Mit ihren Vorschlägen zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie hat Christine Lambrecht eine Kehrtwende vollzogen. Jörg Eisele kritisiert eine ad hoc-Gesetzgebung, die den Fokus nicht auf schwerste Missbrauchsfälle legt.
Während die Bundesjustizministerin ursprünglich unter weitgehendem Beifall der Strafrechtswissenschaft Strafschärfungen abgelehnt hatte und die vorhandenen strafrechtlichen Regelungen zur Sanktionierung für Kindesmissbrauch für ausreichend hielt, gab sie recht schnell dem öffentlichen und politischen Druck nach und kündigte einen Entwurf an "der abbilden wird, dass diese widerlichen Verbrechen eben auch im Urteil entsprechend dann zum Ausdruck kommen".
Wirft man einen Blick auf das vergangenen Mittwoch vorgelegte Eckpunktepapier des Ministeriums, so zeigt sich, dass die Ministerin die inzwischen berühmte Bazooka ausgepackt hat und recht undifferenziert zum Instrument der Strafverschärfung greift.
Betrachtet man freilich die Münsteraner Fälle, die schließlich Anlass für die angestrebte Reform sind, so zeigt sich erstaunlicherweise, dass diese von der anvisierten Änderung des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Strafgesetzbuch (StGB) offenbar weitestgehend nicht betroffen sind. Auch zeigt sich, dass es im Bereich der Kinderpornografie nicht gelingt, gerade diese schwerwiegendsten Fälle in einem neuen Kerntatbestand zusammenzufassen.
Sexualisierte Gewalt statt Missbrauch
Statt "sexueller Missbrauch von Kindern" soll die Strafvorschrift künftig "sexualisierte Gewalt gegen Kinder" heißen. Jeder Missbrauch stellt dann also sexualisierte Gewalt dar. Begründet wird dies damit, dass der Begriff "Missbrauch" suggeriere, dass es auch einen legalen Gebrauch von Kindern gebe. Möchte man diesem fernliegenden Argument überhaupt folgen, so würde dieses selbstverständlich auch für die übrigen Missbrauchstatbestände der §§ 174 ff. StGB gelten. Es bleibt deshalb ungereimt, warum etwa an einem Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) festgehalten wird, der dann mit Billigung des Gesetzgebers ebenso einen legalen Gebrauch von Schutzbefohlenen suggerieren würde.-
Der Begriff der sexualisierten Gewalt wird seit längerem unter anderem im Bereich der Pädagogik verwendet. Im juristischen Kontext gibt er freilich den Inhalt der Strafvorschrift eher missverständlich zum Ausdruck. Dass damit mehr Klarheit erreicht wird, lässt sich mit Fug und Recht bezweifeln. Denn Gewalt im strafrechtlichen Sinne suggeriert eine körperliche Zwangseinwirkung auf das Opfer, während die Missbrauchsformen in § 176 StGB nicht zwingend einen solchen körperlichen Bezug voraussetzen.
Damit wird durch die Überschrift der Anschein erweckt, dass der Tatbestand einen wenig umfassenderen Schutz gewährleistet, als dies tatsächlich der Fall ist. Ferner wird suggeriert, dass es vornehmlich um Gewalt geht, die sexualbezogen ist, während tatsächlich aber durch solche Missbrauchstaten das verfassungsrechtlich garantierte sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Kinder verletzt wird.
Ausgestaltung als Verbrechen
Weiter soll der Grundtatbestand der sexualisierten Gewalt gegen Kinder künftig ein Verbrechen sein, strafbar mit Freiheitsstrafe von einem bis zu 15 Jahren (bisher Vergehen mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe).
Für sexuelle Handlungen mit Körperkontakt lässt sich dies sicherlich auch in zahlreichen Fällen rechtfertigen.
Zu begrüßen ist, dass künftig von einer Strafverfolgung bei jugendlichen Tätern abgesehen werden kann. Denn es wäre schwer zu verstehen, dass ein Jugendlicher mit seinem 14. Geburtstag wegen eines Verbrechens bestraft werden könnte, wenn er sexuelle Kontakte mit seiner 13-jährigen Freundin fortführt.
