"Please Stärke FDP"– Döpfner-Chats an Bild: "Son­nen­könig" Döpfner stellt sich über Springer-Kodex

von Dr. Felix W. Zimmermann

20.06.2023

Der Presserat billigt die Publikation von Döpfners-Chats in der Zeit, da sie einen Verstoß gegen die interne Nichteinmischungsregel belegen. Springer entgegnet, Döpfner müsse sich nicht an den Kodex halten. Doch dort steht das Gegenteil.

"Please stärke die FDP", "Können wir für die nicht mehr tun?". Diese und weitere Chat-Nachrichten des Vorstandsvorsitzenden des Axel-Springer-Konzerns Mathias Döpfner an den damaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt veröffentlichte Die Zeit Mitte April. Die redaktionelle Einflussnahme blieb offenbar nicht ohne Wirkung. Nach LTO-Recherchen folgte auf die Aufforderungen kurz vor der Bundestagswahl 2021 jeweils positive FDP-Berichterstattung in der Bild-Zeitung.

Doch durfte Die Zeit diese Nachrichten überhaupt veröffentlichen? Döpfner selbst ging gegen die Berichterstattung nicht vor. Allerdings beschwerten sich drei Leser beim Deutschen Presserat gestützt auf Ziffer 8 des Pressekodex. Die Berichterstattung würde das Privatleben von Döpfner verletzen.  

Der Presserat wies die Beschwerde nun einstimmig ab. Die Nachrichten enthielten politische und publizistisch-redaktionelle Einschätzungen, die Döpfner als Vorstandsvorsitzender und Verleger – also nicht als Privatmann – eines der größten Medienhäuser Europas geschrieben habe. An seiner Denkweise und seinem Weltbild bestehe ein öffentliches Interesse. 

Presserat stützt Entscheidung auch auf Code of Conduct

Der Presserat begründet die Entscheidung auch mit dem hauseigenen Verhaltenskodex von Axel Springer. Denn die Veröffentlichung dokumentiere Versuche, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen, was im Konflikt mit dem Code of Conduct des Springer-Verlags, stünde, welcher die redaktionelle Unabhängigkeit von der Geschäftsleitung betone.

Damit sind nicht nur redaktionelle Entscheidungen durch die Geschäftsleitung, sondern bereits die Einmischung in die Entscheidung untersagt. Dies reflektiert, dass bereits die Einmischung der Geschäftsleitung Druck auf die Redaktion ausübt und somit journalistische Entscheidungsprozesse beeinflussen kann. Dies gilt erst Recht im Falle Springer, wo Chefredakteure offenbar jederzeit mit begründungsloser Kündigung rechnen müssen. Der Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Rechtsanwalt Volker Römermann, Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, bestätigt auf LTO-Nachfrage: "Der Vorstandsvorsitzende ist untrennbarer Bestandteil der Geschäftsleitung. Je nach Gesellschaftsform nennt sich die Geschäftsleitung zuweilen 'Vorstand', zum anderen Teil werden die Personen 'Geschäftsführer' oder 'geschäftsführende Gesellschafter' bzw. 'Partner' genannt."

Alle sind gleich, manche sind gleicher

Eine LTO-Presseanfrage zur Verletzung des Code of Conduct durch Döpfner hatte Springer Mitte April unbeantwortet gelassen. Nach der Entscheidung des Presserats schaltet der Konzern nun in einen Angriffsmodus. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) teilt Axel Springer mit, die Interpretation des Presserats über die Rolle des Vorstandsvorsitzenden sei "grotesk falsch". Während Springer zuvor vor allem betonte, dass Chefredakteure das letzte Wort hätten (was ins Leere geht, da der Kodex schon die Einmischung verbietet), wird nun die redaktionelle Einflussnahme durch Döpfner offensiv gerechtfertigt.

