Nach zahlreichen Pannen in diversen Berliner Wahllokalen hat sich die Ampel darauf verständigt, in 400 von 2.300 Wahllokalen der Hauptstadt die Bundestagswahl wiederholen zu lassen. Der CDU/CSU geht das nicht weit genug.
Werden Tausende Wählerinnen und Wähler in Berlin bald wieder zur Bundestagswahl 2021 an die Urne gebeten? Die Ampel-Koalition hat sich im Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages darauf verständigt, in rund 400 der 2.300 Wahllokale der Hauptstadt die Bundestagswahl wiederholen zu lassen, wie Mitglieder des Ausschusses gegenüber LTO bestätigten.
Hintergrund sind die Pannen bei den Wahlen zum Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26. September, bei denen es zu zahlreichen Fehlern und organisatorischen Problemen gekommen war. Dazu zählten falsche oder fehlende Stimmzettel, die zeitweise Schließung von Wahllokalen und lange Schlangen davor mit teils stundenlangen Wartezeiten. Zudem hatten einige Wahllokale noch weit nach 18.00 Uhr geöffnet. Sowohl gegen das Ergebnis der Bundestagswahl als auch gegen die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus sowie den Bezirksverordnetenversammlungen hatte es deswegen zahlreiche Einsprüche gegeben.
Betroffen sind Wahllokale in den Wahlkreisen Reinickendorf, Mitte, Pankow, Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg. Die Bundestagsverwaltung soll nun eine entsprechende Beschlussempfehlung ausarbeiten, die dann von der Ampel-Mehrheit im Bundestag beschlossen werden könnte. Gegen dessen Entscheidung wären dann noch Klagen beim Bundesverfassungsgericht möglich.
Einspruch des Bundeswahlleiters
Gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl in sechs Berliner Wahlkreisen hatte der Bundeswahlleiter im November Einspruch eingelegt. In einer Sitzung des Wahlprüfungsausschusses im Mai dieses Jahres im Deutschen Bundestag hatte er beantragt, in allen sechs Wahlkreisen neu wählen zu lassen, hilfsweise aber nur in denen, wo es tatsächlich nachweisbar zu Fehlern gekommen ist.
Wie der SPD-Obmann im Wahlprüfungsausschuss, Johannes Fechner, nunmehr gegenüber LTO bekräftigte, will die Ampel nur in den Wahlbezirken, in denen Wahlfehler belegbar sind, neu abstimmen. "400 Wahlbezirke ist eine stattliche Zahl", so Fechner. Grundsätzlich, so der Jurist, sei es schwer vermittelbar, "auch in Wahlbezirken eine Wahlwiederholung anzuberaumen, wenn Pannen bei der Wahl am 26. September 2021 nicht beweisbar sind".
Diese Auffassung teilen auch die Grünen. Die organisatorischen Mängel in Berlin bei der Bundestagswahl sind nach Auffassung ihrer zuständigen Obfrau im Wahlprüfungsausschuss, Awet Tesfaiesus, zwar "schwerwiegend" gewesen. Eine Wiederholung der Wahl komme aber nur in Wahllokalen in Frage, wo es nachweislich Mängel gegeben habe. "Es ist falsch, die Wahl in Wahllokalen zu wiederholen, wo es keine Hinweise auf Fehler gibt. Das dürfte allen einleuchten und ergibt sich aus dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs und eingehender rechtlicher Prüfung", sagte die Rechtsanwältin gegenüber LTO.
Kritik der Union: "Mutloser minimalinvasiver Eingriff"
Anders sieht das allerdings die Union: Die Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses, Daniela Ludwig (CSU), sagte zu LTO: "Die Ampel versucht, das Wahldebakel kleinzureden, so etwas lässt sich aber nicht bagatellisieren." In nur 400 Wahllokalen neu wählen zu lassen, reiche "in Anbetracht der erheblichen Wahlfehler, die wir in der mündlichen Verhandlung festgestellt haben", nicht aus. "Es muss, wie vom Bundeswahlleiter gefordert, in über 1.200 Wahllokalen nochmal gewählt werden." Alles andere sei ein mutloser minimalinvasiver Eingriff, der das Vertrauen in demokratische Institutionen noch weiter erschüttere, so die frühere Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung.
