Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Eine medi­zi­ni­sche Dienst­leis­tung als Tö­tungs­de­likt

von Prof. Dr. Ulrike Lembke

21.11.2017

Ab Freitag steht in Gießen eine Ärztin vor Gericht, weil sie auf ihrer Webseite angibt, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Es wird höchste Zeit, diese medizinische Dienstleistung für Frauen zu entkriminalisieren, meint Ulrike Lembke

Kristina Hänel ist Fachärztin für Allgemeinmedizin. Sie bietet verschiedene medizinische Dienstleistungen an. Auf der Website ihrer Praxis findet sich in der Rubrik "Frauengesundheit" unter anderem das Angebot "Schwangerschaftsabbruch". Das hat ihr nun ein Strafverfahren eingetragen. Am Freitag beginnt der Prozess vor dem Amtsgericht (AG) Gießen wegen verbotener Werbung für Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a Strafgesetzbuch (StGB).

Das Verfahren ist beispielhaft für die Situation von ungewollt Schwangeren sowie Ärztinnen und Ärzten in Deutschland. Sie arbeiten unter Strafandrohung. Zwar gab es in den vergangenen Jahren sehr wenige entsprechende Verurteilungen. Aber das deutsche Recht kriminalisiert Schwangerschaftsabbrüche weiterhin als Tötungsdelikte, statt sie als medizinische Dienstleistungen für Frauen in zumeist schwierigen Lebenssituationen anzuerkennen. Wesentlich für die bislang gescheiterte Entkriminalisierung sind zwei berühmt-berüchtigte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1975 und 1993.

Internet-Recherche: Lebensschützer-Propaganda statt Arzt-Angebote

Danach stellt nicht nur der Schwangerschaftsabbruch selbst eine Straftat dar. § 219a StGB verbietet auch jede sachliche Information über Schwangerschaftsabbrüche. Denn mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs oder entsprechende hierfür geeignete Mittel anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt.

Dafür soll schon die Auflistung des Schwangerschaftsabbruchs als eine von vielen medizinischen Dienstleistungen einer Arztpraxis oder Klinik genügen. Da der Abbruch von der Krankenkasse oder der Patientin bezahlt wird, sieht die herrschende juristische Meinung die Voraussetzung "des Vermögensvorteils wegen" als erfüllt an.

Ungewollt schwangere Frauen können sich daher nicht im Internet darüber informieren, ob und welche Ärztinnen oder Ärzte in ihrer Nähe einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Ihr Recht auf freie Arztwahl wird faktisch komplett ausgehebelt.

Der Versuch einer Internet-Recherche führt sie stattdessen auf die Seiten sog. Lebensschützer, wo sie mit Bildern zerstückelter Föten und der Androhung lebenslanger Traumata konfrontiert werden. Gerne wird dort auch die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen mit dem Holocaust verglichen – eine durch nichts zu rechtfertigende Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen.

Die Geschichte der Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs

Dabei war gerade die verschärfte Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein wesentlicher Bestandteil nationalsozialistischer Bevölkerungspolitiken. So wurde das "Werbeverbot" in § 219a StGB überhaupt erst im Zuge der ersten nationalsozialistischen Strafrechtsreform im Mai 1933 als neuer Tatbestand eingeführt.

Später folgten drakonische Strafen auch für die ungewollt Schwangere selbst sowie Personen, die ihr (unentgeltlich) halfen. Wenn "die Lebenskraft des deutschen Volkes fortgesetzt beeinträchtigt" wurde, drohte ab 1943 die Todesstrafe. Ein Recht der "deutschen Mutter" auf Familienplanung oder Selbstbestimmung über ihren Körper war schlichtweg nicht vorgesehen.

Bereits in der Weimarer Republik war wiederholt die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gefordert worden, die Anträge fanden im Reichstag aber keine Mehrheit. Nach 1945 wurden die drakonischen Strafen abgeschafft, nicht aber die Straftatbestände selbst.
Erst im Zuge der zweiten Frauenbewegung ab 1967/68 wurde mit der Kampagne "Ich habe abgetrieben!" und dem Slogan "Mein Bauch gehört mir!" wieder stark für eine Entkriminalisierung eingetreten.

Die DDR führte 1972 die sog. Fristenlösung ein, welche den Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten ohne weitere Voraussetzungen entkriminalisiert. In der BRD scheiterten entsprechende Gesetzgebungsverfahren 1975 ebenso wie später im wiedervereinigten Deutschland 1993 am BVerfG.

Zitiervorschlag

Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 21.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25631 (abgerufen am: 04.10.2024 )

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