Todesstrafe in den USA: Ein Ende mit Schrecken

Interview mit Prof. Andrew Hammel, LL.M. (Harvard)

05.02.2014

15 Minuten dauerte der Todeskampf eines Verurteilten in Ohio am 16. Januar, weil der US-Bundesstaat einen neuen Giftmix ausprobierte. Eine für diesen Mittwoch angesetzte Hinrichtung in Louisiana wurde in letzter Minute verschoben. Warum ein Staat, der vor über 40 Jahren auf dem Mond landen konnte, heute daran scheitert, die Todesstrafe wenigstens schmerzfrei zu vollstrecken, erläutert Andrew Hammel im Interview.

LTO: Herr Professor Hammel, wie wurden Hinrichtungen in den USA bisher durchgeführt?

Hammel: Die mit Abstand häufigste Methode ist die Giftspritze. Diese wurde bisher mit einer Rezeptur aus drei Komponenten verabreicht: Eine, die den Betroffenen ohnmächtig werden lässt, eine, die die Muskulatur lähmt, und eine dritte, die den Herzschlag stoppt – in dieser Reihenfolge. Dieses Verfahren wurde 1977 mit dem Ziel entwickelt, die Hinrichtung so human wie möglich zu gestalten. Ob es das wirklich tut, ist aber seit jeher umstritten. Es gibt wissenschaftlich unterstützte Hinweise darauf, dass die Bewusstlosigkeit zu früh enden könnte. Die betroffenen Personen würden dann einen qualvollen Tod sterben, ohne dies signalisieren zu können, weil ihre Muskulatur ja gelähmt ist.

LTO: Wurden diese Bedenken auch vor Gerichten vorgetragen?

Prof. Andrew Hammel, LL.M.Hammel: Es gab diverse Klagen, gestützt auf den achten Zusatz der amerikanischen Verfassung, der "grausame und ungewöhnliche" Bestrafung verbietet. Eine davon, Baze vs. Rees, hat es bis vor den Supreme Court gebracht, blieb dort allerdings erfolglos. Die Kläger konnten nicht mit der nötigen Bestimmtheit nachweisen, dass ihre Bedenken zutreffen. Das liegt aber in der Natur der Sache, denn die bei Hinrichtungen verwendeten Substanzen werden in der regulären Medizin kaum angewendet, und sind auch ansonsten nur wenig erforscht. Es gibt also keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob sie wirklich genau so wirken, wie sie sollen.

"Das Mittel in Ohio war neu und unerprobt"

LTO: Einen Effekt haben die Proteste gegen die Todesstrafe aber offenbar dennoch: Die Hersteller der Wirkstoffe weigern sich, diese weiter an die USA zu verkaufen.

Hammel: Ja, die Herstellerfirmen sitzen überwiegend in Europa, wo man der Todesstrafe sehr kritisch gegenübersteht. Für die ist es natürlich keine gute PR, wenn darauf aufmerksam gemacht wird, dass ihre Erzeugnisse verwendet werden, um Menschen umzubringen. Letztlich ändert das aber nur wenig: Die USA werden die Todesstrafe nicht abschaffen, nur weil dieses oder jenes Mittel nicht mehr verfügbar ist. Dann nehmen sie eben eine neue Substanz, wie kürzlich in Ohio.

LTO: Dieselbe Substanz sollte am 5. Februar in Louisiana für eine weitere Hinrichtung eingesetzt werden, die nun in letzter Minute um drei Monate verschoben wurde. Wie ist es überhaupt möglich, dass ein solches Mittel noch einmal zum Einsatz kommen soll, nachdem der Hingerichtete in Ohio 15 Minuten lang mit dem Tod rang?

Hammel: Zum Teil wohl aus Mangel an Alternativen, zum Teil auch, weil es keine klaren, gesetzlichen Vorschriften gibt, nach denen der eine Stoff erlaubt und der andere verboten wäre. Den Goldstandard unter den Giftmischungen, von dem mit Sicherheit feststeht, dass er einen Menschen völlig schmerzfrei tötet, scheint es tatsächlich bislang nicht zu geben.

"Hinrichtungen müssen nicht nur human sein, sondern vor allem human aussehen"

LTO: Es ist kein schönes Gedankenspiel, aber wenn ich es mir aussuchen müsste, würde ich sicher lieber erschossen werden, als durch einen Giftmix möglicherweise minutenlang zu leiden. Wieso räumt man den zum Tode Verurteilten nicht zumindest dieses Recht ein?

Hammel: Tatsächlich gibt es die Todesstrafe durch Erschießung noch in einem Bundesstaat, nämlich Utah. Vereinzelt werden Menschen auch noch auf dem elektrischen Stuhl oder in Gaskammern hingerichtet. Mit Abstand am verbreitetsten ist aber die Giftspritze.

Das hängt mit der Rechtsprechung des Supreme Court zusammen, die er in der oben erwähnten Entscheidung deutlich gemacht hat. Danach darf eine Hinrichtung nicht nur nicht grausam sein, sondern auch nicht grausam aussehen. Daraus wird gefolgert, dass Hinrichtungsarten, die deutliche Spuren am Körper hinterlassen, verboten sind. Höchstwahrscheinlich ist die Praxis in Utah verfassungswidrig, aber die dortige Gesetzgebung wurde eben noch nicht vor dem Supreme Court angegriffen. Die meisten Bundesstaaten wollten aber schon die Möglichkeit eines solchen Angriffs ausschließen, und haben alle Hinrichtungsarten außer der Giftspritze abgeschafft.

LTO: Hat der Supreme Court den Todeskandidaten damit einen Bärendienst erwiesen?

Hammel: Das kann man so sehen. Während der Übergangsphase von traditionelleren Hinrichtungsmethoden zur Giftspritze wurde den Betroffenen teilweise ein Wahlrecht eingeräumt, wenn zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung noch die traditionelle Methode üblich gewesen war. Viele haben dann tatsächlich diese Methode gegenüber der Giftspritze bevorzugt – eine Option, die sie heute nicht mehr haben. Gut möglich also, dass die Betroffenen heute im Interesse eines "saubereren" äußeren Anscheins mehr leiden müssen, als eigentlich nötig wäre.

Prof. Andrew Hammel, LL.M. (Harvard) ist Juniorprofessor für Amerikanisches Recht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist Autor des Buches Ending the Death Penalty: The European Experience in Global Perspective und war zehn Jahre als Verteidiger für Strafgefangene im Todestrakt texanischer Gefängnisse tätig.

Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.

Zitiervorschlag

Prof. Andrew Hammel, LL.M. (Harvard), Todesstrafe in den USA: Ein Ende mit Schrecken . In: Legal Tribune Online, 05.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10890/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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