Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Eine medi­zi­ni­sche Dienst­leis­tung als Tö­tungs­de­likt

von Prof. Dr. Ulrike Lembke

21.11.2017

3/3: §§ 218ff StGB: primär verwirrende Regelungen

Bis heute ist der Schwangerschaftsabbruch nicht im Recht der medizinischen Dienstleistungen geregelt, sondern im Strafgesetzbuch im Abschnitt "Straftaten gegen das Leben". Es ist derselbe Abschnitt, in dem Mord und Totschlag sanktioniert sind.

Dieses massive Unwerturteil wird zudem umgesetzt durch eine kaum verständliche und höchst widersprüchliche Regelung. Zunächst stellt § 218 StGB fest, dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich strafbar ist, auch wenn er mit Einverständnis der Schwangeren geschieht.

§ 218a Abs. 1 StGB enthält eine Fristenregelung. Danach ist der Tatbestand von § 218 StGB nicht erfüllt, wenn der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen durch einen Arzt oder eine Ärztin und nach einer Pflichtberatung erfolgt. § 5 Schwangerschaftskonfliktgesetz bestimmt, dass die Beratung ergebnisoffen zu führen ist, ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden soll. § 219 StGB hingegen verlangt, dass die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dient und die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigt.

Neben der Fristenlösung gibt es weitere Ausnahmen von der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Nach § 218a Abs. 2 StGB ist der Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig, wenn damit eine Lebensgefahr oder schwerwiegende Gefahr für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren abgewehrt wird (sog. medizinische Indikation). Gleiches gilt, wenn die Schwangerschaft auf einer Sexualstraftat beruht (sog. kriminologische Indikation) und vor der 13. Woche abgebrochen wird.

Entgegen der landläufigen Meinung sehen die Vorschriften der §§ 218ff StGB seit 1995 aber keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund schwerer Krankheit oder Behinderung des Fetus vor. Faktisch wird in solchen Fällen häufig eine medizinische Indikation angenommen. Die zunehmenden Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik spielen dabei eine höchst problematische Rolle.

Ein Strafrecht für Ärztinnen und Ärzte

Ferner enthalten §§ 218ff StGB ein ganz spezifisches Arztstrafrecht. Für gewöhnlich wird die Verletzung ärztlicher Pflichten durch Standesrecht sowie die Arzthaftung sanktioniert. Geht es jedoch um die Voraussetzungen eines Schwangerschaftsabbruchs, ist jeder ärztliche Fehler nach §§ 218b, 218c StGB selbst eine Straftat.

Dass Ärztinnen und Ärzte, die dennoch bereit sind, dieses Risiko einzugehen, überhaupt gefunden werden können, verhindert das sog. Werbeverbot aus § 219a StGB.

Für einen medikamentösen Abbruch innerhalb der ersten Wochen bräuchten Frauen zwar grundsätzlich keinen ärztlichen Beistand. Sie haben aber keinen Zugang zu den dafür notwendigen Medikamenten. § 219b StGB stellt es nämlich unter Strafe, Mittel oder Gegenstände, die zum Schwangerschaftsabbruch geeignet sind, in den Verkehr zu bringen.

Kriminalisierung voller Widersprüche

Diese aktuelle Rechtslage ist mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kaum in Einklang zu bringen. Die Absolutheit der Urteile aus Karlsruhe führt letztlich nur in Wertungswidersprüche. Wenn die Interessen des Fetus den Rechten der Schwangeren unbedingt vorgehen, ist letztlich weder eine Fristen- noch Indikationenlösung erklärlich. Die Formel von "rechtswidrig, aber straffrei" bleibt eine hohle Phrase. Sie entspricht auch nicht der geltenden Rechtslage, denn § 218a Absatz 1 StGB regelt explizit, dass bei der Fristenlösung schon der Tatbestand von § 218 StGB nicht erfüllt ist.

Aufgefallen ist das im vergangenen Vierteljahrhundert seit der jüngsten BVerfG-Entscheidung wohl noch niemandem. Nun aber steht eine Ärztin vor Gericht, die Frauen in einer schwierigen Lebenslage eine dringend benötigte medizinische Dienstleistung anbietet und die den Fehler gemacht hat, dies öffentlich zu sagen. Der Fall Kristina Hänel sollte darauf aufmerksam machen, welche Normen aus welchen Zeiten wir noch mit uns herumschleppen.

Prof. Dr. Ulrike Lembke hat den Lehrstuhl für Gender im Recht an der FernUniversität in Hagen inne und ist Vorsitzende des Arbeitsstabs "Reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte" des Deutschen Juristinnenbundes.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Ulrike Lembke , Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Eine medizinische Dienstleistung als Tötungsdelikt . In: Legal Tribune Online, 21.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25631/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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