Münsteraner Fälle von Reform nicht betroffen
Allerdings muss man sehen, dass die schweren Missbrauchsfälle von Münster, die mit Beischlaf, Penetration, Missbrauch durch mehrere Täter oder der Gefahr für die körperliche oder seelische Entwicklung verbunden sind, gar nicht von dieser Anpassung mit einer Mindestfreiheitstrafe von einem Jahr betroffen sind. Vielmehr sind diese bereits nach geltendem Recht gemäß § 176a Abs. 2 StGB mit einer Mindestfreiheitstrafe von zwei Jahren zu bestrafen. Eine ausgewogenere Reform hätte in diesem Bereich auch nicht zwingend die Abschaffung des minderschweren Falles geboten, sondern vielmehr eine gestufte Anpassung der Strafrahmen.
Überzogen scheint der Verbrechenscharakter für den Vorfeldtatbestand des Anbietens oder Nachweisens gemäß § 176 Abs. 5 StGB, wenn hingegen tatsächlicher Missbrauch ohne Körperkontakt "nur" mit einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten bestraft wird.
Undifferenzierte Bestrafung der Kinderpornografie
Blickt man auf die Regelungen zur Kinderpornografie legt der Entwurf ebenfalls nicht den Fokus auf die schwersten Fälle. Hier hätte sich angeboten, Kinderpornografie, die schwere Missbrauchsfälle nach § 176a Abs. 2 StGB zeigt, als Kerntatbestand mit höherer Strafandrohung und Qualifikationen auszugestalten.
Höher bestrafen könnte man zudem das öffentliche Zugänglichmachen von Kinderpornografie, da die dauerhafte Verfügbarkeit im Internet die Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts nachhaltig perpetuiert.
Die übrigen vielfältigen Erscheinungsformen könnten davon abgeschichtet werden und auch nicht zwingend als Verbrechen ausgestaltet werden. Insgesamt wäre es wünschenswert, den einzelnen Begehungsformen mit einem differenzierteren Instrumentarium entgegenzutreten.
IT-Spezialisten für Ermittlungen im Darknet erforderlich
Zutreffend setzt der Entwurf neben Strafschärfungen, die ja eine Wette auf die Wirksamkeit von Strafvorschriften durch Abschreckung (negative Generalprävention), darstellen, auf Prävention und Qualifikation von Richtern sowie Staatsanwälten.
Erforderlich ist im Bereich der Kinderpornografie aber auch, dass für die notwendigen Ermittlungen – gerade im Darknet – hinreichend IT-Spezialisten gewonnen werden. Dabei wird auf einem hartumkämpften Fachkräftemarkt auch über die Möglichkeiten einer deutlich höheren Besoldung nachgedacht werden müssen.
Im Übrigen ist ein wichtiges Instrument bereits mit dem 57. Strafrechtsänderungsgesetz im März dieses Jahres in Kraft getreten. Seither ist es nicht strafbar, wenn Ermittler im Wege einer sogenannten "Keuschheitsprobe" Kinderpornografie, die nicht auf tatsächlichem Missbrauch beruht, in Foren hochladen, um dort Zutritt zu erlangen.
Es ist letztlich bedauerlich, dass das berechtigte Anliegen zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor sexuellem Missbrauch durch eine teilweise symbolische ad hoc-Strafgesetzgebung verstellt wird. Es wird so unnötig die Möglichkeit verspielt, die Vorschriften über den Missbrauch von Kindern und über die Kinderpornografie mit ruhiger Hand fit für die Zukunft zu machen. Kein Täter bliebe übrigens straffrei, wenn das Vorhaben nicht übereilt verabschiedet würde.
Professor Dr. Jörg Eisele ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Straf- und Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Computerstrafrecht an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Mit Fragen des Sexualstrafrechts hat er sich im Rahmen seiner Kommentierung im StGB-Kommentar Schönke/Schröder, als Mitglied der Kommission zum Reformstrafrecht sowie als Sachverständiger in verschiedenen Anhörungen im Rechtsauschuss des Deutschen Bundestages befasst.
Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42105 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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