Und zwar mit drei Behauptungen: Erstens beziehe sich der Code of Conduct "ausdrücklich auf die Geschäftsleitungen unterhalb des Vorstands". Zweitens sei es Teil des Arbeitsvertrags von Döpfner, "im ständigen Austausch mit den Chefredaktionen zu stehen". Und drittens gelte bei Axel Springer wie bei jedem anderen Verlag auch, dass "der Verleger natürlich verantwortlich für die Ausrichtung der hauseigenen Publikationen" sei. Betrachtet man die Behauptungen näher, entpuppen sie sich als gezielte Irreführung der Öffentlichkeit:  

Kodex schließt Vorstand eindeutig mit ein

Springer erweckt mit dem erstgenannten Argument den Eindruck, der Verhaltenskodex würde für den eigenen Vorstand keine Geltung beanspruchen, sondern nur Geschäftsleitungen unterhalb des Vorstands betreffen. Damit gemeint könnten etwa Geschäftsführer von GmbHs sein, die zur Axel Springer SE als Aktiengesellschaft gehören, wie etwa die Welt24 GmbH. Doch an mehreren Stellen hält der vom Vorstand beschlossene Code of Conduct klipp und klar fest, dass sich alle Mitarbeiter, Führungskräfte und Mitglieder von Leitungsorganen an diesen halten müssen, explizit auch der Vorstand.

So heißt es in der auch von Döpfner selbst unterschriebenen Einleitung: 

Das mit "uns" auch der Vorstand gemeint ist, wird zudem durch ein "auch für uns selbst" unmissverständlich klargestellt. So heißt es: 

Auch in Fußnote 2 wird nochmal unterstrichen, dass der Code of Conduct auch für Vorstände gilt:

Und schließlich heißt es auch im formellen Teil unter "Geltungsbereich des Kodex" ausdrücklich: 

Keine Beschränkung auf Geschäftsleitungen unterhalb des Vorstands

Die von Springer insinuierte Beschränkung auf Geschäftsleitungen unterhalb des Vorstandes findet sich hingegen an keiner Stelle. Ganz im Gegenteil. In Fußnoten 1 wird der Geltungsbereich des Kodex ausdrücklich auf die Axel Springer SE und die kontrollierten Gesellschaften bezogen:  

Auf Nachfrage von LTO gegenüber Axel Springer, wo sich denn im Kodex die Einschränkung auf Geschäftsleitungen unterhalb des Vorstands finde, erfolgt die Antwort, man bleibe bei der Stellungnahme gegenüber der dpa. Auf Vorhalt von LTO, dass nicht nach der Stellungnahme, sondern nach Benennung der Stelle im Code of Conduct gefragt wurde, wo der Vorstand aus der Pflicht genommen werde, erfolgt dann keine Antwort mehr.  

Arbeitsvertrag ändert nichts an Code of Conduct-Verletzung

Nach dem zweiten Argument von Springer sei es Teil des Arbeitsvertrags von Mathias Döpfner, im ständigen Austausch mit den Chefredaktionen zu stehen. Döpfner soll also zur redaktionellen Einmischung quasi vertraglich verpflichtet sein. LTO fragte bei Springer nach, wie der Passus im Arbeitsvertrag von Mathias Döpfner genau lauten soll. Antwort hierauf: Keine. 

Auch wenn ein solcher Passus tatsächlich existierte, änderte dies nichts an der Verletzung des Code of Conducts. Denn eine individuelle arbeitsvertragliche Vereinbarung führt naturgemäß nicht zur Änderung eines "für alle" geltenden Verhaltenskodex, der ausdrücklich die Geschäftsleitung und Vorstände miteinschließt und sogar von Döpfner unterschrieben ist. 

Döpfner ist weder "der Verleger" noch hat er als Aktionär Verlegerrechte

Das dritte Argument rechtfertigt die Einflussnahme von Döpfner damit, dass "der Verleger natürlich verantwortlich für die Ausrichtung der hauseigenen Publikationen" sei. Mathias Döpfner ist Miteigentümer der Axel Springer SE. Er hält 21,9% der Aktienanteile. Doch seine Aktionärsstellung ändert schon nichts daran, dass Döpfner auch Vorstand ist und damit der Verhaltenskodex für ihn gilt.

