Recht exotisch: Tennotreu bis zum Umfallen

von Martin Rath

11.08.2013

2/2 Ewiger Tenno statt "Ewigkeitsklausel"

Damit wurde 1946 das in Japan vorherrschende Staatsverständnis auf den Kopf gestellt. Bis dahin war nicht der Kaiser für den Staat, sondern der Staat für den Kaiser da. Einen Blick in diese ältere japanische Staatsordnung vermittelt die Dissertation von Florian Neumann, "Poltisches Denken im Japan des frühen 20. Jahrhunderts. Das Beispiel Uesugi Shinkichi (1878-1929)".

Was sich japanische Staatsgelehrte im alten Kaiserreich vor 1946 ausgedacht haben, mutet an wie ein exotisches Märchen. Der äußeren Form nach hatte Japan seit 1889 zwar eine Verfassung, die in manchem der Bismarck-Verfassung von 1871 nachgebildet schien. Nachhaltig beeinflusst wurde das Staatsdenken aber von der "kokutai"-Ideologie, die eine göttliche Abstammung des Tennos – des japanischen Kaisers – erfand. Dieser, von jeher politisch machtlos, wurde als "menschlicher Gott" und Vater des rassisch reinen Volks imaginiert. Diese Vaterphantasie hatte Konsequenzen insoweit, als alle Rechte – von den Grundrechten der Untertanen bis zu den aus Europa importierten Normen – unter dem Vorbehalt einer vor-rechtlichen Gewährung standen.

Das Parlament übte nach der Meji-Verfassung seine Tätigkeit im Auftrag des Tennos aus. Die Reichweite des parlamentarischen Initiativrechts war umstritten, Verfassungsänderungen konnten nur auf "Befehl" des Tennos diskutiert werden. 

Staatsrechtlich zu jener Zeit über "Volkssouveränität" nachzudenken, schien nicht nur angesichts des positiven Verfassungsrechts unproduktiv, sondern geriet in den Geruch der Blasphemie. Zugleich behauptete das "Erziehungsedikt" von 1890, dass die japanischen Untertanen "in unverbrüchlicher Treue zum Herrscher und kindlicher Liebe zu den Eltern" gebunden seien. Beides wurde in konfuzianischer Ethik miteinander verwoben, Patriotismus und Tenno-Liebe gleichgesetzt.

Die faktische, informelle und keiner öffentlichen oder parlamentarischen Kontrolle unterworfene Macht übte derweil nicht der Tenno aus, sondern ein nach britischem Vorbild ("Privy Council") geschaffener, siebenköpfiger Geheimer Staatsrat.

Nächste Woche wieder vor dem Yasukuni-Schrein?

Im Yasukuni-Schrein zu Tokio, der in der Trägerschaft einer shintoistischen Stiftung steht, wird den japanischen Kriegstoten gedacht – von im Krieg gefallenen Pferden und Brieftauben bis hin zu gemeinen Bürgern und Soldaten, abgestuft nach jenen, die allgemein verstarben, und solchen, die sich für den Tenno geopfert hatten.

Weil sich darunter auch veritable Kriegsverbrecher finden, derer konservative bis rechtsradikale japanische Politiker am 15. August jedes Jahres mehr oder weniger demonstrativ gedenken, wird man auch 2013 wieder den rituellen Protest der Nachbarländer Japans erwarten dürfen.

Einen Erkenntnisweg aus diesem eher affektiven Spiel in der Öffentlichkeit weist die, soweit erkennbar, bisher weitgehend unbeachtet gebliebene Arbeit von Florian Neumann. Sie fragt: Wie haben sich europäische Staats- und Verfassungsformen in einer fremden Kultur so entfalten können, dass die Idee des subjektiven Rechts jahrzehntelang unter die Räder kam? Wo wurzelt der neuere japanische Nationalismus? Warum propagiert die kommunistische Regierung Chinas aktuell so stark den Konfuzianismus, der als moderne politische Ideologie nicht zuletzt im Tenno-Kult wirkungsmächtig wurde?

Warum ein japanischer Politiker die Zersetzung der Weimarer Verfassung durch NS-konforme Juristen vorbildlich findet oder am Yasukuni-Schrein betet, sind dagegen vielleicht nur Oberflächlichkeiten.

Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht exotisch: Tennotreu bis zum Umfallen . In: Legal Tribune Online, 11.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9331/ (abgerufen am: 03.05.2024 )

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