Wie Ludwig argumentiert auch ihr CDU-Fraktionskollege, der Parlamentarische Geschäftsführer und zuständige Berichterstatter der Unionsfraktion im Wahlprüfungsausschuss, Patrick Schnieder: "Der Bundeswahlleiter hat sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar dargelegt, dass in den sechs besagten und stärksten betroffenen Wahlkreisen komplett neu gewählt werden muss. In diesen Wahlkreisen sind gravierende Wahlmängel in einer Schwere und Häufung aufgetreten, die es verbieten, dort nur in jenen Wahllokalen neu zu wählen, in denen die Fehler klar belegt sind." Anderenfalls würde es in den sechs Wahlkreisen zu einer erheblichen Verzerrung des Wählerwillens kommen. Schnieder zu LTO: "In einem Wahlkreis, in dem in zwei Dritteln der Wahllokale neugewählt wird, aber die Wahlbeteiligung nur halb so hoch ist wie bei der Wahl im September 2021, würde die Situation eintreten, dass die Wahllokale, die Bestand haben, unterm Strich genauso oder gar mehr Stimmenanteil haben als die Wahllokale, in denen neu gewählt wird."
Das Hauptbegehren des Bundeswahlleiters, in allen sechs von Pannen betroffenen Wahlkreisen neu wählen zu lassen, favorisiert auch der Berliner Bundestagsabgeordnete und frühere rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco-Luczak. Der Rechtsanwalt hält die Nachwahl in nur 400 Wahllokalen auch für verfassungsrechtlich bedenklich, durch die inakzeptablen Zustände sei die Freiheit der Wahl beeinträchtigt worden: "Die Entscheidung der Ampel, in lediglich 400 Stimmbezirken nachwählen zu lassen, ist weniger juristisch, sondern von der Angst vor den politischen Konsequenzen bestimmt. Weder verfassungsrechtlich noch politisch halte ich das für überzeugend", so Luczak.
Im Blick hat Luczak die möglichen Auswirkungen einer Neuwahl: "Eine Nachwahl bloß auf der Stimmbezirksebene, nicht aber in den angefochtenen, kompletten Wahlkreisen, hat vermutlich keinerlei Auswirkung." Die Wähler in der sicheren Erkenntnis zu den Urnen zu rufen, dass daraus nichts folgte, schade dem Ansehen des Wahlaktes und damit letztlich der Demokratie.
Bundeswahlleiter will sich nicht äußern
In drei der sechs in Rede stehenden Wahlkreise hatten die Grünen relativ deutlich das Direktmandat errungen, in einem die SPD. Am knappsten waren die Erststimmen-Ergebnisse in zwei Wahlkreisen (Steglitz-Zehlendorf, Reinickendorf), in denen sich die CDU durchgesetzt hatte.
Bundeswahlleiter Georg Thiel wollte zu der Kontroverse im Wahlprüfungsausschuss keine Stellung nehmen. Ein Sprecher der Behörde zu LTO: "Ob und in welchen Wahlkreisen bzw. Wahlbezirken die Bundestagswahl gegebenenfalls zu wiederholen ist, ist vom Deutschen Bundestag zu entscheiden." Der Bundeswahlleiter nehme keine Stellung zu den Berichten über den Stand des Wahlprüfungsverfahrens, da es sich um ein noch laufendes Verfahren handele.
Hinsichtlich der Pannen, die die Wahlen auf Landes- und Bezirksebene betreffen, sind Einsprüche am Berliner Verfassungsgerichtshof anhängig. Dieser beabsichtigt, Ende September eine mündliche Verhandlung in den Wahlprüfungsverfahren durchführen.
Pannen bei der Bundestagswahl 2021 in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 08.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48996 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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