Vor allem aber führt die Miteigentümerstellung von Döpfner ­– anders als von Springer behauptet – nicht zu irgendwelchen Verlegerrechten. Zum einen hält Döpfner weniger als ein Viertel der Anteile an Axel Springer und kann daher nicht als alleiniger "Verleger" bezeichnet werden. Zum anderen handelt es sich Axel Springer um eine Aktiengesellschaft in Form einer europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, SE). "Selbst Mehrheitsaktionäre haben hier keinerlei Entscheidungsbefugnis, sondern allenfalls die Hauptversammlung – als Kollektivorgan. Und nicht einmal die Hauptversammlung kann sich nach den Vorgaben des Aktienrechts in das Tagesgeschehen einmischen", erläutert der Gesellschaftsrechtler Volker Römermann gegenüber LTO.

In einer Aktiengesellschaft entscheidet allein der Vorstand, allerdings nicht per Chats des Vorstandsvorsitzenden, sondern durch einen Vorstandsbeschluss. Nur mit einem solchen könnte der Code of Conduct geändert und die redaktionelle Ausrichtung vorgegeben werden, so Römermann. Axel Springer nimmt keine Stellung zur Frage, was Herrn Döpfner als Minderheitsgesellschafter berechtigten sollte, alleine über die redaktionelle Ausrichtung von Publikationen zu entscheiden. 

Nach Springer-Logik könnte sich auch KKR einmischen

Abgesehen von ihrer rechtlichen Unhaltbarkeit stellt die Verleger-Argumentation von Springer ein Einfallstor für redaktionelle Einflussnahme durch weitere Gesellschafter dar. So könnte auch die Investmentgemeinschaft KKR, die mit 35,6 Prozent die meisten Anteile hält, auf den Gedanken kommen, auf Springer-Publikationen nach dem Prinzip "Wir-erst-recht" Einfluss zu nehmen und zwar im Sinne ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen, wie es auch Döpfner vorgeworfen wird. Die Frage, ob nach der Verleger-Logik nicht auch KKR auf die redaktionelle Berichterstattung Einfluss nehmen dürfte, lies Axel Springer ebenfalls unbeantwortet.

Sonnenkönig Döpfner und Herzensangelegenheiten

Mathias Döpfner wird in Springerkreisen auch "Sonnenkönig" genannt. Sein faktisches Handeln, was manche Springer-Mitarbeiter als egozentrisch-erratisch beschreiben, mögen eine solche Bezeichnung plausibel erscheinen lassen. Rechtlich betrachtet ist Döpnfer allerdings nicht berechtigt, sich redaktionell einzumischen: Das interne Nichteinmischungsverbot aus dem Code of Conduct gilt für Döpfner, da der Kodex den Vorstand direkt verpflichtet und Döpfner als Vorstandsvorsitzender zur "Geschäftsleitung" gehört. Auch seine Aktionärsstellung verschafft ihm keine "Verlegerrechte", da mit dieser keinerlei operative Entscheidungsbefugnisse einhergehen.

Abgesehen davon ist es ein fatales Signal für die Akzeptanz des Verhaltenskodex, wenn der eigene Vorstandsvorsitzende glaubt, sich nicht an die dort verankerten Werte und Moralvorstellen halten zu müssen und sich über die eigenen Regeln stellt. Die redaktionelle Unabhängigkeit der Springer-Redaktionen liegt Mathias Döpfner jedenfalls dann nicht "am Herzen", wenn es um Unabhängigkeit von ihm selbst geht. 

 

 

Zitiervorschlag

"Please Stärke FDP"– Döpfner-Chats an Bild: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52019 (abgerufen am: 13.11.2024 )

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