Bayerischer Landtag beschließt umstrittenes Polizeiaufgabengesetz: Vom Frei­staat in den Über­wa­chungs­staat?

von Dr. Markus Sehl

16.05.2018

Am Dienstag hat der Landtag ein neues Polizeiaufgabengesetz für Bayern beschlossen – das schärfste in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Bis zuletzt gab es heftige Proteste gegen die Pläne. Jetzt sind Verfassungsklagen angekündigt.

Und dann soll alles doch noch ein wenig schneller gehen als geplant. Ursprünglich sollte die Debatte um das neue Polizeiaufgabengesetz im Bayerischen Landtag am Dienstag um 21 Uhr beginnen. Die CSU selbst beantragte die Vorverlegung auf 18 Uhr. Dies offenbar auch, um gar kein Risiko mehr für das Gesetzgebungsprojekt einzugehen. Dabei war die Verabschiedung wegen der CSU-Mehrheit im Landtag in München ohnehin nur noch eine Formsache.

Zwar hatte die Opposition bis zuletzt versucht, mit Geschäftsordnungsanträgen die Verabschiedung des Gesetzes zu verhindern. Doch die CSU lehnte es ab, das Gesetz noch von der Tagesordnung zu nehmen. Mit 89 zu 67 Stimmen gegen SPD, Grüne und Freie Wähler und bei zwei Enthaltungen verabschiedete der Landtag das Gesetz schließlich am Abend. Das Gesetz tritt am 25. Mai in Kraft.

SPD und Grüne werfen der CSU vor, das Gesetz unter Missachtung des Bürgerwillens durchgepeitscht zu haben. Auf Bayerns Straßen hatte es massiven Protest gegen das neue Gesetz gegeben, mindestens 30.000 Menschen demonstrierten dort am vergangenen Wochenende. "Das Gesetz ist verfassungswidrig", sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende in Bayern, Katharina Schulze. Die SPD-Landesvorsitzende Natascha Kohnen hielt der CSU vor, die Kritik protestierender Bürger nicht ernst zu nehmen: "Sie tun gerade so, als ob die Menschen nicht in der Lage wären, selbst zu denken und selbst zu entscheiden."

Dagegen verteidigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das geplant Gesetz auch am Dienstag: "Es wird Leben retten, es wird Menschen helfen, nicht zu Opfern zu werden." Söder wies den Vorwurf zurück, die CSU verletze mit dem Gesetz Grundsätze des Rechtsstaats. Für alle zusätzlichen Befugnisse der Polizei seien "richterliche Überprüfungsoptionen" vorgesehen.

Viele Bundesländer verschärfen Polizeigesetze – Bayern besonders weitreichend

Verschärfte Polizeigesetze wurden bereits in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern verabschiedet. In Nordrhein-Westfalen wurde ein neues Polizeigesetz kürzlich in den Landtag eingebracht, in Sachsen debattierte der Landtag ebenfalls bereits über mehr Polizeibefugnisse im Anti-Terror-Kampf. Am Donnerstag beschäftigt sich der Landtag in Hannover in erster Beratung mit der geplanten Änderung des Polizeigesetzes in Niedersachsen. In Brandenburg soll es noch in diesem Jahr eine Gesetzesanpassung geben. In Bremen ist eine geplante Verschärfung des Polizeigesetzes von den Grünen gekippt worden, sehr zum Ärger der SPD. Die Länder begründen die Verschärfungen vor allem mit dem Kampf gegen Terrorismus.

In Bayern werden die Befugnisse der Polizei am stärksten ausgeweitet. Kritiker beklagen, dass der Freistaat damit das schärfste Polizeirecht der deutschen Nachkriegsgeschichte habe.

Eingriff ohne konkrete Gefahr

Im Visier von Kritikern stehen vor allem Änderungen am Gefahrbegriff als Eingriffsvoraussetzung. Der polizeiliche Gefahrbegriff ist so etwas wie das Nadelöhr für alle polizeilichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Über den Begriff einer bereits "drohenden Gefahr" werden Eingriffsbefugnisse der Polizei weit ins Vorfeld strafbarer Handlungen vorverlegt. Der Begriff ist nicht neu, gilt in Bayern aber künftig bei deutlich mehr Polizeibefugnissen als bisher, etwa bei der Telefonüberwachung. Ein weiterer Kritikpunkt: Der Begriff sei viel zu unbestimmt.

Dagegen hält etwa die in Niedersachsen geplante Regelung an einer "konkreten Gefahr" als Voraussetzung fest. Die Polizei muss dort auch künftig über Tatsachen und Anhaltspunkte verfügen, um vor einer Tat aufgrund einer begründeten Gefahrenprognose gegen eine verdächtige Person vorzugehen.

