensektor, wie die FAZ (Tim Kanning) schreibt. Die Banken fürchten mehr Verdachtsfälle und in der Folge mehr Aufwand bei den Meldungen an die Ermittlungsbehörden.

Lieferketten und Menschenrechte: Die Welt (Stefan Seewald) beschreibt, wie sich die Wirtschaft gegen das geplante Lieferkettengesetz wehrt. Mit dem Gesetz soll die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards bei der Produktion im Ausland durchgesetzt werden. Die FAZ (Philip Plickert u.a.) stellt bereits bestehende Regelungen in anderen Ländern vor.

Unternehmenssanktionen: Über den Widerstand verschiedener Bundesländer gegen die geplanten Unternehmenssanktionen berichtet das Hbl (Heike Anger). Das Plenum des Bundesrats soll sich am 18. September mit dem Thema befassen.

Schiffsicherheit und Seenotrettung: Die Juristen Vera Magali Keller, Nassim Madjidian und Florian Schöler kritisieren auf dem Verfassungsblog die Änderung der Schiffsicherheitsverordnung durch das Bundesverkehrsministerium. Die nun bekannt gewordenen Unterlagen aus dem Ministerium würden zeigen, dass die Verschärfung der Sicherheitsvorschriften darauf abziele, die Seenotrettung von Flüchtlingen zu behindern. Die betroffenen Nichtregierungsorganisationen seien zudem nicht beteiligt worden. Hintergrund ist ein Beschluss des Hamburger Oberverwaltungsgerichts, das nach der alten Rechtslage entschieden hatte, dass ehrenamtliche Seenotrettung als Freizeitzweck weniger strengen Anforderungen unterliege.

Digitale Rechtssprache: In einem Gastbeitrag für das Hbl fordert Dierk Schindler, Vorstand des Liquid Legal Institute, die Einführung einer öffentlichen "Common Legal Platform", die Standards und Schnittstellen für den digitalen Rechtsverkehr anbietet. Sich auf den privaten Rechtsmarkt zu verlassen, funktioniere nicht.

Justiz

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Im Prozess um den Mord an Walter Lübcke ist Mustafa Kaplan, Verteidiger des Hauptangeklagten Stephan E., in den Zeugenstand getreten und hat den ehemaligen Verteidiger Frank Hannig schwer belastet. Hannig habe ihm gesagt, dass die zweite Version von Stephan E., nach der der Mitangeklagte Markus H. Lübcke versehentlich erschossen habe, Hannigs Erfindung gewesen sei. Zur Rechtfertigung habe Hannig gesagt, im Strafprozess dürfe man lügen. Vernommen wurde auch Dirk Waldschmidt, der am Anfang der Ermittlungen Verteidiger war. Der Anwalt, der auch schon die hessische NPD vertreten hat, gab an, von einem anonymen Anrufer gebeten worden zu sein, Stephan E. zu unterstützen. Über die Verhandlung berichten die FAZ (Marlene Grunert), die SZ (Anika Blatz), spiegel.de (Julia Jüttner) und LTO.

OLG Dresden – Gruppe Freital: Im Prozess gegen vier Rechtsextreme aus Freital haben die Angeklagten angekündigt, Aussagen zu machen. Ihnen wird vorgeworfen, an den Anschlägen der Gruppe Freital vor etwa fünf Jahren beteiligt gewesen zu sein. Bereits 2018 waren acht lokale Rechtsextremisten unter anderem wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Die taz (Konrad Litschko) berichtet.

AG Düsseldorf/VG Düsseldorf – Metzelder: Der ehemalige Fußballprofi Christoph Metzelder hat nach Informationen von focus.de (Axel Spilcker) beim Verwaltungsgericht Düsseldorf einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung gestellt, mit der dem Amtsgericht aufgegeben werden soll, Informationen über das gegen Metzelder laufende Strafverfahren von der Internetseite zu nehmen. Das Amtsgericht hatte am Freitag mitgeteilt, dass Anklage gegen den ehemaligen Fußballprofi erhoben wurde, dem die Verbreitung kinderpornographischer Schriften vorgeworfen wird.

Rechtsanwalt Martin W. Huff erläutert auf LTO anhand des Falls Metzelder, wann Behörden und Gerichte unter Namensnennung über Ermittlungsverfahren informieren dürfen. Die Anklageerhebung gegen Metzelder ist nach seiner Auffassung ein Ereignis der Zeitgeschichte, bei dem auch ohne Zustimmung des Betroffenen berichtet werden dürfe.

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Im Prozess gegen Arafat Ablou-Chaker vor dem Landgericht Berlin ging es um die Geschäftsbeziehungen zwischen dem Angeklagten und dem Rapper Bushido. Bushido wirft Abou-Chaker vor, ihn unter Druck gesetzt zu haben. Über die Zeugenaussage berichten die FAZ (Julia Schaaf), die Welt (Sebastian Gubernator), spiegel.de (Wiebke Ramm) und zeit.de (Tina Groll).

