Gerichtshof für Völkermord in Ruanda: Ein Expe­ri­ment inter­na­tio­naler Gerech­tig­keit

17.08.2015

Der Genozid in Ruanda zählt zu den schlimmsten Menschheitsverbrechen aller Zeiten. Ende 2015 schließt der Internationale Gerichtshof für den Völkermord. Nur ein Fall ist noch in Revision. Was bleibt, sind Meilensteine der internationalen Strafgerichtsbarkeit.

In den Aufzügen des Internationalen Gerichtshofs für den Völkermord in Ruanda (ICTR) hängen Poster mit der Aufschrift: "Erinnerungsgegenstände gesucht". Sie wirken, als sei das Gericht im Norden Tansanias bereits Geschichte. Draußen am Eingang vor dem großen Gebäude in der Stadt Arusha ist das Blau des Logos der Vereinten Nationen zu einem hellen Grau verblasst, die Gänge sind verlassen.

In Arusha wurden mehr als 60 hochrangige Verbrecher verurteilt, die Initiatoren und Intriganten des Genozids, darunter Militärs, Politiker, ein Regierungschef, Journalisten. Doch Geschichte wird der ICTR erst am 31. Dezember sein: Nach 21 Jahren schließt er dann für immer, sein Auftrag ist beendet. Der ICTR hinterlässt bedeutende Errungenschaften in der internationalen Strafgerichtsbarkeit.

Ein Rückblick. Ruanda im April 1994: Der Bürgerkrieg ist seit einem Jahr beendet, der Frieden aber brüchig. Dann wird das Flugzeug des Hutu-Präsidenten Juvénal Habyarimana abgeschossen - von wem, das bleibt ungeklärt. Radikale Hutu nehmen die Tragödie zum Anlass, um einen Völkermord an der Tutsi-Minderheit und moderaten Hutu zu beginnen.

Die Welt schaute tatenlos zu

Das Land verfällt ins Chaos, Menschen werden erbarmungslos abgeschlachtet, in den Flüssen treiben Tote, extremistische Medien rufen zu Mord auf. Innerhalb von nur 100 Tagen werden nach UN-Schätzungen zwischen 800.000 und einer Million Menschen systematisch verfolgt und getötet. Die Vereinten Nationen ziehen ihre Friedenswächter ab, der Rest der Welt schaut tatenlos zu.

Anfang 1995 wird der ICTR in Arusha auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates eingerichtet. Heute ist noch ein Fall in Revision. Es geht um die ehemalige Familienministerin Pauline Nyiramasuhuko, die erste Frau, die für Völkermord schuldig gesprochen wurde. Das Gericht ist deswegen in den "Residualmechanismus" übergangenen, eine Art Übergangsgericht, zuständig für die Vollstreckung der Urteile, Zeugenschutz und Archivierung. Von einst 1.200 Mitarbeitern sind 190 verblieben.

Einer von ihnen ist Bongani Majola, der Verwaltungschef des Gerichts. Mit 63 Jahren ist er eigentlich schon im Rentenalter, aber "diese Aufgabe werde ich noch beenden", sagt er und blickt auf die blaue UN-Flagge neben ihm. Er betrachtet den ICTR als ein "Experiment" internationaler Gerechtigkeit: Es habe dem Rest der Welt gezeigt, dass internationale Strafjustiz keine Utopie sei, sondern möglich.

Erstmals Regierungschef wegen Genozid verurteilt

Majola ist stolz: Der ICTR habe als erstes internationales Gericht Urteile im Bezug auf Genozid gesprochen. "Nun hat kein Gericht mehr ein Problem, zu interpretieren, was Völkermord eigentlich heißt", sagt er. Mit Ruandas ehemaligem Premierminister Jean Kambanda wurde erstmals ein Regierungschef wegen Genozids verurteilt. Ein Meilenstein. "Damit haben wir gezeigt: Die Zeit, in der afrikanische Staatsoberhäupter mit ihren Menschen machen können, was sie wollen, ist vorbei", sagt Majola.

Zudem wurde Vergewaltigung zum ersten Mal als strategisches Instrument von Völkermord anerkannt. "Aber das reicht nicht", sagt Majola. Mehr Täter hätten aus seiner Sicht bestraft werden müssen. Nach UN-Angaben wurden zwischen 100.000 und 250.000 Frauen während des Genozids sexuell missbraucht.

Leicht war die Aufarbeitung nicht. Wie beweist man Straftaten, die Jahre zurück liegen? Wie findet man Zeugen? Bei ihren Gesprächen mit der Bevölkerung hatten die internationalen Ermittler in Ruanda mit Misstrauen und Sprachbarrieren zu kämpfen. Viele der Menschen waren nicht mit dem internationalen Rechtssystem vertraut und zuvor nie im Ausland gewesen. Es gestaltete sich schwierig, sie nach Arusha zu holen.

Verurteilte sitzen in UN-Mitgliedsstaaten

14 Beschuldigte wurden freigesprochen. Von den Verurteilten mussten manche nur ein paar Monate ins Gefängnis, andere lebenslänglich. Ihre Strafen sitzen sie in Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ab, die sich bereit erklärt haben, sie aufzunehmen - etwa Italien, Schweden, Mali.

Der Präsident und Vorsitzende Richter des ICTR, Vagn Joensen, bat den UN-Sicherheitsrat im Juni um eine Lösung für das "Problem der Umsiedlung der Freigesprochenen und Entlassenen, die noch in Arusha sind". Sie leben seit Jahren in einem geheimen UN-Unterschlupf.

Wenn das Tribunal seine Pforten schließt, werden die Gräueltaten aber noch immer nicht ganz aufgearbeitet sein. In Gerichten in Ruanda dauern die - vorwiegend gegen Zivilisten laufenden - Prozesse noch an. Erst kürzlich wurde in London der ruandische Geheimdienstchef Karenzi Karake gefasst. Er soll während des Genozids Massaker angeordnet haben.

Im ICTR hängt auch ein Poster mit den verbliebenen neun Flüchtigen. Ob man sie noch finden wird? "Die Ermittler arbeiten weiterhin", sagt Majola, "aber es ist sehr schwierig".

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Gerichtshof für Völkermord in Ruanda: Ein Experiment internationaler Gerechtigkeit . In: Legal Tribune Online, 17.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16624/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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