Videobeweis in der Bundesliga: Das Streben nach Gerech­tig­keit

von Tobias Altehenger

19.08.2017

2/2: Wo der Videobeweis geregelt ist

Wer den Videobeweis in den Fußballregeln des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sucht, der tippt daneben. Zwar ist in Regel 6, in der es früher einmal um Linienrichter und dann um Schiedsrichterassistenten ging, inzwischen (etwas breiter gefasst) von "weiteren Spieloffiziellen" die Rede. Dennoch gibt es keine Passagen im Regelwerk, die den Einsatz des Videobeweises zu legitimieren scheinen.

Vereinen, die nun aber vor Sportgerichte ziehen wollen, wenn der Videobeweis sie benachteiligt, sei gesagt: Es gibt eine rechtliche Grundlage, die sich in einem noch wichtigeren Dokument findet, nämlich in den Vorbemerkungen zu den Fußballregeln des International Football Association Boards (IFAB) – quasi die Bibel der obersten Regelhüter. Dort ist der Videobeweis gesetzlich verankert. Bleibt die Frage, was passiert, wenn sich der Schiedsrichter über die Entscheidung seines Videoassistenten hinwegsetzt und damit falsch liegt. Können sich Vereine dann wehren?

Watzke tobt, schaut aber in die Röhre

Die Antwort ist einfach: Nein, können sie nicht. Hierzu ein Beispiel: Borussia Dortmund führt in der 90. Minute mit 1:0 gegen Schalke 04, als es im Dortmunder Strafraum zu einem Zweikampf zwischen BVB-Verteidiger Schmelzer und dem Schalker Stürmer Burgstaller kommt. Der Schiedsrichter entscheidet auf Strafstoß ("Elfmeter"), bekommt von seinem Videoassistenten aber den Hinweis, dass Schmelzer den Ball gespielt hat. Dennoch bleibt er bei seiner Entscheidung. Der Strafstoß wird verwandelt und das Spiel endet 1:1.

Dortmunds Sportchef Watzke kombiniert vor den Fernsehkameras die Satzbausteine "unsäglich", "unverschämt", "Frechheit" und "Betrug" und stellt einen "Einspruch" in Aussicht. Das Problem dabei: Auch wenn der Schiedsrichter in dieser theoretischen Situation nicht gerade klug agiert hätte, sein Handeln wäre durch die Regeln des IFAB legitimiert. Die endgültige Entscheidung liegt weiterhin bei ihm und das Prinzip Tatsachenentscheidung gilt nach wie vor, weswegen sich für die DFB-Sportgerichte durch die Einführung des Videobeweises also wenig ändern wird.

Einsprüche gegen die Spielwertung sind - wie bisher auch - nur dann erfolgversprechend, wenn der Schiedsrichter einen Regelverstoß begangen hat, wenn er also zum Beispiel nach einem Handspiel im Strafraum auf indirekten Freistoß statt auf Strafstoß entscheidet.

Was bringt der Videobeweis dann überhaupt?

Immer wieder war der Videobeweis von Vereinsvertretern, Spielern und TV-Experten gefordert worden, jetzt ist er also da. Er wird das Spiel gerechter machen, was in einem Geschäft, in dem es um so viel Geld geht wie in der Fußball-Bundesliga, sicher keine schlechte Idee ist. Das Spiel attraktiver machen wird er aber nicht. Fans werden sich daran gewöhnen, nach Toren ihres Teams erst abwarten zu müssen, ob der Videoassistent sein Veto einlegt.

Auch ob die technische Umsetzung stets so reibungslos funktioniert, wie sich die Funktionäre das vorstellen, ist eine spannende Frage. Und: Die Bundesliga wird sich als Hochglanzprodukt von den anderen deutschen Ligen immer weiter entfernen. In der zweiten und dritten Liga wird es den Videobeweis nämlich nicht geben, von den Amateurklassen ganz zu schweigen. Ob diese Isolation ein akzeptabler Preis für das Streben nach mehr Gerechtigkeit im Fußball ist – daran darf man erhebliche Zweifel haben.

Der Autor Tobias Altehenger (Jg. 1987) arbeitet als Journalist beim Südwestrundfunk, ist seit 15 Jahren Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Regionalliga.

Zitiervorschlag

Tobias Altehenger, Videobeweis in der Bundesliga: Das Streben nach Gerechtigkeit . In: Legal Tribune Online, 19.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24017/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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