StA Berlin – taz-Kolumne: Die Staatsanwaltschaft Berlin sieht keinen Anfangsverdacht wegen Beleidigung gegen die taz-Autorin Hengameh Yaghoobifarah. Das berichten der Tsp (Jost Müller-Neuhof) und die taz (Christian Rath). Yaghoobifarah wird vorgeworfen, in ihrer Kolumne mit dem Titel "All cops are berufsunfähig" Polizisten mit Müll gleichgesetzt zu haben. Die Staatsanwaltschaft prüfte aus Anlass von Strafanzeigen, ob eine Beleidigung oder eine Volksverhetzung vorlag, sah die Kolumne aber von der Meinungsfreiheit gedeckt. Heute will sich der Presserat aufgrund von Beschwerden mit dem Text befassen.

StA Köln – Cum-Ex: Die Bürgerbewegung "Finanzwende" fordert in einer Petition an NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Einsetzung einer Sonderkommission zur Aufklärung des Cum-Ex-Skandals. Das berichtet die FAZ (Marcus Jung). Bei der Staatsanwaltschaft Köln, die die Ermittlungen leite, stünden weniger als 50 Mitarbeiter einer Armada von Anwälten gegenüber.

LG Frankfurt/M. – Cum-Ex: Vor dem Landgericht Frankfurt am Main wurde die Klage der Hamburger Privatbank M.M. Warburg gegen die Deutsche Bank verhandelt. Die Privatbank, die in den Cum-Ex-Skandal verwickelt ist, verlangt Schadensersatz, weil die Deutsche Bank es pflichtwidrig versäumt habe, Kapitalertragsteuer abzuführen. Laut FAZ (Marcus Jung) äußerte das Gericht Zweifel an der Begründetheit der Klage.

BVerfG zu inklusivem Schulbesuch: Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem Beschluss von Juli den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die eine Mutter beantragt hatte, nachdem sie sich für eine inklusive Beschulung ihres Kindes entschieden und ihr daraufhin das Sorgerecht zur Regelung schulischer und gesundheitlicher Belange entzogen wurde. Der ehemalige Richter Volker Igstadt kritisiert auf dem Verfassungsblog die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Folgenabwägung. Sie setze sich über die Wertungen des rheinland-pfälzischen Schulgesetzes hinweg, nach dem inklusive Beschulung und Förderschule gleichwertig seien. Zu befürchten sei ein Rückschritt bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

AG Memmingen zu Diskriminierung beim Fischertag: Jost Müller-Neuhof (Tsp) kommentiert jetzt auch das Urteil des Amtsgerichts Memmingen, nach dem Frauen nicht vom traditionellen Ausfischen in Memmingen ausgeschlossen werden dürfen. Es sei unglaublich, dass man in Deutschland klagen müsse, um so etwas zu erreichen.

Corona-Listen in der Justiz: Im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) schildert Ralph Guise-Rübe, Präsident des Landgerichts Hannover, den Umgang mit den Listen, die niedersächsische Gerichte anlegen müssen, um Infektionen unter den Besuchern nachverfolgen zu können. Die Listen würden in der Verwaltungsgeschäftsstelle des Gerichts hinterlegt und nach einem Monat vernichtet. Bisher habe noch niemand abgewiesen werden müssen, weil er oder sie sich geweigert habe, die Daten abzugeben.

Recht in der Welt

Großbritannien – Julian Assange: In London wurde die Verhandlung zur Auslieferung von Julian Assange an die USA fortgesetzt. Dort drohen dem Mann, der durch die Veröffentlichungen auf der Enthüllungsplattform Wikileaks bekannt geworden ist, bis zu 175 Jahren Haft. Den Neustart des Prozesses nach der Coronapause schildern spiegel.de (Jörg Schindler) und zeit.de.

Für Markus Beckedahl (Netzpolitik.org) handelt es sich bei dem Verfahren um einen Angriff auf die Pressefreiheit. Wikileaks sei bei den Veröffentlichungen ganz klar in ein "journalistisches Ökosystem" eingebunden gewesen.

Ungarn – Wissenschaftsfreiheit: Anlässlich der Studierendenproteste an der Universität für Theater- und Filmkunst in Budapest befasst sich der Doktorand Viktor Z. Kazai auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) mit den Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit in Ungarn und mit der Kulturpolitik des Orbán-Regimes.

Sonstiges

Terror gegen Juden: Rechtsprofessor Kai Ambos rezensiert auf LTO zustimmend das Buch "Terror gegen Juden" des Juristen und Journalisten Ronen Steinke. Laut Ambos gehört der Schutz von Minderheiten zu den "vornehmsten Pflichten eines Rechtsstaats". Zum besseren Schutz der Juden in Deutschland bedürfe es keiner Gesetzesänderungen, sondern einer Anwendung schon existierender Möglichkeiten, etwa bei der Strafzumessung bei antisemitischen Taten.

 

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lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. September 2020: Pop-up-Radwege müssen weg / WEG-Reform kommt / Verteidiger belastet Verteidiger . In: Legal Tribune Online, 08.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42729/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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