Twitter-Beleidigungen, NPD-Verbindungen und die Olympische Charta: "Wer diskriminiert, wird ausgeschlossen – ohne Medaillen"

mit Prof. Dr. Christoph Vedder

03.08.2012

"Twitterer haben gegen Verhaltenskodex verstoßen"

LTO: Wie müssen sich die Teilnehmer an den Olympischen Spielen nach dem Kodex verhalten? Gegen welche Regel haben die Twitterer verstoßen?

Vedder: Der Verhaltenskodex richtet sich nicht nur an Sportler, sondern an sämtliche Beteiligte. Geregelt wird dort zum Beispiel die Wahl zum IOC-Mitglied. Auch die Bewerbungskampagnen sind ausführlich festgelegt. Das war ja auch mit Salt Lake City der Anlass für den Kodex. IOC-Mitglieder dürfen zum Beispiel Bewerberstädte nicht selbst besuchen. Das bleibt allein der jeweiligen Evaluierungskommission vorbehalten. Selbstverständlich sollte sein, dass keine Geschenke angenommen werden dürfen. Ansonsten gilt das, was auch im internationalen Wirtschaftsleben üblich ist.

Daneben gibt es generelle Regeln: Die Würde des Einzelnen ist zu schützen. Jede Form von Diskriminierung ist verboten. Belästigungen sind untersagt, seien sie physischer, sexueller, rassistischer oder psychischer Art. Das ist wohl der Punkt, auf den der Ausschluss der Sportler zurückgeht, die andere Sportler via Twitter beleidigt haben. Im Grunde geben diese Regeln damit wieder, was man auch in nationalen Strafgesetzen finden dürfte. Nur dass die konkrete Folge hier kein Strafverfahren, sondern der Ausschluss von den Spielen ist. Aber das reicht ja auch. Man muss bedenken, dass die Olympischen Spiele das größte Erlebnis einer jeden Sportlerkarriere sind.

"Politische Äußerungen außerhalb der Sportstätten erlaubt"

LTO: Am Donnerstagabend hat die deutsche Ruderin Nadja Drygalla das Olympische Dorf verlassen, nachdem bekannt geworden war, dass sie mit einem NPD-Funktionär liiert sein soll. Hat die Sportlerin gegen die Olympische Charta verstoßen?

Vedder: Nach Hause zu fahren, das war eine Entscheidung der Sportlerin selbst und der deutschen Mannschaft, nicht des IOC. Es liegt wohl auch kein Verstoß gegen die Charta vor, die jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassistische Propaganda in den Olympischen Sportstätten untersagt. Drygalla selbst hat sich ja während der Spiele nicht rassistisch geäußert. Einzelnen Mannschaften ist es aber natürlich unbenommen, Anforderungen zu stellen, die sensibler sind als die olympischen Regeln.

LTO: Während der Olympischen Spiele in Peking war das Verbot politischer, religiöser oder rassistischer Bekundungen in den Olympischen Sportstätten ja durchaus kontrovers diskutiert worden. Die Regelung hat man aber beibehalten?

Vedder: Ja. Jede Art politischer Äußerungen bleibt nach wie vor verboten. Im Hinblick auf Peking ist das heftig kritisiert worden. Ich denke, die Regel ist trotzdem sinnvoll. Denn dadurch wird ja auch die Propaganda des Gastgeberlandes verboten. Die Vorschrift ist im Übrigen eine Reaktion auf 1936 in Berlin. Das Verbot greift außerdem, wie alle anderen olympischen Regeln auch, nur im Bereich der Olympischen Stätten. Außerhalb dieser können Sportler sich durchaus politisch äußern. Das ist etwa in Peking auch geschehen.

LTO: Vor 1936 stand diese Regel also noch nicht in der Charta?

Vedder: Nein. Die Charta hat sich über die Zeit stark entwickelt. Ursprünglich gab es nur eine sehr kurze Fassung. Erst in den 90ern hat sie ihre heutige Form gewonnen. Nachdem das IOC zur Kenntnis genommen hat, dass auch Sportler Rechte haben und diese zu achten sind. Als rechtlich ernst zu nehmendes Dokument existiert die Olympische Charta also vielleicht seit 20, 30 Jahren.

"Gastgeber erlassen üblicherweise Olympia-Gesetze"

LTO: Großbritannien hat im Vorfeld der Spiele extra ein Olympia-Gesetz erlassen: den "Olympic Games and Paralympic Games Act 2006". Ist das üblich?

Vedder: Ja, das ist ganz normal. Die Gastgeber müssen Gesetze erlassen, um ihren vertraglichen Pflichten gegenüber dem IOC nachzukommen. So sind zum Beispiel besondere aufenthaltsrechtliche Regelungen zu treffen, um die freie Ein- und Ausreise der Sportler zu gewährleisten. Hierfür wird ein IOC-Ausweis ausgestellt, der zusammen mit einem normalen Pass, aber ohne spezielles Visum zur Ein- und Ausreise berechtigt. Unabhängig davon, aus welchem Land man kommt. Das kann eine harte Nuss für ein Gastgeberland sein, muss aber akzeptiert werden.

Ein anderer Punkt ist der Schutz der Olympischen Symbole, die im geistigen Eigentum des IOC stehen. Das Komitee verlangt, dass gesetzlicher Schutz für dieses Recht geschaffen wird, soweit ein solcher nicht ohnehin nach dem normalen gewerblichen Rechtsschutz des jeweiligen Staates besteht. Das führt dann immer zu Ärger, weil die Souvenirhändler keine Andenken mit Olympischen Ringen herstellen dürfen, ohne Lizenzgebühren zu zahlen. Aber so ist es nun mal.

LTO: Wie kann das kontrolliert werden?

Vedder: Ich vermute, dass das nicht bis ins letzte Detail kontrolliert wird. Das IOC wird aber ein Unternehmen beauftragt haben, das durch London zieht und stichprobenhaft überprüft, ob all das, was von fliegenden Händlern angeboten wird, tatsächlich lizensiert ist. Die Kontrolle ist der Job des Komitees, nicht des Gastgeberlandes.

LTO: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Prof. Dr. Christoph Vedder ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht sowie Sportrecht an der Universität Augsburg. Gemeinsam mit Prof. Dr. Manfred Lämmer hat er die Olympische Charta ins Deutsche übersetzt.

Das Gespräch führte Dr. Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Christoph Vedder, Twitter-Beleidigungen, NPD-Verbindungen und die Olympische Charta: "Wer diskriminiert, wird ausgeschlossen – ohne Medaillen" . In: Legal Tribune Online, 03.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6767/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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