Wertungsprobleme: Ein heiliges Herz auf Deutschlandtour

von Martin Rath

20.01.2013

3/3: Wo haben heilige Leichenteile juristisch Platz?

Bemerkenswert ist, dass sich sogar die Kirche mit ihren eigenen "Überbleibseln" nicht recht anzufreunden scheint. Canon 1190 des Codex Iuris Canonici verbietet es zwar, "heilige Reliquien zu verkaufen" oder bedeutende Überbleibsel ohne vatikanische Erlaubnis zu veräußern oder dauerhaft an einen anderen Ort zu verbringen, eine positive oder Legaldefinition des "Überbleibsels", die sie von der Bestattungs- beziehungsweise Entsorgungspflicht ausnähmen, liegt aber – soweit erkennbar – außerhalb des deutschen Strafrechts nicht vor.

So befasst sich das deutsche Strafrecht mit Reliquien, indem beispielsweise § 304 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) "Gegenstände der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft" zu Objekten der "Gemeinschädlichen Sachbeschädigung" erklärt. Das hebelt immerhin das profane Landesrecht aus, entlässt aber niemanden aus Wertungsfragen. Und das StGB befasst sich mit der Reliquienverehrung, die es zu jenen "Gebräuchen" zählt, die gemäß § 166 Abs. 2 StGB vor friedensgefährdender "Beschimpfung" geschützt sind. Eine positive Klärung dessen, was Reliquie oder Reliquienverehrung sei, fehlt aber offenbar dem Kirchen- wie dem staatlichen Recht.

Im Schönke-Schröder, dem beliebten Strafrechtskommentar, werden zu § 166 beispielsweise zwei Fundstellen zur Reliquienverehrung genannt, Urteile des Reichsgerichts aus Zeiten, als Meinungs- und Pressefreiheit nicht zu den juristischen Kleinodien zählten und leider geht es ihnen auch nicht um Leichenteile, sondern bloß um Textilien. In Trier wird von Zeit zu Zeit die angebliche Unterwäsche von Jesus Christus (ca. 4 v.Chr.-30/31 n.Chr.) präsentiert, was in beiden Reichsgerichtsurteilen thematisiert wird. Dem Urteil vom 24. November 1891 (Az. IV 2470/91, RGSt 22, 238) lag etwa zugrunde, dass ein Redakteur im schlesischen Beuthen Geschehnisse rund um die "Ausstellung des heiligen Rocks zu Trier" als „Humbug“ bezeichnet hatte, was sich als unbedingt strafwürdig herausstellte.

Ein weiteres Urteil des Reichsgerichts in Reliquiendingen kommt der Sache immerhin etwas näher, indem es zwar keine "dogmatische Fixierung des Gebrauchs" eines Gegenstands als Objekt religiöser Verehrung verlangt, immerhin aber feststellt, dass die "Verehrung der Reliquie" jeweils "thatsächlich unter Billigung der kirchlichen Autorität in bestimmten Kultusakten geübt" werden müsse, um sich als strafrechtlich geschützter "Brauch" darzustellen (RGSt 24, 12-22 v. 13./20.2.1893, Az. 4117/92).

Quelle: www.bundespatentgericht.deInteressanterweise fiel das Bundespatentgericht im vergangenen Jahr in einer Entscheidung zum Markenschutz eines Emblems der "Heiligen Hildegard von Bingen" ein bisschen hinter das reichsgerichtliche Erfordernis der "Billigung kirchlicher Autorität" zurück: Die in esoterischen wohl noch mehr als in kirchlichen Kreisen verehrte Kräuter-Nonne Hildegard (1098-1179) wurde vatikanamtlich – nach mehr lokaler und gelegentlicher Verehrung in der Zwischenzeit – erst am 10. Mai 2012 für weltweit verehrungswürdig erklärt. Das Bundespatentgericht erkannte dagegen in einer harmlosen Kinderzeichnung von der Heiligen ein Eintragungshindernis, weil sie "religiös anstößig" sei und "geeignet ist, das religiöse Empfinden derjenigen Gläubigen zu verletzen, die Hildegard von Bingen wegen ihres Lebens und ihrer Lehren als Heilige verehren". Die Markenentscheidung datiert vom 28. März 2012 (Az. 28 W pat 81/11) und kommt somit ohne die vatikanamtliche Approbation der auch von Esoterikern und Feministinnen angehimmelten Nonne aus.

"Ein Stamm von Menschenfressern inmitten Deutschlands"

Die Leiche eines französischen Priesters aus dem 19. Jahrhundert, dem man heutzutage vermutlich auch in Kreisen seiner Kirche eher mit dem Rat einer psychiatrischen Untersuchung als mit kritikloser Verehrung begegnen würde, wird 1904 exhumiert, sein Herz extrahiert. 1905 wird der Mann zum Heiligen erklärt, nicht zuletzt, weil sich seine Kirche mit dem Gesetz der säkularen Republik Frankreich schwertut.

Seit einigen Jahren geht ein Leichenteil, sein Herz, auf Reisen auch durch deutsche Lande. Vor der Bestattungs- oder Kremierungspflicht schützt es das deutsche Strafrecht, das die Anerkennung als "Gegenstand religiöser Verehrung" aber im Wesentlichen wohl darauf stützen muss, dass die Katholiken einen neumodischen Reisereliquienkult erfunden haben, dem kein Ordnungsamt eine kirchenamtliche Approbation abverlangt haben dürfte.

Der Journalist Jan Ross, der für eine recht fromme Wochenzeitung arbeitet (er schreibt für "Die Zeit") kritisierte unlängst die sogenannte "Beschneidungsdebatte" des Jahres 2012: Der deutschen Gesellschaft sei die religiöse Grundbildung derart abhandengekommen, dass viele vom jüdischen und muslimischen Ritual überrascht so gewesen seien, als habe man im Herzen Deutschlands einen unbekannten Stamm von Menschenfressern entdeckt.

Ein Leichenteil auf religiös begründeter Tournee durch die Gemeinden der größten inländischen Religionsgesellschaft – das sollte doch auch einmal überraschen. Mehr jedenfalls als der zwar traurige, aber doch sehr vorhersehbare Fall, dass ein katholisches Krankenhaus das Dogma seiner Kirche in eine – wie ich finde: sehr hässliche – Medizin- und Arbeitsrechtspraxis umsetzt.

Peter Sloterdijk führt, vielleicht etwas boshaft, die Zuneigung des amtierenden Papstes zum "Priester von Ars" übrigens auf eine ganz allgemeine anti-moderne Tendenz in der Führung der großen christlichen Religionsgesellschaft zurück. Was und wie viel davon im Arbeits-, Medizin- oder Staatskirchenrecht ankommt, ist gottlob eine Entscheidung, die inländische Juristen zu treffen haben.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Wertungsprobleme: Ein heiliges Herz auf Deutschlandtour . In: Legal Tribune Online, 20.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8001/ (abgerufen am: 03.05.2024 )

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