In einer Anhörung im Münchner Landtag beklagte der Richter am Landgericht München I, Markus Löffelmann, einen Paradigmenwechsel im bayerischen Polizeirecht: Jeder bayerische Polizist bekomme mehr Befugnisse bei der Gefahrenabwehr als das Bundeskriminalamt im Kampf gegen den Terror. Dagegen argumentierte der Staatsrechtler Markus Möstl, die Polizei müsse mit neuen Herausforderungen für die innere Sicherheit Schritt halten.

DNA-Auswertung, Bodycams und Handgranaten

Neben dem Gefahrbegriff ist die Auswertung von DNA-Spuren schon zu Fahndungszwecken umstritten. Das bayerische Innenministerium argumentiert, mit einer DNA-Untersuchung von Geschlecht, Augen-, Haut- und Haarfarbe, Alter und Herkunft könne "der Kreis der potenziellen Gefährder eingegrenzt werden". Kritiker, darunter im Übrigen auch der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri, stören sich daran, dass die Polizei das genetische Programm eines Menschen auswerte, also zu Zwecken der Gefahrenabwehr in die Gene "hineinschauen" dürfe.

Umstritten ist auch die Ausweitung des Einsatzes von Körperkameras sog. "Bodycams" durch Beamte, und zwar auch in Wohnungen und ohne dass dies anschließend durch einen Richter bestätigt werden müsste. Ebenso umstritten sind eine Vielzahl "technischer" Befugnisse, die die Polizei bekommen soll, etwa der Zugriff auf Cloud-Speicher. Petri hatte erklärt, die neuen zahlreichen Datenverarbeitungsbefugnisse halte er "unter Freiheitsaspekten für problematisch".

Viel Aufregung gab es auch um die Ausstattung der Polizei mit schweren Waffen wie Maschinengewehren und Handgranaten. Diese dürfen aber auch nach dem neuen Polizeigesetz nicht etwa von Streifenpolizisten oder bei Verkehrskontrollen eingesetzt werden, sondern nur von Spezialeinsatzkommandos.

CSU überrascht von Kritik

Die CSU zeigte sich überrascht von dem massiven Protest gegen die Gesetzespläne. Bei einigen Details lenkte sie auf den letzten Metern ein. Beispielsweise wird auf die automatisierte Gesichtserkennung bei Videoüberwachungsmaßnahmen verzichtet.

Außerdem soll über die Umsetzung des Gesetzes eine Kommission unter Vorsitz des Verfassungsrechtlers und einstigen Präsidenten des bayerischen Verfassungsgerichtshofs Karl Huber, wachen. Sie soll die Umsetzung des Gesetzes kritisch begleiten und überprüfen. Ministerpräsident Söder zeigte sich überzeugt, dass das Gesetz einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhalten wird. Die Staatsregierung sei "zuversichtlich, dass es auch juristisch akzeptiert wird und auch juristisch vertretbar ist", sagte er.

Verfassungsklagen gegen das neue Gesetz angekündigt

Darauf wird es am Ende aber nicht allein ankommen. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) plant bereits, verfassungsrechtlich gegen das bayerische Gesetz vorzugehen. Auch die Parteichefin der Bayern-SPD, Natascha Kohnen, sagte am Dienstag: "Dieses Überwachungsstaatsgesetz ist Ausdruck des grenzenlosen Misstrauens der CSU-Staatsregierung gegen die bayerische Bevölkerung. Es gehört in den Papierkorb." Die Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl im Oktober erklärte weiter: "Wir als SPD werden mit allen verfassungsrechtlichen Mitteln gegen das Überwachungsgesetz vorgehen." Auch der Verein Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) kündigte eine Klage gegen das Gesetz an.

In der jüngsten Vergangenheit hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine ganze Reihe von Gelegenheiten, neue Befugnisse zur Anti-Terrorbekämpfung in Verhältnismäßigkeit zu den drohenden Eingriffen in die Grundrechte zu setzen. 2008 beanstandete das BVerfG das Verfassungsschutzgesetz von NRW, 2016 reichte es das neue Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) an den Gesetzgeber zurück.
Über das weitere Schicksal des neuen Polizeigesetzes wird dann nicht in München, sondern in Karlsruhe entschieden werden.

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Bayerischer Landtag beschließt umstrittenes Polizeiaufgabengesetz: Vom Freistaat in den Überwachungsstaat? . In: Legal Tribune Online, 16.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28643/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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