Durchsuchungen von Kanzleien bei Internal Investigations: Wenn der Staat seinen Hilfss­he­riffs mis­s­traut

von Marcus Creutz

13.04.2017

2/2: Durchsuchung und Beschlagnahme bei Anwälten zulässig? 

Nach § 160a der Strafprozessordnung ist eine Ermittlungsmaßnahme unzulässig, die sich unter anderem gegen einen Strafverteidiger oder einen Rechtsanwalt richtet und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte. "Ob diese Vorschrift im Fall Jones Day anzuwenden ist, kann ein Außenstehender nicht beurteilen. Denn entscheidend ist, wie das Mandatsverhältnis ausgestaltet ist", erklärt Strafverteidigerin Renate Verjans.

Die Namenspartnerin der Düsseldorfer Strafrechtskanzlei Verjans Böttger Berndt sieht aber eine Besonderheit darin, dass Jones Day im Rahmen des US-amerikanischen Verfahrens als unabhängige Ermittler, aber auf Kosten und im Auftrag des Unternehmens tätig sei. Insoweit handele es sich um eine Sachverhaltsvariante, die hierzulande noch nicht entschieden worden sei.

Dazu kommt: "Das Leitbild der Strafprozessordnung ist der Individualverteidiger. Den Unternehmensstrafverteidiger gibt es in der StPO nicht.  Ein Beschlagnahmeverbot gilt aber immer dann, wenn das Gericht gegen das Unternehmen eine Nebenbeteiligung angeordnet hat. Das ist dann der erste Schritt zur Unternehmensgeldbuße", erläutert Verjans und fügt hinzu: "Für die Zeit vor einer solchen Anordnung ist die Rechtsprechung im Hinblick auf die Beschlagnahme von Unterlagen aus internen Untersuchungen bei den vom Unternehmen mandatierten Rechtanwaltskanzleien nach wie vor uneinheitlich".

Die Durchsuchung bei Jones Day ist kein Einzelfall. So hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg im Zusammenhang mit internen Ermittlungen gefertigte Protokolle in den Hamburger Büroräumen von Freshfields beschlagnahmt. Während das Landgericht Hamburg die Durchsuchung für rechtmäßig hielt (Beschl. v. 15.10.2010, Az. 608 Qs 18/10), stärkte das Landgericht Mannheim Anwälten den Rücken (Beschl. v. 03.07.2012, Az. 24 Qs 1/12) . Seiner Ansicht nach sind die Staatsanwaltschaften und die zuständigen Ermittlungsrichter nämlich nicht befugt, die brisanten Unterlagen mit staatlichen Zwangsmitteln wie Kanzleidurchsuchungen und Beschlagnahmen einzukassieren. Eine Ausnahme von dieser Regel gilt nach dem Richterspruch allerdings dann, wenn Unternehmen Unterlagen mit dem Ziel der Beweisvereitelung in die Kanzleiräume verbringen.  

Interne Ermittler schärfer als der Staatsanwalt

Unabsehbaren Schaden können interne Ermittlungen auch bei der Belegschaft anrichten. Denn so manches Unternehmen ermittelt in eigenen Angelegenheiten schärfer als der Staatsanwalt, der qua Gesetz belastende und entlastende Tatsachen gegen einen Beschuldigten suchen muss.

Die eingesetzten Unternehmensanwälte sind dagegen einseitige Interessenvertreter ihres jeweiligen Auftraggebers. Jürgen Wessing bestätigt: "Für die Mitarbeiter sind interne Untersuchungen in den meisten Fällen gefährlicher als staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Bei Letzteren gibt es Auskunftsverweigerungsrechte, Akteneinsichtsrechte, die Möglichkeit, Beweisanträge zu stellen."

Gegenüber dem Unternehmen hingegen sei der Mitarbeiter immer auskunftspflichtig, das im Grundgesetz für Strafverfahren normierte Prinzip des nemo tenetur gelte eben nicht im Privaten. Wessing spricht offen aus, was viele Ermittler lieber unter dem Teppich halten: "Internal Investigations passen überhaupt nicht in das Strafrechtssystem. Es ist ein Systembruch."

