Fragen der ewigen Ruhe und Auferstehung: Grabesritterorden, Lebensfreude und das Immobiliarrecht

von Martin Rath

06.04.2015

2/2: Braucht man eine logische Sekunde?

Eine jedenfalls in der Theorie kniffelige Denksportaufgabe jenseits aller orientalischen Immobiliarrechtsfragen – welche Region des Planeten erlaubt es sich sonst, die kostbare Arbeitszeit des Weltsicherheitsrats damit zu vergeuden, ihn Bebauungspläne diskutieren zu lassen, statt es im Gemeinderat ihres Krähwinkels selbst zu tun – betrifft das heilige Grab zu Jerusalem in jenem Vorgang, der sich den Behörden spätestens am Ostermontag des Jahres 30 oder 31 n. Chr. darbot: Nach der biblischen Überlieferung wurde das Grab Jesu von einem anderen als dem Berechtigten zerstört, der Leichnam in seiner Beschaffenheit so verändert, dass es sich nicht mehr um einen Leichnam handelte.
Vom griechischen Philosophen Epikur, der circa 300 Jahre vor dem Ereignis lebte, ist ein intellektueller Taschenspielertrick bekannt, der ungefähr so geht: Solange er, Epikur, am Leben sei, sei er nicht tot, wenn er aber tot sei, habe er kein Bewusstsein davon. Also sei er zu Lebzeiten vom Tod gar nicht betroffen und die Sache gehe ihn daher auch nichts weiter an.

Wenn man nun die berüchtigte "logische Sekunde" hinzudenkt, die zwischen Leben und Tod liegen müsste – einerlei, ob beim Sterben eines gewöhnlichen Menschen oder in der Gegenrichtung, also der Auferstehung – müsste für den Verursacher einer Auferstehung nicht die Strafbarkeit wegen Störens der Totenruhe nach § 168 Strafgesetzbuch (StGB) geprüft werden? Oder anders angesetzt: Sollte man diese Frage nicht den Vertretern der sechs verfeindeten Konfessionen in der Grabeskirche als Denksportaufgabe stellen?

Rechtsfragen der Ewigkeit

Man mag den Sinn solcher Denksportaufgaben in Zweifel ziehen. Abgesehen von den schicken Ordensritterumhängen ist es ohnehin schwer zu verstehen, warum das Grab Jesu so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Nach christlicher Überlieferung fuhr er vollständig in den Himmel auf, allein der Verbleib des "sanctum praeputium",  also der heiligen Vorhaut ist strittig. Das konventionelle Grab eines jüdischen Verstorbenen konnte der Mann demnach in Jerusalem gar nicht hinterlassen.

Von praktischer juristischer Relevanz ist eine Auferstehung bzw. die Frage, in welcher Vollständigkeit körperlicher Überreste sie sich vollzieht, ohnehin dort, wo man es weniger vermutet: In Hamburg kam es Anfang der 1990er-Jahre in dieser Frage zu einem hässlichen Streit um die Bebauung eines Grundstücks an der Große Rainstraße, das zwischen 1812 und 1934 der Israelitischen Gemeinde als Friedhof diente, zwischen 1940 und 1942 mit zwei Luftschutzbunkern bebaut und 1950 von den Überlebenden der Shoah, der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, an eine Grundstücksgesellschaft verkauft wurde.

Als Anfang der 1990er-Jahre eine Neubebauung des Geländes anstand, machte der Rabbiner einer jüdischen Gemeinde in Manchester geltend, dass sein Urgroßvater 1909 dort in Hamburg-Ottensen bestattet worden sei, und erhielt vor dem Verwaltungsgericht Hamburg zunächst vorläufigen Rechtsschutz gegen die Baugenehmigung – aufgehoben durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Hamburg (v. 9.4.1992, Az. Bs II 30/92).

Entsprechend der religiösen Norm werden jüdische Gräber üblicherweise für die Ewigkeit angelegt. Das hierzulande übliche Aufheben und Neubelegen nach wenigen Jahrzehnten unterbleibt. Jedoch machte das OVG die Erfüllung dieser religiösen Pflicht von der staatlichen Lizensierung des Grundstücks als Friedhof abhängig. Diese habe die Jüdische Gemeinde 1950 verloren. Letztlich wurde außergerichtlich der Kompromiss gefunden, den Neubau ohne Ausschachtungen auf einer Platte zu errichten, die etwaige Grabreste unberührt lassen sollte. Grundsätzlich erkennt die Rechtsordnung unterschiedliche religiöse Vorstellungen von der Ewigkeit einer Grabstelle an, beispielsweise sind nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover die Mehrkosten einer sogenannten Sozialbestattung zu übernehmen (Urt. v. 23.4.2004, 7 Az. 4014/03).

Irgendwo zwischen Komik und bitterem Ernst

Den Raum des Scherzens und Staunens verlässt man mit dem Blick auf ein strafrechtliches Urteil des damaligen Oberlandesgerichts (OLG) Schwerin vom 25. August 1947 (Az. Ss 60/47):  Dem Angeklagten war zur Last gelegt worden, im Jahr 1944 auf einem zuletzt 1940 von der jüdischen Gemeinde genutzten, dann enteigneten Grundstücks "als Bauherr unter Zerstörung von Grabstellen und anderweitiger Verscharrung von Leichenteilen, darunter einer noch ziemlich gut erhaltenen Leiche, ein Behelfsheim gebaut und Kanalisation" angelegt zu haben. Die Verurteilung erfolgte nach § 168 StGB sowie nach Artikel II Nr. 1 c) des 10. Kontrollratsgesetzes wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Es wurde eine dreijährige Gefängnishaft verhängt. Diskussionswürdig schien dem OLG hier nicht die Rohheit der Tat oder die Höhe des Strafmaßes. Allein die Rechtsfrage, in welchem Konkurrenzverhältnis StGB und alliiertes Recht standen, wurde noch diskutiert.

Über Tod und Auferstehung lässt sich in einer Tonlage zwischen Komik und bitterem Ernst sprechen, insbesondere wenn Juristinnen und Juristen ins Spiel kommen. Über die Jenseitsnähe der traditionellen Osterbotschaft hinaus muss man es ja nicht treiben.

Die Kindheitserinnerung an die alte Dame, die das sonst eher lahm gesungene Kirchenlied: "Das Grab ist leer, der Held erwacht, der Heiland ist erstanden", ungewöhnlich energisch vortrug, ist unabhängig von der eigenen Weltanschauung eine schöne: Sie war schon so alt und hatte doch so viel Kraft dabei.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Fragen der ewigen Ruhe und Auferstehung: Grabesritterorden, Lebensfreude und das Immobiliarrecht . In: Legal Tribune Online, 06.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15150/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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