Um die privaten Ermittlungen von Anwälten gleichwohl mit der Strafprozessordnung zu harmonisieren, hat der BRAK-Aussschuss Strafrecht unter Federführung der Düsseldorfer Strafverteidigerin Anne Wehnert und Alfred Dierlamm unter dem Eindruck des Siemensskandals bereits 2010 Empfehlungen ausgearbeitet, die in der Praxis viel Beachtung erfahren haben. Diese richten sich an externe Anwälte, die das Unternehmen im Zusammenhang mit einem bereits eingeleiteten oder drohenden Ermittlungsverfahren in Wirtschaftsstrafsachen beraten. 

Für Dierlamm beinhalten die BRAK-Empfehlungen "wichtige Vorgaben, die als Mindeststandards einer fairen und rechtsstaatlich geprägten Untersuchung einzuhalten sind. Untersuchungen, die hinter diesen Mindeststandards zurückbleiben, laufen Gefahr, von Ermittlungsbehörden als unverwertbar angesehen zu werden." Dort findet sich das Recht des Befragten auf einen Anwalt ebenso wie der Umgang mit Mail-Accounts der Mitarbeiter.

Staatsanwaltschaftliche Durchsuchungen vermeiden: Dos and Don'ts

Können Kanzleien, die interne Ermittlungen durchführen, Durchsuchungen vermeiden? Jürgen Wessing dämpft die Erwartungen: "Absolut sichere Tipps gibt es nicht. Wenn eine Kanzlei gegenüber der Staatsanwaltschaft Kooperation beteuert, muss sie peinlich darauf achten, vollkommen offen und transparent zu sein. Jeder Verdacht, dass die interne Ermittlung dazu benutzt wird, bestimmte Bereiche aus dem Blickfeld der Staatsanwaltschaft zu verschieben, führt zu Durchsuchung und im Extremfall sogar zum Ermittlungsverfahren gegen den Anwalt."

Alfred Dierlamm rät dringend davon ab, Beweismittel in sog. beschlagnahmefreie Räume zu verlagern, um sie vor behördlicher Beschlagnahme zu schützen: "Unabhängig von der – in der Rechtsprechung umstrittenen – Frage, ob bei internen Untersuchungen ein Beschlagnahmeschutz besteht, kann es zu erheblichen Irritationen bei den Ermittlungsbehörden führen, wenn der Eindruck entsteht, dass Unterlagen aus dem Zugriffsbereich der Ermittlungsbehörden entfernt bzw. 'ausgelagert' werden sollen."

Für kritische Unterlagen gibt es ohnehin keinen sicheren Aufbewahrungsort. "Der Versuch, derartige Unterlagen vor dem Staatsanwalt in Sicherheit zu bringen, ist eine der sichersten Möglichkeiten, hinter Gitter kommen. Verdunkelungsgefahr heißt dann das Schlagwort. In der heutigen Zeit, in der jede E-Mail dutzendfach in cc gesetzt und weitergeleitet wird, jedes Dokument in vielfacher Ausfertigung existiert, ist es schlicht unmöglich, Unterlagen zu verbergen", verdeutlicht Wessing.

Daraus zieht Renate Verjans den einfachen Schluss: "Je weniger Unterlagen aus den internen Ermittlungen existieren, die für die Ermittlungsbehörden von Interesse sein könnten, desto weniger Gefahr besteht auch für Durchsuchungen." Existieren solche Unterlagen allerdings, wie beispielweise Interviewprotokolle, seien sie, so Verjans, trotz der beschriebenen unklaren Rechtslage immer noch besser in den Kanzleien aufzubewahren als in den Unternehmen selbst. Wolle man eine Durchsuchung der Kanzleiräume verhindern, müssten zumindest die Ergebnisse der internen Untersuchung  - wie beispielsweise ein Abschlussbericht - in der Regel  allerdings herausgegeben werden.

Zitiervorschlag

Marcus Creutz, Durchsuchungen von Kanzleien bei Internal Investigations: Wenn der Staat seinen Hilfssheriffs misstraut . In: Legal Tribune Online, 13.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22656/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen